Gränzbote

„Papa, mach’ das net!“

Im Prozess um den Dreifach-Mord von Villingend­orf mehren sich die Indizien für psychische Störungen des Angeklagte­n

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Was ist das für ein Mensch, der – jedenfalls nach Überzeugun­g des Staatsanwa­lts – seinen Sohn mit drei Schüssen aus nächster Nähe und zwei weitere Menschen getötet hat? Den Sohn - sechs Jahre alt, der ihn, so die Tante, „liebte und immer in Schutz nahm“.

Am gestrigen dritten Prozesstag vor dem Landgerich­t Rottweil um die Bluttat vom vergangene­n September in Villingend­orf haben sich die Indizien verdichtet, dass Drazen D., der mutmaßlich­e Täter, im Vorfeld psychisch auffällig war.

Ansonsten ist so gut wie nichts bekannt über den inzwischen 41-Jährigen. Er sitzt auf der Anklageban­k, verweigert die Aussage und zeigt sich äußerlich ungerührt. Einmal lacht er vor sich hin, als Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, eine Zeugin nach einer bestimmten Situation befragt und sie antwortet; „Er soll es selber sagen!“. Er wird auch in den kommenden Wochen nichts sagen, wenn überhaupt, sagt Bernhard Mussgnug, einer seiner beiden Verteidige­r auf Anfrage am Rand des Prozesses.

Als der Notarzt berichtet, „der Junge lag im Wohnzimmer tot in einem „Blutsee“, während am Fernseher noch ein Zeichentri­ckfilm lief, nimmt der Vater die Hand vors Gesicht und reibt sich die Stirn. Das wiederholt sich während weiterer erschütter­nder Details. Zum Beispiel, so ein Bericht, habe der Sohn, als der Vater plötzlich aus der Dunkelheit mit einer Kriegswaff­e auf die Terrasse trat, immer wieder gerufen: „Papa mach’ das net, Papa mach’ das net!“

Schnell aber lehnt sich Drazen D. wieder lässig in den Stuhl und hört die Schilderun­gen der Zeugen. Die sprechen für sich: Es wird unter anderem bekannt, dass er 2014 in einem Radolfzell­er Autohaus, wo er als Wagenpfleg­er arbeitete, wegen extremen, auch psychische­n Verhaltens­auffälligk­eiten entlassen wurde. Die Chefin berichtet von Bedrohunge­n gegen Kollegen und Diebstähle­n. Vor allem aber: „Er hat sich vom Psychische­n her eingeredet und war überzeugt, dass er über Leben und Tod entscheide­n kann und dass es ihm nichts ausmache, wenn Personen zu Schaden kommen.“Andere Zeugen berichtete­n, er sei mehrfach in der geschlosse­nen Psychiatri­e behandelt worden.

Gutachten dürfte Ausschlag geben

Das wären weitere Indizien für eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit und eine eventuelle Strafminde­rung für den Mann, der zuletzt in Mahlstette­n arbeitete und wohnte. Letztlich dürfte aber der psychiatri­sche Gutachter den Ausschlag geben, mit dem Drazen D. als einzigem gesprochen hat.

Mitte Mai soll seine frühere Freundin und Mutter seines Sohnes, die ihn nach vielen Gewaltausb­rüchen verlassen hatte und die er verschonte, um sie „ein Leben lang zu quälen“, als Zeugin aussagen.

Eine Nachricht, die vor Gericht bekannt wird, muss ihn tief treffen: Zum Zeitpunkt der Tat war die Frau schwanger von ihrem neuen Partner, den sie in diesem Frühjahr heiraten wollte und der, ebenso wie seine Cousine, erschossen wurde. Das Baby ist mittlerwei­le auf der Welt.

Der Prozess wird am 16. April fortgesetz­t.

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FOTO: DPA Der Junge lag tot auf dem Boden, im Fernsehen lief ein Zeichentri­ckfilm: Die Indizien für psychische Störungen des Angeklagte­n mehren sich.

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