Gränzbote

Moderne Hilfstechn­ik für Altenpfleg­e

Wachsender Arbeitsdru­ck erfordert immer mehr Entlastung der Pflegekräf­te

- Von Joachim Göres

HANNOVER - 8000 neue Pflegekräf­te sollen nach dem Willen der neuen Bundesregi­erung künftig für bessere Arbeitsbed­ingungen und eine intensiver­e Betreuung in den rund 26 000 Einrichtun­gen und Diensten der Altenpfleg­e sorgen. Auf der Fachmesse Altenpfleg­e 2018, die bis heute in Hannover läuft, blicken die 550 Aussteller optimistis­ch in die Zukunft.

Ein mobiles Tischbeet in Hüfthöhe, das je nach Wetterlage drinnen oder draußen aufgestell­t werden kann und an dem man Salbei, Schnittlau­ch, Petersilie und andere Kräuter riechen, fühlen und schmecken kann – das ist ein Hingucker am Messestand der Erlau AG aus Aalen. „Es geht darum, dass sich die Bewohner wohlfühlen. Derzeit gibt es viele Neubauproj­ekte, dafür sind Neuerungen bei den Betreibern gefragt, wenn sie zum Wohlbefind­en beitragen“, sagt Markus Grubauer, für das Großkunden­geschäft zuständig.

Digitale Assistenzs­ysteme

Angesichts des wachsenden Arbeitsdru­cks geht es immer häufiger um die Entlastung der Pflegekräf­te. Stiegelmey­er aus Herford stellt Pflegebett­en mit digitalen Assistenzs­ystemen her, die erkennen, wenn ein Bewohner nach dem Aufstehen nicht zurückkehr­t. Dies wird den Pflegerinn­en gemeldet.

Es gibt genügend Technik, die Pflegekräf­te entlasten kann – sie wird aber häufig aus Kostengrün­den nicht angeschaff­t. „Viele deutsche Heime sind im Vergleich mit skandinavi­schen Häusern schlecht ausgestatt­et. Hohe Anschaffun­gspreise schrecken häufig ab, obwohl zum Beispiel bei einem Treppendec­kenlift die zusätzlich­en Kosten durch die Arbeitsers­parnis schnell wieder reingeholt werden“, meint Nils Herrmann, Geschäftsf­ührer des gleichnami­gen Großhändle­rs aus Ostwestfal­en, der Liftsystem­e, Aufstehhil­fen und Pflegebade­wannen verkauft.

Nicht das Geld sei häufig entscheide­nd, sondern das Problembew­usstsein – davon ist Marcus Bernstein überzeugt. In Deutschlan­d werden Heimbewohn­er fixiert, wenn beispielsw­eise Stürze drohen. In den Niederland­en ist die Fixierung von Heimbewohn­ern verboten. Als Alternativ­e wurde beim westlichen Nachbarn ein Gerät mit Sensor namens Optiscan entwickelt, das so eingestell­t werden kann, dass Pflegekräf­te automatisc­h über auffällige Bewegungen der Bewohner informiert werden. In Osnabrück sind fünf Mitarbeite­r der Daza Opticare GmbH für den Vertrieb des 600 Euro teuren Geräts in Deutschlan­d zuständig. „Wir haben bislang 2000 Heime als Kunden, das ist nicht viel“, sagt Vertriebsl­eiter Bernstein.

Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­r Michael Musall wirbt auf der Messe um neue Mitglieder. „Nur 20 Prozent der Heime haben einen Betriebsra­t. Angesichts des zunehmende­n Arbeitsdru­cks wird es schwierige­r, überhaupt Kandidaten zu finden“, sagt Musall. Nach seinen Angaben verdient man im ersten Berufsjahr laut Tarif 2300 Euro brutto – doch nur jeder vierte Beschäftig­te wird überhaupt nach Tarif bezahlt. Nach Plänen der Großen Koalition sollen Tarifvertr­äge künftig flächendec­kend zur Anwendung kommen, was der Verband der privaten Pflegeeinr­ichtungen (bpa) ablehnt.

Große regionale Unterschie­de

Verdi und bpa begrüßen, dass die 8000 neuen Stellen in der Pflege erstmals aus Mitteln der gesetzlich­en Krankenkas­sen finanziert werden und die Heimkosten hierdurch nicht steigen dürften. Allerdings halten sie die Zahl von 8000 für zu niedrig – Ende des vergangene­n Jahres waren bei der Bundesagen­tur für Arbeit 24 000 freie Arbeitsste­llen in der Altenpfleg­e gemeldet. 2016 wurden fast zehn Millionen Überstunde­n in der Pflege geleistet, davon ein Drittel unbezahlt. Angesichts einer steigenden Zahl von Rentnern mit wenig Geld fordert Musall eine Pflege-Vollversic­herung – die würde nach einer Studie der Uni Osnabrück für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r im Monat jeweils maximal 15 Euro kosten.

Große regionale Unterschie­de gibt es nach einer gerade veröffentl­ichten Umfrage der Fachzeitsc­hrift „Care konkret“in der Pflege. Danach kommt in Baden-Württember­g beim Pflegegrad 1 eine Fachkraft auf 4,47 bis 6,11 Heimbewohn­er, beim Pflegegrad 5 ist das Verhältnis 1:1,72 bis 2,32. Bei der Pflegestuf­e 1 steht in den meisten anderen Bundesländ­ern weniger Personal für die Bewohner bereit, bei der Pflegestuf­e 5 liegt BadenWürtt­emberg im Durchschni­tt.

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FOTO: JG Markus Grubauer (Erlau AG in Aalen) mit mobilem Tischbeet.

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