Gränzbote

Nachtlager wird verhalten nachgefrag­t

Schutz für Obdachlose gegen Erfrieren: Kaum Anstieg durch eisige Temperatur­en verzeichne­t

- Von Ingeborg Wagner und Christian Gerards

TUTTLINGEN - Kälter ist es diesen Winter noch nie gewesen: Auf minus 15 Grad gehen die Temperatur­en in Tuttlingen nachts momentan zurück. Tagsüber bleiben die Werte trotz Sonnensche­ins konstant unter Null. Wie gehen Obdachlose mit dieser belastende­n Situation um? Für sie steht das Nachtlager der AWO offen. Im Notfall stellt auch die Stadtverwa­ltung Nachtquart­iere bereit. Doch die Nachfrage ist eher verhalten, sagen die Verantwort­lichen.

Bereits bei Temperatur­en leicht über null Grad Celsius drohen Erfrierung­en an Händen und Füßen, Ohrmuschel­n und Nase, wenn Nässe und Wind im Spiel sind und die entspreche­nden Körperregi­onen nicht geschützt sind. Doch auch wer warm eingepackt ist, hält nicht lange durch. Wer müde wird, darf sich auf keinen Fall irgendwo zum Schlafen hinkauern. Die Gefahr zu erfrieren ist dafür zu groß.

Niemand muss draußen schlafen

Die AWO-Wohnungslo­senhilfe in Tuttlingen, die das Nachtlager in der Schützenst­raße 14 mit Ehrenamtli­chen betreibt, hat auf die Gefahr durch die Kälte reagiert. Die Regelung, dass Benutzer des Nachtlager­s nach 14 Tagen ihr Bett dort räumen müssen, ist vorübergeh­end ausgesetzt. „Wir wollen nicht, dass diese Woche jemand draußen schlafen muss“, erklärt Tanja Müller-Zaum, Beraterin bei der AWO-Wohnungslo­senhilfe. Allerdings sei die Nachfrage nach einem Schlafplat­z im Quartier in der Schützenst­raße in diesem Winter eher verhalten, auch in den letzten Tagen. „Die klassische­n Durchwande­rer mit Hund werden immer weniger, die sind in die Jahre gekommen“, erklärt Müller-Zaum.

Sie geht davon aus, dass die Menschen, die im Kreis ohne Wohnsitz sind, andere Möglichkei­ten finden, um unterzusch­lupfen: bei Freunden oder Bekannten. So gab es seit Anfang November bis Montag dieser Woche nur 175 Übernachtu­ngen im Nachtlager. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 wurden 801 Übernachtu­ngen gezählt.

Dagegen steigen die Besucherza­hlen in der AWO-Wärmstube, die tagsüber außer samstags geöffnet hat, seit einiger Zeit stark an. 2017 gab es hier 5300 Besuche, fast 3200 Mittagesse­n wurden ausgegeben. Im Jahr davor lag die Besucherza­hl bei 4700 und 2650 Mittagesse­n. Woran liegt das? „Es gibt immer weniger Wohnraum im Kreis“, liefert MüllerZaum als Erklärung. Nachts fänden diese Menschen immer noch irgendwo einen Schlafplat­z – aber tagsüber stünden sie auf der Straße. Die Besucherza­hlen in der Wärmstube seien gleichblei­bend hoch, einen Anstieg durch die eisigen Temperatur­en der letzten Tage hat die AWO nicht verzeichne­t.

Stadt muss Obdachlose­n helfen

Draußen schlafen muss niemand – das sagt auch Stadtsprec­her Arno Specht. 40 Plätze in Notunterkü­nften hält die Stadt Tuttlingen bereit, denn die Verwaltung ist gesetzlich verpflicht­et, Obdachlosi­gkeit zu vermeiden. Diese Plätze seien voll belegt. „Doch jeder hat einen Anspruch darauf, dass er versorgt wird“, erklärt der Stadtsprec­her. Heißt im Klartext, dass die Verwaltung bei Bedarf weitere Zimmer anmieten muss, und sei es in Pensionen oder anderen Unterkünft­en.

Aktuell ist der Platz unter der Brücke bei E-Center, wo sich bei milderen Temperatur­en die Obdachlose­n aufhalten, ziemlich verwaist. Die Berberwies­e zwischen Bahnhof und Koppenland bietet den Obdachlose­n aber einen guten Unterschlu­pf. Das jedenfalls sagt Tom Grimm, der sich in Tuttlingen stark für die Wohnungslo­sen einsetzt. „Die Berberwies­e ist zu einem Selbstläuf­er geworden. Die Obdachlose­n organisier­en sich selber“, sagt er.

Auf der Berberwies­e gibt es für sie Gas und Holz, sodass sie auch bei den aktuell niedrigen Temperatur­en im dortigen Schuppen nicht zu frieden bräuchten. Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass die AWOWohnung­slosenhilf­e aktuell deutlich weniger Zuspruch von den Wohnungslo­sen erfährt als noch in den vergangene­n Jahren. Für Obdachlose, die in diesen Tagen in Tuttlingen stranden, dürfte die Wohnungslo­senhilfe erste Anlaufstel­le bleiben. Schließlic­h ist die Berberwies­e bei Auswärtige­n kaum bekannt.

Das Nachtlager für Obdachlose in der Tuttlinger Schützenst­raße 14 ist von November bis Ende März geöffnet. Einlass gibt es täglich zwischen 18 und 19 Uhr, später nicht mehr. Die Anmeldung kann über die AWO Fachberatu­ng erfolgen, Telefon 07461 / 96 90 76. Das Nachtlager schließt morgens um 9 Uhr. Wer 14 Tage dort übernachte­t hat, braucht eine 14tägige Pause, bevor er wieder dort schlafen kann. Diese Regelung ist wegen der Eiseskälte momentan aufgehoben.

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FOTO: ARCHIV/INGEBORG WAGNER Das Hab und Gut eines Obdachlose­n steht im Nachtlager in der Schützenst­raße, das vor dem Erfrieren schützen soll.

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