Ester Ledecka stellt die Skiwelt auf den Kopf
Snowboard-Weltmeisterin aus Tschechien wird Olympiasiegerin im Super-G und erscheint mit Skibrille zur Pressekonferenz – „ich habe kein Make-up drauf“
PYEONGCHANG (SID) – Ester Ledecka wog ihre Goldmedaille in den Händen und ließ diesen „unglaublichen, verrückten und wunderschönen Tag“noch einmal Revue passieren. Doch nachdem die tschechische Snowboarderin die Skiwelt mit ihrem Coup beim olympischen Super-G in Pyeongchang auf den Kopf gestellt hatte, wollte sie nur noch eins – zurück aufs Brett.
Dieser Wunsch der Ski-Sensation erfüllte sich erst am Sonntag, zu groß war das weltweite Interesse an ihrem historischen Triumph, zu viele Termine hatte sie danach. Wie unvorbereitet sie darauf war, wurde bei der Medaillenvergabe noch einmal deutlich. Ledecka pfiff auf die Etikette, streckte den Fotografen frech die Zunge raus. Vornehme Zurückhaltung? „Vielleicht beim nächsten Mal“, sagte sie und lachte. Beim nächsten Mal: Das wäre am Samstag (24. Februar), wenn Ledecka das Gold entgegennehmen dürfte, das eigentlich für sie reserviert ist - im Parallel-Riesenslalom der Snowboarder. Weltmeisterin ist sie da und Favoritin. Auf zwei Brettern hatte sie keiner auf der Rechnung, nicht mal sie selbst.
Im Zielraum stand sie zunächst da wie vom Donner gerührt. Um sie herum am Fuße des Mount Gariwang schrien das Publikum und die Konkurrentinnen im olympischen Super-G auf – Fassungslosigkeit machte sich breit. Ledecka, Startnummer 26, stierte mit offenem Mund auf die Anzeigetafel, sekundenlang. „Nein, nein“, stammelte sie, „das muss ein Fehler sein.“War es nicht.
Ganz knapp vor Anna Veith und Tina Weirather
0,01 Sekunden, umgerechnet 25 Zentimeter nach 2010 Metern Fahrt, lag die 22-Jährige vor der schon als zweimalige Olympiasiegerin gefeierten Anna Veith aus Österreich, 0,11 Sekunden vor Tina Weirather (Liechenstein). Lindsey Vonn (USA) blieb als Sechste ohne Medaille, Viktoria Rebensburg wurde Zehnte.
„Ester ist wunderbar“, sagte Vonn, „ich hätte gern ihr Talent.“Und Rebensburg meinte: „Supergeil, solche Geschichten werden nur bei Olympia geschrieben!“
Ledecka war auf diesen Sieg nicht gefasst. Bei der Zeremonie im Zielraum fehlte die obligatorische Landesflagge, noch über eine Stunde nach dem Lauf ihres Lebens trug sie ihre Skibrille. Der Grund? „Ich habe kein Make-up drauf.“Denn eigentlich, meinte sie, wollte sie ja längst wieder auf dem Brett stehen. Das Board hatte sie anders als Fahne und Make-up dabei, doch aus dem Training wurde erst mal nichts. Stattdessen kostete die Pragerin ihren Triumph voll aus. Hier ein Scherz, da eine nicht ganz ernst gemeinte Antwort – Ledecka gab vor den staunenden Reportern die Entertainerin. Wirklich zu begreifen, was ihr da gelungen war, schien sie nicht. „Es war mein Traum, aber das habe ich nicht erwartet“, bekannte sie.
Dabei ist Ledecka im Skizirkus kein völlig unbeschriebenes Blatt. Seit Februar 2016 fährt sie im Weltcup, 2017 nahm sie in St. Moritz an der WM teil – immer mit dem Ziel, als erste Athletin bei Olympia in beiden Sportarten zu starten. Im Riesenslalom vergangenen Donnerstag belegte sie Rang 23. Doch diesen Sieg hatte niemand kommen sehen. Veith war sogar schon von IOC-Präsident Thomas Bach beglückwünscht worden.
In Tschechien ist Ledecka, die die Szene der Raceboarder seit Jahren dominiert, längst ein Star, ihr Kürzel „STR“(für Ester) wie anderswo „CR7“für Cristiano Ronaldo eine Marke. Ihre ganze Familie ist berühmt: Opa Jan Klapac, ihr Vorbild, gewann zwei Olympia-Medaillen im Eishockey, Mama Zuzana war Eiskunstläuferin, Papa Jan Ledecky ist ein bekannter Musiker.
Surfen kann Ledecka übrigens auch. Als sie gefragt wurde, ob sie in Tokio 2020 bei der Olympia-Premiere der Sportart starten wolle, sagte sie: „Ja, klar, warum nicht?“