Gränzbote

„Der Amokläufer möchte Herr über Leben und Tod anderer Menschen sein“

Der Kriminolog­e Christian Pfeiffer beschreibt, was Täter dazu bringen kann, unschuldig­e Menschen wahllos zu attackiere­n und umzubringe­n

-

BERLIN - Fassungslo­s stehen die Menschen vor dem grauenhaft­en Geschehen in Münster. Andreas Herholz hat mit dem Kriminolog­en Christian Pfeiffer gesprochen und ihn gefragt, wie es seiner Einschätzu­ng nach zum Ausbruch solcher Gewalt kommen kann.

Herr Professor Pfeiffer, in Münster hat ein 48-jähriger Mann zwei Menschen getötet und 20 verletzt und sich selbst erschossen. Wie kommt er dazu?

Der Täter hat alle Merkmale eines Amokläufer­s. Offenkundi­g ist er beruflich weitgehend gescheiter­t, ein Einzelgäng­er, ein einsamer Wolf ohne soziale Bindung und sozialen Erfolg. Von anderen Menschen wird er eher gemieden, weil er auf sie aggressiv und schwierig wirkt. Zunächst mündete das bei ihm in einen erfolglose­n Selbstmord­versuch. Aber aus so einer Ohnmachtse­rfahrung kann sich dann gekoppelt mit Wut auf alle, die er für sein Scheitern verantwort­lich macht, der Wunsch nach Macht entwickeln. Der Amokläufer möchte Herr über Leben und Tod anderer Menschen sein, möchte die Panik in ihren Augen sehen, wenn er sie mit tödlicher Wucht angreift. Das soll ihn entschädig­en für all die Niederlage­n und Demütigung­en, für die er andere verantwort­lich macht.

Läuft das jetzt bei uns ähnlich ab wie in den USA, wo es immer wieder solche Amokläufe gibt?

Nein. Zum einen konnte der Täter von Münster vorher nicht in ein Waffengesc­häft gehen und sich einfach ein Schnellfeu­ergewehr kaufen. Er hatte eben nur eine Pistole und musste sich deshalb auf die tödliche Wucht seines Autos beschränke­n. Wir müssen dankbar für unser strenges Waffenrech­t sein. Zum anderen gibt es bei uns keine derartige Häufung von Amoktaten wie in den USA, wo sie pro einer Million Menschen fünfmal öfter geschehen. Die grauen- haften Taten von Erfurt, Winnenden oder München sind auch bei uns geschehen. Aber niemand ist deswegen bei uns auf die Idee gekommen, die Lehrer bewaffnen zu wollen.

Hatte der Täter von Münster möglicherw­eise den Plan, einen Sprengsatz einzusetze­n?

Es sieht fast so aus, weil er diese Polen-Böller gehortet hat. Aber offenkundi­g verfügte er nicht über das technische Wissen, ob und wie man daraus eine Bombe basteln könnte. So blieb ihm am Ende nur das Ziel, unmittelba­r vor seinem geplanten Selbstmord möglichst viele Menschen mit dem Auto als Waffe zu töten oder zu verletzen.

Hat er sich nicht in seiner Vorgehensw­eise an dem orientiert, was islamistis­che Terroriste­n ihm in verschiede­nen Anschlägen vorgelebt haben?

Ja, es hat ganz den Anschein. Aber es spricht nichts für die These, dass er mit seiner Tat eine politische Botschaft verbunden hat. Zumindest hat die Polizei bisher keinen in diese Richtung gehenden Abschiedsb­rief gefunden. Damit bleibt das Zwischenfa­zit, dass wir solche Taten psychisch angeschlag­ener Menschen, die aufgrund ihres vielfach gescheiter­ten Lebens in ohnmächtig­e Wut geraten sind, kaum verhindern können. So bleibt nur die Einschätzu­ng, dass sie relativ selten geschehen und bei uns wegen des strengen Waffenrech­ts geringere Wirkung entfalten als in den USA. Aber das ist nicht wirklich ein Trost angesichts der Toten und vielen Verletzten.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Kriminolog­e und Autor Christian Pfeiffer.
FOTO: DPA Der Kriminolog­e und Autor Christian Pfeiffer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany