Der Menschenfreund
Vor 400 Jahren wurde der spanische Maler Murillo geboren
MÜNCHEN
- Mädchenhafte Madonnen und spielende Straßenkinder haben ihn berühmt gemacht: Vor 400 Jahren wurde der Maler Bartolomé Esteban Murillo in Sevilla geboren.
„Ach, sind die süß“, flüstert eine ältere Dame im Wollkostüm. „Und erst der Hund!“. Wer eine Weile im Spaniersaal der Alten Pinakothek verbringt, hört ständig solche Kommentare und ist nie allein. Nicht nur die Münchner mögen ihre Murillos, auch die Touristen finden sie „dolci“und „so charming“, und überhaupt steht man dauernd im Weg, weil sich die niedlichen Buben natürlich fürs Erinnerungsfoto anbieten.
Vorwurf der Süßlichkeit
Kaum kann man sich den dunklen Kulleraugen entziehen. Dabei nagt gerade das Süße am Image des Malers. Leider, muss man sagen, denn diese Bilder erzählen genauso von Sympathie und menschlicher Würde. Sevilla feiert den großen Sohn der Stadt seit Monaten. Bartolomé Esteban Murillo ist am Neujahrstag 1618 in der dortigen Magdalenenkirche getauft worden. Der Vater Gaspar Esteban, ein Barbier, und die Mutter María Pérez starben, als Bartolomé erst zehn Jahre alt war.
Doch der Kleine hatte Glück im Unglück. Seine Schwester Ana und ihr wohlhabender Ehemann nahmen ihn auf. Sie erkannten zudem das künstlerische Talent des Jungen und gaben ihn zu Juan del Castillo in die Ausbildung. Bei diesem soliden, von den Italienern beeinflussten Maler lernt Bartolomé nicht nur die Grundlagen, also das Zeichnen und den Auftrag der Farben, sondern genauso das Komponieren von Gemälden. Und er saugt begierig auf, was im eben noch prosperierenden Sevilla von den bedeutsamen Altvorderen wie Alonso Cano, vom Marktführer Francisco de Zurbarán oder Jusepe de Ribera zu sehen ist.
Diese Eindrücke genügen leicht, um über Andalusien hinaus Karriere zu machen. Im Gegensatz zum 18 Jahre älteren Diego Velázquez bleibt Murillo allerdings zeitlebens in seiner Heimat, und auch die Südamerikareise, die ihm der Künstlerbiograf Joachim von Sandrart 1675 in die Vita schreibt, dürfte im Stadium des Jugendtraums stecken geblieben sein.
Inspirationen in Madrid
Nur einmal, in den späten 1640erJahren, hat sich Murillo für ein paar Monate nach Madrid aufgemacht – und das mit sichtbaren Auswirkungen. Denn am Hofe Philipps IV. trifft er auf die Werke von Velázquez und vermutlich auch auf den Künstler selbst, und in den königlichen Sammlungen kann er Tizian und Rubens und all die anderen angesagten Italiener und Flamen studieren. Vor allem deren Farben beeindrucken ihn nachhaltig, und bald schon malt Murillo freier, modelliert zunehmend weicher und stellt seine Madonnen in ein sanftes Licht. In diesem neuen „estilo vaporoso“fühlt man sich durchaus an die duftig-zarten Seiten des Rokoko und sogar an den Impressionismus erinnert.
Selbst die unzähligen Heiligen, die jetzt in Sevilla für ihre diversen Auftritte in Positur gebracht werden, scheinen über den Gemälden zu schweben und erledigen ihre oft genug durch Martyrien erschwerte Mission mit erstaunlicher Eleganz. Lange nach dem Tod 1682 hat das Murillo den Vorwurf eingebracht, ein Propagandamaler der Gegenreformation gewesen zu sein. Man übersieht dabei aber, dass es in Spanien anders als in Italien, Frankreich oder Holland bis weit ins 19. Jahrhundert kaum bürgerliches Mäzenatentum gab, und Künstler schlicht von den Aufträgen der Kirche und des hyperkatholischen Königshofs abhingen. Dazu war Murillo, der sich guten Einkunftsmöglichkeiten keineswegs verschloss, ein tief gläubiger Mann, der Dienst in verschiedenen Bruderschaften tat und viel Geld für wohltätige Zwecke gespendet hat. Bei seinen lieblichen und immer auch nahbaren Gottesmüttern musste er sich jedenfalls nicht verbiegen.
Obwohl keine einzige „Immaculada“, also die in Spanien so gefragten „unbefleckten“Marien, den Weg nach München gefunden hat, kann man die Entwicklung des Malers in der Alten Pinakothek besonders gut nachvollziehen. „In dieser einmaligen Sammlung an Genrebildern Murillos sind alle wichtigen Phasen vertreten“, betont Elisabeth Hipp, die am Haus für die französische und spanische Malerei zuständig ist. Und man kommt der Persönlichkeit des Künstlers gerade in den Darstellungen der Bettlerbuben ziemlich nahe.
Respekt vor den Modellen
Murillo hat mit seiner Frau Beatriz neun Kinder und geht bei allen beruflichen Anforderungen in der Familie auf. Das mag nur zum Teil mit der eigenen Jugend zusammenhängen, die Zeiten sind einfach bedrückend: Einmal beginnt Mitte des 17. Jahrhunderts der Niedergang Sevillas, denn die bis dahin größte Stadt Spaniens verliert ihr Monopol im Amerikahandel. Und als 1649 die halbe Bevölkerung von einer Pestepidemie hingerafft wird, spülte es zahllose Obdachlose und Waisenkinder auf die Straßen.
Doch Murillo, der tagtäglich die Not vor Augen hat, wird nie zum Voyeur der Elenden. Vielmehr malt er deren Schönheit aus einer liebevollen Sicht, die bis heute berührt, und begegnet seinem Bild-Personal stets mit Respekt. Die Melonen- und Pastetenesser mögen bitterarm sein, das sieht man an den Lumpen, die sie tragen, „aber sie freuen sich über jede einzelne Traube, sie genießen den Augenblick und sind sich selbst genug“, erklärt Elisabeth Hipp.
Auf diesen ganz individuellen Gemälden Murillos sind überhaupt viel Zärtlichkeit und Mitgefühl im Spiel, das hat gerade die ausländischen Kaufleute und Diplomaten angesprochen, die dem Künstler die Genreszenen förmlich aus den Händen rissen. Deshalb kamen weniger die mädchenhaften Marien, als eben die Läusesucher, die kleinen Obsthändlerinnen oder eben die Straßenbuben für beträchtliche Summen in den europäischen Umlauf und wurden gleich noch exzessiv kopiert.
Ihren betuchten Betrachtern demonstrierten diese Kinder, wie wenig sie brauchen, um glücklich zu sein und wie wenig ein Lächeln mit Geld und Wohlstand zu tun hat. Daran dürfte sich nichts Wesentliches geändert haben.