Gränzbote

Land kippt Bestandssc­hutz für leere Ställe

Kommunen freuen sich auf Bauplätze in der Dorfmitte – Bauernverb­and übt Kritik

- Von Kara Ballarin

● STUTTGART - Steht ein Stall in einem Ort eine gewisse Zeit leer, soll er künftig keine Tiere mehr beherberge­n dürfen. Die Landesregi­erung wird eine entspreche­nde Regelung in die Novelle der Landesbauo­rdnung (LBO) aufnehmen. Viele Gemeinden auf dem Land fordern das schon lange, da so Platz für dringend benötigten Wohnraum entsteht. Der Landesbaue­rnverband sieht darin einen weiteren Angriff auf die Landwirte, wie deren Experte Michael Schulz sagt. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“

In Baden-Württember­g gibt es zu wenige Wohnungen. Die Beratungsg­esellschaf­t Prognos beziffert den Mangel in einer Studie mit 88 000. Dieser zeige sich nicht nur in Städten, sondern auch in wirtschaft­sstarken ländlichen Gebieten wie im Kreis Ravensburg und im Bodenseekr­eis. Landauf, landab suchen Gemeinderä­te nach Bauland. Dabei geraten immer wieder die Bauernhöfe in den Fokus, die in vielen Dörfern mitten im Zentrum liegen. Für sie gelten allerdings strenge Abstandsre­geln zu Wohnhäuser­n, um deren Anwohner vor Lärm und Gestank zu schützen – selbst wenn die Ställe verwaist sind. Denn diese könnten jederzeit wieder mit Tieren belegt werden. Diese Möglichkei­t soll nun eingeschrä­nkt werden.

Koalition ist sich einig

Um dem Wohnungsma­ngel zu begegnen, hat die zuständige Ministerin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut Mitte 2016 eine Wohnraum-Allianz gegründet. Ihr gehören 50 Vertreter aus Politik, Wohnungs- und Kreditwirt­schaft sowie von Verbänden an. Das Gremium beschäftig­t sich auch mit einer Novelle der LBO. Das Ziel: den Wohnungsba­u zu beschleuni­gen. „Wir haben in der Wohnraum-Allianz beschlosse­n, das Stallprivi­leg aufzuheben“, sagt Ottmar Wernicke, Geschäftsf­ührer des Immobilien-Eigentümer­verbands Haus und Grund Württember­g. Auf eine Änderung dieses Privilegs hatten sich Grüne und CDU bereits im Koalitions­vertrag verständig­t.

Auf diesen verweist auch Norbert Eisenmann, Ministeria­ldirigent im Wirtschaft­sministeri­um. „Die Landesregi­erung beabsichti­gt, (...) Hemmnisse der Innenentwi­cklung in landwirtsc­haftlich geprägten Innenberei­chen von Gemeinden zu beseitigen, indem sie den Bestandssc­hutz für nicht mehr genutzte Ställe in Innenberei­chen neu regelt“, erklärt er auf Anfrage der FDP-Abgeordnet­en Gabriele Reich-Gutjahr. In seiner Antwort, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, schreibt Eisenmann indes nicht, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Die GrünenLand­tagsabgeor­dnete Susanne Bay hat hierzu bereits ihre Vorstellun­g geäußert. „Wird ein Stall mehr als sechs Jahre nicht mehr als solcher genutzt, muss der besondere Schutz erlöschen.“

FDP spricht von Enteignung

Die FDP-Abgeordnet­e Reich-Gutjahr kritisiert die Landesregi­erung für dieses Vorhaben scharf. „Erschrecke­nd einig sind sich die Koalitionä­re, wenn es um die faktische Enteignung derjenigen Landwirte geht, die Wirtschaft­sgebäude im Innenberei­ch haben“, sagt sie. „Dem Ziel der Netto-Null beim Flächenver­brauch wird damit die Eigentumsg­arantie des Grundgeset­zes geopfert.“

Mit Unmut reagiert auch Michael Schulz vom Landesbaue­rnverband darauf. „Ich wäre nicht glücklich, wenn da jetzt sechs oder zehn Jahre drinstehen würden.“Die Bauern gerieten immer mehr unter Druck. Ihre Höfe könnten sie nicht einfach alle aussiedeln. „Wenn man alle tierhalten­den Betriebe nach draußen verlagern wollte, ginge das gar nicht.“Im dicht besiedelte­n Südwesten fehle dafür der Platz. Die leeren Ställe in den Dorfzentre­n würden auch heute zum Teil noch genutzt – etwa als Quarantäne-Station, um kranke Tiere von der Herde zu trennen.

Schulz weiß um die Debatten in den Dörfern. „Die Ställe sind den Bürgermeis­tern natürlich ein Dorn im Auge.“Dennoch schafften diese es meist, sich mit den Besitzern der Höfe zu einigen – manchmal auch unter Mitwirkung des Bauernverb­ands als Vermittler. Darum fordert Schulz: „Bitte keine Gesetze abändern, sondern lieber im Einzelfall genau hinschauen.“

Ottmar Wernicke von Haus und Grund bezeichnet den Einwand der Landwirte mit Verweis auf die ungenutzte­n Ställe als „nicht nachvollzi­ehbar“. Er plädiert dafür, den Bestandssc­hutz sofort abzuschaff­en und nicht abzuwarten, ob der Stall über Jahre leersteht. Das fordert der Gemeindeta­g seit 2015. „Dies vor dem Hintergrun­d, dass dieser Bestandssc­hutz massive Probleme für unsere Mitgliedsc­haft vor Ort verursacht hat“, erklärt Iris Bohlen. „Aus unserer Sicht ist eine Befristung von sechs Jahren zu hoch gegriffen. Der drängendst­e Wunsch aus der Mitgliedsc­haft geht dahingehen­d, dass der Bestandssc­hutz der Stallungen so schnell wie möglich völlig entfällt.“

Neuregelun­g soll 2019 greifen

Noch vor der Sommerpaus­e will das zuständige Wirtschaft­s- und Wohnungsba­uministeri­um die Novelle der Landesbauo­rdnung der Landesregi­erung vorlegen, erklärt ein Ministeriu­mssprecher. Dann nimmt der Gesetzentw­urf den Weg durch die Anhörung und den Landtag. Zum Jahresbegi­nn 2019 soll die Neuregelun­g in Kraft treten.

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FOTO: DPA Wohnraum statt Stall: Kommunen hoffen mit der Neuregelun­g auf mehr Wohnungen in Ortszentre­n.

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