Zuversichtliche Nabelschau
Genau ein Jahr vor dem EU-Austritt Großbritanniens sieht es nicht nach Rückbesinnung aus
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LONDON - Großbritannien scheidet in genau einem Jahr, am 29. März 2019, aus der Europäischen Union aus. Bislang gibt es keine Anzeichen für eine Rückbesinnung.
Carolyn Fairbairn strahlt Zuversicht aus. So schlecht gehe es doch gar nicht voran mit dem Brexit, findet die Leiterin der wichtigsten britischen Industrielobby CBI. „Wenn Sie sich zurückerinnern: Vor einem Jahr wollten beide Seiten von einer Übergangszeit nach dem Brexit nichts wissen.“Dass Theresa Mays Regierung und die EU-Kommission sich nun doch auf die Interimsphase bis Ende 2020 geeinigt haben, stelle für die Wirtschaft einen „erheblichen Fortschritt“dar.
Fairbairn sprach zu Wochenbeginn auf einer Podiumsdiskussion des neutralen Instituts für Regierungsstudien IfG. Ähnliche Veranstaltungen gibt es in der Karwoche zuhauf: Pünktlich zur Halbzeit zwischen der Austrittserklärung vor einem Jahr und dem offiziellen BrexitTermin 2019 betreibt die politische Elite Londons ausgiebig Nabelschau.
Die Vielfalt der britischen Wortmeldungen könnte kaum größer sein. Da ätzt der frühere Kabinettsminister und EU-Kommissar Chris Patten über seine Parteifreunde im Ministerium für internationalen Handel: „Der einzige Handelsvertrag, den die je abgeschlossen haben, war an der Supermarktkasse bei Waitrose“, einer feinen Einzelhandelskette. Da beschwört Jacob ReesMogg, Einpeitscher der EU-Feinde in der Regierungsfraktion, eine politische Vertrauenskrise herauf für den Fall, dass die Insel sich nicht vollständig von den EU-Banden löse: „Das wäre wie Suez“– der fehlgeschlagene Krieg um den Suezkanal 1956 hatte den damaligen Premierminister Anthony Eden zum Rücktritt gezwungen und Großbritanniens schwindenden Einfluss in der Welt verdeutlicht.
Der gewagte Vergleich wurde ausgesprochen in einer Woche, in der sich die Briten gestärkt fühlen von der Solidarität in EU und Nato. Die koordinierte Ausweisung von 140 russischen Diplomaten aus 23 westlichen Ländern als Reaktion auf den Giftanschlag von Salisbury stellt je nach Standpunkt den triumphierenden Beweis dafür dar, was die Regierungschefin ständig beteuert: Ihr Land verlasse die EU, setze aber auch weiterhin auf enge Abstimmung und Verflechtung mit den Verbündeten. Oder sie fördert etwas anderes zutage, nämlich die Güte und Verlässlichkeit jener bisher so engen Bindungen, die durch den Brexit verloren zu gehen drohen.
So argumentiert beispielsweise Labours Ex-Premier Tony Blair, der erstmals seit seinem Rücktritt 2007 wieder das Parlament besucht hat. Seine Nachfolger als Abgeordnete müssten ihrer Überzeugung folgen und für eine zweite Volksabstimmung eintreten, fordert der 64-Jährige. Er wünscht sich als Ergebnis die Brexit-Umkehr.
Tatsächlich weisen Demoskopen immer wieder darauf hin, dass sich die Ausgangslage bisher nur unwesentlich verändert habe. Der Support für den Brexit sei „ein klein wenig“abgebröckelt, gleichzeitig gebe es „zaghafte“Unterstützung für ein zweites Referendum, fasst Deborah Mattinson von BritainThinks die Ergebnisse ihrer Erhebungen zusammen. Viele Briten würden bezweifeln, dass der Brexit ihnen Gutes bringt. Das Ergebnis der Abstimmung vom Juni 2016 umzustoßen, kommt ihnen deshalb aber noch lange nicht in den Sinn.
Dazu tragen die weitgehend stabilen Wirtschaftsdaten bei. Finanzminister Philip Hammond hat es geschafft, das Defizit auf 2,8 Prozent zu drücken. Die Reallöhne halten einigermaßen Schritt mit der Inflation (2,7 Prozent), die Arbeitslosigkeit verharrt auf dem Niedrigstand von 4,3 Prozent. Ökonomen sagen der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt für dieses Jahr ein Wachstum von 1,5 Prozent voraus – deutlich niedriger als für die Eurozone (2,5), aber auch nicht besorgniserregend.