Evangelische Kirche greift zum letzten Mittel
Kirchenasyl für einen jungen Afrikaner – Verwaltungsgericht entscheidet über Abschiebung
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TUTTLINGEN - Ein Fall von Kirchenasyl beschäftigt derzeit gleichermaßen die evangelische Kirche Tuttlingen wie auch Politik und Behörden. Seit drei Wochen steht ein junger Mann aus Kamerun, der abgeschoben werden soll, in Tuttlingen unter dem Schutz der Kirche. Der Fall liegt aktuell beim Verwaltungsgericht, mit einer Entscheidung wird in Kürze gerechnet.
Es ist ein Fall, in dem Staatswille und Einzelschicksal aufeinanderprallen: Auf der einen Seite die Regierungspräsidien Freiburg und Karlsruhe sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die gemäß ihren Vorschriften das Asylverfahren des Afrikaners negativ beendeten und die Abschiebung organisierten. Auf der anderen Seite ein junger Mann im zweiten Ausbildungsjahr, der auf das Fortsetzen seiner Ausbildung hofft und auf den sowohl sein Arbeitgeber als auch der betreuende Tuttlinger Pfarrer große Stücke halten.
Asylverfahren eingestellt
Dass das Herkunftsland des Geflüchteten – Kamerun – im Asylverfahren nicht unbedingt dazu beiträgt, als Flüchtling anerkannt zu werden, war den Beteiligten überwiegend klar. So auch in der Tat: Im Dezember 2017 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahren des in Tuttlingen lebenden jungen Mannes ein und forderte ihn zur Ausreise auf, wie das Regierungspräsidium Karlsruhe auf Nachfrage unserer Zeitung mitteilte.
Aber: Wie er selbst auch, waren die Akteure rund um den jungen Mann davon ausgegangen, dass er gemäß der sogenannten 3+2-Regelung zumindest für fünf Jahre in Deutschland bleiben dürfe. Diese Regelung der Bundesregierung sieht vor, dass Geflüchtete trotz negativen Asylbescheids das Land vorerst nicht verlassen müssen, wenn sie bereits eine Berufsausbildung begonnen haben. Den Betroffenen wird somit gewährt, eine dreijährige Ausbildung plus zwei anschließende Berufsjahre absolvieren zu können, ehe sie in ihre Heimatländer zurückkehren müssen.
„Darauf haben wir uns fest verlassen“, sagt Arbeitgeber Klaus Nann, Geschäftsführer der Simon Nann GmbH & Co.KG aus Böttingen. Als Arbeitgeber habe er dieser Regelung vertraut und den jungen Mann in dem Glauben eingestellt, ihn nach seiner Schulzeit in der SteinbeisSchule Tuttlingen für fünf Jahre beschäftigen zu können. Zuverlässig, ehrgeizig und motiviert sei sein Azubi gewesen, auch von den Noten her sei er einer der besten seines Jahrgangs. „Wir kämpfen immer mit dem Facharbeitermangel und sind froh, gute Leute zu bekommen“, zeigt Nann die Schwierigkeiten seines mittelständischen Unternehmens auf. So konfrontierte er auch die CDU-Abgeordneten Volker Kauder und Guido Wolf mit dem Fall.
Am Arbeitsplatz abgeholt
Als der junge Mann Mitte Februar am Arbeitsplatz in Böttingen von Beamten abgeholt wurde, um zum Flughafen gebracht zu werden, haute er ab. Einen Vertrauten fand er unter anderem im evangelischen Stadtpfarrer Jens Junginger, der sich bereits während seines Aufenthalts in der Flüchtlingsunterkunft Kreissporthalle und später im privaten Kreis um ihn gekümmert hatte. Mit Dekan Sebastian Berghaus und dem Kirchengemeinderat der Stadtkirche wurde eine Art Krisensitzung einberufen. „Es war eine Vernunftentscheidung“, charakterisiert Martin Sturm, Vorsitzender des Kirchengemeinderats der Stadtkirche den einstimmigen Beschluss, dem jungen Afrikaner Kirchenasyl zu gewähren. Sturm wie auch Junginger betonen: Es gehe nicht darum, Gesetze zu brechen oder die Autorität des Staats abzuerkennen. „Vielmehr ist es uns wichtig, das rechtsstaatliche Verfahren sicherzustellen und die letzten rechtlichen Mittel auszuschöpfen.“„Ich trage diese Entscheidung mit“, sagt auch Dekan Berghaus im Gespräch mit unserer Zeitung.
Konkret heißt das: Die Fürsprecher des jungen Flüchtlings, die auch einen Anwalt eingeschaltet haben, bitten unter anderem um Prüfung, warum das bestehende Ausbildungsverhältnis im Abschiebeverfahren nicht berücksichtigt wurde. Ebenfalls im Raum stehen Angaben um einen Reisepass, der bei der Einreise des Afrikaners nicht vorhanden gewesen, später aber zur Erlangung einer Ausbildungsduldung nachgereicht worden sei.
Wie Uwe Herzel, Pressesprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe mitteilt, seien dem für die Abschiebung zuständigen RP keine Unterlagen über ein bestehendes Ausbildungsverhältnis vorgelegt worden. Diese hätte die zuständige untere Ausländerbehörde weiterleiten müssen. Auch damit setzt sich nun das Verwaltungsgericht auseinander.
Übrigens: Auch wenn der Fall des jungen Afrikaners im Landkreis der einzige ist, der durch das Kirchenasyl Sonderschutz bekommt, gibt es noch weitere, ähnlich gelagerte Fälle. Laut Stefan Helbig, Erster Landesbeamter im Landratsamt Tuttlingen, läuft derzeit in acht Fällen das Abschiebeverfahren, während zwei weitere Antragssteller bereits eine Ausbildungsduldung bekommen haben und damit ihre Ausbildung in Deutschland beenden dürfen.