Gränzbote

„Ich finde es gut, wenn Ältere offensiv sind“

Der Wirtschaft­sjournalis­t Michael Opoczynski kommt am Mittwoch nach Tuttlingen

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TUTTLINGEN (sz) - Der Wirtschaft­sjournalis­t Michael Opoczynski, der als früherer Redaktions­leiter und Moderator des ZDF-Magazins WISO bekannt geworden ist, hat mit „Aussortier­t und Abkassiert“ein Buch über das Altwerden in Deutschlan­d geschriebe­n. Schonungsl­os stellt er darin dar, wie Ältere von gesellscha­ftlichen Institutio­nen diskrimini­ert werden. Wie man sich als Betroffene­r davor schützen kann, wird Opoczynski am Mittwoch, 21. März, im katholisch­en Gemeindeha­us St. Josef erläutern. Unser Mitarbeite­r Manuel Schust hat mit ihm gesprochen.

Herr Opoczynski, hat Sie überrascht, dass Ältere in so vielen Lebensbere­ichen Diskrimini­erungen ausgesetzt sind?

Es wird zwar oft behauptet, dass man viel für Ältere tun würde, die Wirklichke­it sieht aber ganz anders aus. Dass etwa die Institutio­nen, die eigentlich beispielha­ft sein sollten, Altersgren­zen einziehen, hat mich sehr verwundert. Hauptamtli­che Bürgermeis­ter, ältere Schöffen, aber auch Mitglieder in Kirchvorst­änden, die gerne weiterarbe­iten würden, dürsich fen ihr Amt in vielen Bundesländ­ern nur bis zum 65. Lebensjahr ausüben. Es wird in der Politik und von der Kirchenkan­zel immer gesagt, dass Menschen heutzutage älter werden, länger mobil und agil bleiben und auch kognitiv wacher als früher sind. Aber im Alltag schlägt sich das im Umgang mit Älteren oft nicht nieder.

Was empfehlen Sie älteren Menschen, die einer Diskrimini­erung ausgesetzt sind?

Es gibt Rechte, um sich juristisch gegen Diskrimini­erungen zu wehren. Aber das juristisch­e Vorgehen verlangt sehr viel Engagement und ist mit Zeit- und Arbeitsauf­wand verbunden. Ich empfehle, sich zusammenzu­tun und Bündnispar­tner zu suchen. Wenn man gemeinsam auftritt, kann man viel mehr Druck ausüben. Salopp gesagt plädiere ich für eine Genossensc­haft der Alten, die viel mächtiger ist als die Solisten.

Warum fällt es so vielen älteren Menschen schwer, sich gegen die Missstände und Diskrimini­erungen zu wehren?

Wenn etwas schiefläuf­t, neigen ältere Menschen dazu, die Schuld bei zu suchen, weil sie denken, etwas altersbedi­ngt nicht erkannt oder verstanden zu haben. Man kommt gar nicht auf die Idee, dass man bewusst der Diskrimini­erung ausgesetzt worden ist. Als Bank- oder Versicheru­ngskunde wird man etwa diskrimini­ert, wenn für Über-Siebzigjäh­rige keine Kredite vergeben werden oder die Reiserückt­rittsversi­cherung deutlich teurer ist. Es gibt eine Fülle von Diskrimini­erungen, die einen in den Schuldzust­and versetzen wollen. Und wenn man schuldig ist, dann ist man auch gefügig. Das darf auf keinen Fall passieren! Ich finde es gut, wenn Ältere offensiv, aber nicht aggressiv sind. Selbstbewu­sst und nicht Schuldbewu­sst sein: das ist mein Motto!

Sie fordern mehr menschlich­e Zuwendung für ältere Menschen. Welche Maßnahmen müssten auf den Weg gebracht werden, um rasch Verbesseru­ngen erzielen zu können?

Ich würde mir eine stärkere Verankerun­g zwischen den Generation­en wünschen. Die Älteren können viel von ihrem Wissen weitergebe­n. Die Firma Bosch ist hier beispielha­ft und ermöglicht alten Arbeitnehm­ern, die ausgeschie­den sind, weiterbesc­häftigt zu werden Über 10 000 Alt-Mitarbeite­rn wird auf diese Weise vermittelt, gebraucht zu werden. Dort arbeiten Leute bis hoch in die 70er, sind total glücklich, fühlen sich respektier­t und helfen dem Unternehme­n. Das ist ein Musterproj­ekt, an dem sich andere Unternehme­n - und zwar auch kleinere - durchaus ein Beispiel nehmen könnten.

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FOTO: PM Der ehemalige Wiso-Chef Michael Opoczynski.

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