Nachtlager wird verhalten nachgefragt
Schutz für Obdachlose gegen Erfrieren: Kaum Anstieg durch eisige Temperaturen verzeichnet
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TUTTLINGEN - Kälter ist es diesen Winter noch nie gewesen: Auf minus 15 Grad gehen die Temperaturen in Tuttlingen nachts momentan zurück. Tagsüber bleiben die Werte trotz Sonnenscheins konstant unter Null. Wie gehen Obdachlose mit dieser belastenden Situation um? Für sie steht das Nachtlager der AWO offen. Im Notfall stellt auch die Stadtverwaltung Nachtquartiere bereit. Doch die Nachfrage ist eher verhalten, sagen die Verantwortlichen.
Bereits bei Temperaturen leicht über null Grad Celsius drohen Erfrierungen an Händen und Füßen, Ohrmuscheln und Nase, wenn Nässe und Wind im Spiel sind und die entsprechenden Körperregionen nicht geschützt sind. Doch auch wer warm eingepackt ist, hält nicht lange durch. Wer müde wird, darf sich auf keinen Fall irgendwo zum Schlafen hinkauern. Die Gefahr zu erfrieren ist dafür zu groß.
Niemand muss draußen schlafen
Die AWO-Wohnungslosenhilfe in Tuttlingen, die das Nachtlager in der Schützenstraße 14 mit Ehrenamtlichen betreibt, hat auf die Gefahr durch die Kälte reagiert. Die Regelung, dass Benutzer des Nachtlagers nach 14 Tagen ihr Bett dort räumen müssen, ist vorübergehend ausgesetzt. „Wir wollen nicht, dass diese Woche jemand draußen schlafen muss“, erklärt Tanja Müller-Zaum, Beraterin bei der AWO-Wohnungslosenhilfe. Allerdings sei die Nachfrage nach einem Schlafplatz im Quartier in der Schützenstraße in diesem Winter eher verhalten, auch in den letzten Tagen. „Die klassischen Durchwanderer mit Hund werden immer weniger, die sind in die Jahre gekommen“, erklärt Müller-Zaum.
Sie geht davon aus, dass die Menschen, die im Kreis ohne Wohnsitz sind, andere Möglichkeiten finden, um unterzuschlupfen: bei Freunden oder Bekannten. So gab es seit Anfang November bis Montag dieser Woche nur 175 Übernachtungen im Nachtlager. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 wurden 801 Übernachtungen gezählt.
Dagegen steigen die Besucherzahlen in der AWO-Wärmstube, die tagsüber außer samstags geöffnet hat, seit einiger Zeit stark an. 2017 gab es hier 5300 Besuche, fast 3200 Mittagessen wurden ausgegeben. Im Jahr davor lag die Besucherzahl bei 4700 und 2650 Mittagessen. Woran liegt das? „Es gibt immer weniger Wohnraum im Kreis“, liefert MüllerZaum als Erklärung. Nachts fänden diese Menschen immer noch irgendwo einen Schlafplatz – aber tagsüber stünden sie auf der Straße. Die Besucherzahlen in der Wärmstube seien gleichbleibend hoch, einen Anstieg durch die eisigen Temperaturen der letzten Tage hat die AWO nicht verzeichnet.
Stadt muss Obdachlosen helfen
Draußen schlafen muss niemand – das sagt auch Stadtsprecher Arno Specht. 40 Plätze in Notunterkünften hält die Stadt Tuttlingen bereit, denn die Verwaltung ist gesetzlich verpflichtet, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Diese Plätze seien voll belegt. „Doch jeder hat einen Anspruch darauf, dass er versorgt wird“, erklärt der Stadtsprecher. Heißt im Klartext, dass die Verwaltung bei Bedarf weitere Zimmer anmieten muss, und sei es in Pensionen oder anderen Unterkünften.
Aktuell ist der Platz unter der Brücke bei E-Center, wo sich bei milderen Temperaturen die Obdachlosen aufhalten, ziemlich verwaist. Die Berberwiese zwischen Bahnhof und Koppenland bietet den Obdachlosen aber einen guten Unterschlupf. Das jedenfalls sagt Tom Grimm, der sich in Tuttlingen stark für die Wohnungslosen einsetzt. „Die Berberwiese ist zu einem Selbstläufer geworden. Die Obdachlosen organisieren sich selber“, sagt er.
Auf der Berberwiese gibt es für sie Gas und Holz, sodass sie auch bei den aktuell niedrigen Temperaturen im dortigen Schuppen nicht zu frieden bräuchten. Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass die AWOWohnungslosenhilfe aktuell deutlich weniger Zuspruch von den Wohnungslosen erfährt als noch in den vergangenen Jahren. Für Obdachlose, die in diesen Tagen in Tuttlingen stranden, dürfte die Wohnungslosenhilfe erste Anlaufstelle bleiben. Schließlich ist die Berberwiese bei Auswärtigen kaum bekannt.
Das Nachtlager für Obdachlose in der Tuttlinger Schützenstraße 14 ist von November bis Ende März geöffnet. Einlass gibt es täglich zwischen 18 und 19 Uhr, später nicht mehr. Die Anmeldung kann über die AWO Fachberatung erfolgen, Telefon 07461 / 96 90 76. Das Nachtlager schließt morgens um 9 Uhr. Wer 14 Tage dort übernachtet hat, braucht eine 14tägige Pause, bevor er wieder dort schlafen kann. Diese Regelung ist wegen der Eiseskälte momentan aufgehoben.