Erste Hilfe für die Seele
Notfallseelsorger spenden Menschen in ihren schwersten Stunden Trost
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TUTTLINGEN - Ein schwerer Verkehrsunfall, vergebliche Wiederbelebungsversuche oder Selbstmord. Wenn Menschen von jetzt auf gleich einen geliebten Menschen verlieren, stürzt sie das oft in eine Krise. Deswegen rücken meist nicht nur Feuerwehr oder Rotes Kreuz aus, sondern auch sogenannte Notfallseelsorger. Sie kümmern sich um die Menschen, die meist die schwersten Stunden ihres Lebens erleben und leisten erste Hilfe für die Seele. Ein Ehrenamt, das an die Substanz geht.
Wolfgang Becker, Markus Schilling und Hans-Peter Mattes gehören zum Leitungsteam der Notfallseelsorge im Landkreis Tuttlingen. Sie koordinieren ein 20-köpfiges Team aus sieben hauptamtlichen und 13 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Immer zu zweit rücken sie aus, wenn die Rettungsleitstelle den Alarm auf dem Piepser auslöst – im vergangenen Jahr 102 Mal. Auf dem Display steht nur ein Stichwort. Was im Detail passiert ist, erfahren die Seelsorger erst vor Ort. Erst dann wenden sie sich den Angehörigen zu. Zumindest wenn diese das möchten.
Tränen, Wut und Schreie
Die stehen meist unter Schock. „Von einer Sekunde auf die andere hat sich deren Leben auf den Kopf gestellt“, sagt Schilling, der hauptberuflich eigentlich Realschullehrer ist. Seit 14 Jahren engagiert er sich als Seelsorger. Bei ihrer Arbeit treffen Schilling und seine Kollegen auf eine große Bandbreite von Reaktionen – mancher wirft aus Wut über eine Todesnachricht den Wohnzimmertisch um, andere weinen oder schreien, manche beginnen sogar zu lachen. „Auf all das müssen die Notfallseelsorger flexibel reagieren – eine Herausforderung. „Es ist immer anders, wenn man an der Einsatzstelle ankommt“, sagt der 46-Jährige. Oft helfen er und seine Kollegen mit ganz banal wirkenden Dingen. In seinem Notfallrucksack hat er etwa Wasser, einen Teddybären, eine Kerze oder eben Zigaretten. Doch vielmehr geht es für die Seelsorger um das Da-Sein und ums Zuhören, Halt und Orientierung.
Sie erklären den Angehörigen auch die kommenden Schritte, dass ein zweiter Notarzt den Verstorbenen untersuchen wird, und dass die Polizei den Leichnam bei unklarer Todesursache auch beschlagnahmen kann. „Das sind Lagen, die hochsensibel sind und wir müssen schauen, dass wir die Betroffenen da mitnehmen“, erklärt Schilling. „Oftmals muss man auch das Schweigen aushalten können“, sagt Wolfgang Becker, Organisationsleiter der Notfallseelsorger, „das ist unheimlich schwierig“. Bei einem Einsatz kümmerte er sich um eine ältere Dame, die kein Wort mit ihm sprach. „Ich hab dann drei Stunden lang mit ihr den Rosenkranz gebetet. Das hat ihr geholfen“. Andere Menschen erzählen den Seelsorgern ihre Lebensgeschichte und Erinnerungen an den Verstorbenen. „Wir bleiben solange, bis die Menschen für den Augenblick wieder gefestigt sind“, sagt Hans-Peter Mattes, der katholische Beauftragte der Notfallseelsorger.
Bei ihrer Arbeit werden die Notfallseelsorger permanent mit Tod und Leid konfrontiert. Das geht auch an den Helfern nicht spurlos vorüber. So mancher Einsatz bleibt ihnen noch mehrere Tage im Kopf. „Wenn Eltern in das Grab ihrer Kinder blicken müssen oder eben auch schlimme Verbrechen geschehen, ist das für mich immer besonders schwer“, sagt Mattes. Es sei wichtig, Distanz zu halten. Nicht immer gelingt das. „Wenn man emotional zu nah ran kommt, wird das ein Problem“, sagt Mattes. Doch die Seelsorger haben Strategien, um mit den schwierigen Situationen klar zu kommen. „Nach dem Einsatz setzen wir uns zusammen, und besprechen den Einsatz“, sagt Becker. Sie schreiben ein Einsatzprotokoll, wechseln die Kleidung, gehen zuhause unter die Dusche. „Viele müssen sogar nach dem Einsatz wieder zurück zu ihrer Arbeitsstelle“, sagt Becker.
Hohe Belastung
Auch die Familien der Helfer spielen eine entscheidende Rolle: „Ich habe eine Absprache mit meiner Frau. Wenn sie bemerkt, dass ich mich zurückziehe, wird darüber gesprochen“, erklärt Schilling. Hilft das alles nicht, die Bilder aus dem Kopf zu verdrängen, steht dem Team auch ein Traumatologe zur Verfügung. Doch trotz der Belastungen kam für keinen der drei Helfer jemals in Frage, ihr Ehrenamt aufzugeben. „Das ist ein sehr sinnvolles Ehrenamt, bei dem man viel zurückbekommt“,so Mattes. Und so werden Mattes und seine Kollegen auch beim nächsten Mal ausrücken, wenn das Geräusch des Piepsers ertönt, um Menschen in Not Trost zu spenden.