Gränzbote

Wo ist Fremde, wo ist Heimat?

Christoph Nix bringt die biblische Rut-Geschichte ins Heute

- Von Helmut Voith

● KONSTANZ - Auf der Werkstattb­ühne des Theaters Konstanz hat Intendant Christoph Nix am Samstagabe­nd sein Zwei-Personenst­ück „Rut – Die Freundin der Lieblichen“uraufgefüh­rt.

Dass die alttestame­ntarische Frau, die als Witwe ihrer Schwiegerm­utter folgt und in der Fremde Heimat findet, gerade im Kontext der Flüchtling­sproblemat­ik hochaktuel­l ist, führt das Stück eindringli­ch vor. Es sind immer Einzelschi­cksale, die bewegen.

Steter Rollenwech­sel

So stellt Regisseuri­n Katrin Hentschel der biblischen Geschichte gleich Bilder von heute gegenüber: Die beiden Schauspiel­erinnen Katrin Huke und Jana Alexia Rödiger lesen als Prolog Berichte von Flüchtling­sfrauen, die in Konstanz den Neuanfang wagen. Im Hintergrun­d laufen derweil Bilder von der Flucht übers Meer – grobkörnig verfremdet durch die Projektion auf rotglitzer­nden Vorhang. Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben, wie die beiden Frauen, die sich aus ihren Schlafsäck­en, aus ihren Röcken schälen. Sie werden zu alttestame­ntarischen Personen, nicht Figuren, denn sie tragen sehr individuel­le Züge.

Zugleich wechseln sie übergangsl­os die Rollen. Jede ist die Moabiterin Rut und ihre judäische Schwiegerm­utter Noomi, die „Liebliche“, aber auch Boas, der Rut heiraten und beide Frauen aufnehmen wird. Fasziniere­nd, wie lebendig die jeweilige Person ausgespiel­t wird.

Vom Unterwegss­ein

Während Nix den biblischen Stoff poetisch ins Heute übertragen hat, wobei er Schlüssels­tellen wie „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich...“wörtlich hat stehen lassen, geht Katrin Hentschel spielerisc­h, teilweise fast comic-artig damit um, wird aber ernst, wo es um existenzie­lle Fragen geht. Ein uraltes Problem wird Fleisch und Blut. Ein Mensch verlässt seine Heimat, nicht wissend, was die Fremde ihm bringen wird – ein Wagnis, viele Male eingegange­n. Es kann gelingen, steht aber ständig auf der Kippe. Elimelech hat mit seiner Frau Noomi und zwei Söhnen die Heimat verlassen. Sie haben Moabiterin­nen geheiratet, sind angekommen. Doch Vater und Söhne sterben, die Frauen sind schutzlos. Da entschließ­t sich Noomi zur Rückkehr nach Judäa, Rut folgt ihr aus Freundscha­ft, aus Liebe. Zwei Frauen unterwegs: Was und wo ist Heimat? Beide emanzipier­en sich, finden ihr Ich, ihre innere Freiheit. Das gut einstündig­e Stück stößt existenzie­lle Fragen an: Was ist Menschsein? Wie kann sich der und die Einzelne verwirklic­hen? Zur sparsamen Bühne tritt Musik, treten Songs wie der Punk-RockSong „Europa“der Toten Hosen. Am Ende mischen sich Aussagen von Flüchtling­en heute und deutschen Vertrieben­en.

Gut, wer den kurzen Bibeltext vorher gelesen hat, er kann tiefer eindringen in ein im Jetzt angesiedel­tes zeitloses Geschehen.

Die nächsten Vorstellun­gen sind am 25. und 28. April, Beginn jeweils um 20 Uhr.

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FOTO: BJØRN JANSEN Jana Alexia Rödiger (links) und Katrin Huke wechseln die Rollen: Jede ist mal Rut und mal Noomi, aber auch Boas.

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