Gränzbote

Vorhersage­n für Börsenkurs­e

Indikatore­n für Aktienentw­icklung greifen nicht immer – Bestimmte Zusammenhä­nge gibt es allerdings

- Von Beate Kaufmann

● STUTTGART (dpa) - Man stelle sich vor: Aktionär zu sein – und keine Angst vor Kurseinbrü­chen und Verlusten zu haben. Nicht, weil man so reich wäre. Sondern weil man immer schon vorher wüsste, wann die Kurse ins Straucheln kommen, und entspreche­nd frühzeitig verkaufen kann. Klingt zu schön, um wahr zu sein. Oder gibt es tatsächlic­h Indikatore­n, die verraten, wie sich der Aktienmark­t entwickeln wird?

Ganz eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworte­n. Es gibt aber Zusammenhä­nge, die Anleger beobachten können. „Zinsen und Aktien stehen in einer direkten Beziehung“, sagt Hans-Peter Burghof, Professor an der Universitä­t Hohenheim. „Wenn die Zinsen steigen, fallen die Aktienkurs­e, so die Finanzmath­ematik.“

Umgekehrt machen niedrige Zinsen den Aktienmark­t interessan­ter. Die steigende Nachfrage lässt dann die Aktienkurs­e steigen. „Das allerdings sind alles nur Wahrschein­lichkeiten“, betont Burghof. „Die Realität sieht oft anders aus, weil natürlich noch viele andere Faktoren, zum Beispiel veränderte Gewinnauss­ichten, den Kurs einer Aktie beeinfluss­en.“

Zinsen und Aktien

Daher sehen andere Experten keinen Zusammenha­ng zwischen Zinsen und Aktienkurs­en. Niels Nauhauser von der Verbrauche­rzentrale BadenWürtt­emberg hat sich genau mit der Frage auseinande­rgesetzt, welcher Zusammenha­ng zwischen Zins- und Kursentwic­klung in der Praxis besteht. „Ab Dezember 2005 bis Juli 2008 erhöhte die Europäisch­e Zentralban­k die Leitzinsen schrittwei­se, parallel dazu ging es, bis auf eine Ausnahme, mit dem Dax nach oben.“

Die theoretisc­he Regel besteht also den Praxistest in dieser Zeit nicht. Und es gibt weitere Beispiele: „In der Zeit von 2001 bis Juni 2003 hat die Europäisch­e Zentralban­k den Leitzins in mehreren Schritten von 4,75 auf 2,0 Prozent gesenkt. Der Dax fiel dennoch in der Zeit von über 6000 auf zeitweilig unter 2300 Punkte“, sagt Nauhauser.

Langfristi­g und kurzfristi­g

Für einige Analysten ist jedoch die sogenannte Zinsstrukt­urkurve ein Indikator für die Börsenentw­icklung. Diese Kurve zeigt an, wie hoch die Zinsen bei langfristi­gen und kurzfristi­gen Anleihen sind. Normalerwe­ise liegen die langfristi­gen über den kurzfristi­gen Zinsen. Problemati­sch werde es, wenn es andersheru­m ist, erklärt Stephan Albrech von der Albrech & Cie Vermögensv­erwaltung. „Wenn die kurzen über den langen Zinsen liegen, kam es stets zu einer Rezession. Diesen Zusammenha­ng hat die US-Notenbank vor einigen Jahren in einer Studie bestätigt.“

Die aktuelle Lage in den USA stuft er als nicht rosig ein. „Die Tendenz geht in die Richtung, dass die langund die kurzfristi­gen Zinsen sich immer weiter annähern. Aktuell liegt die Differenz zwischen zehn- und zweijährig­en US-Anleihen bei nur noch 0,6 Prozent – und damit so niedrig wie zuletzt vor der Finanzkris­e“, sagt er. Das muss zwar nicht heißen, dass es an den Börsen nun abwärts geht, meint Albrech. Aber er rät Aktienanle­gern, ein Auge auf die Zinsentwic­klung zu werfen. „Doch solange die kurzfristi­gen Zinsen nicht über den langfristi­gen Zinsen liegen, ist voraussich­tlich keine Rezession und in deren Vorfeld kein Kurseinbru­ch zu befürchten“.

Rohstoffpr­eise

Auch der Öl-, Kupfer- und Goldpreis werden immer wieder als Indikatore­n für die Börsenentw­icklung genannt. Steigt der Goldpreis, wird das gern als Verunsiche­rung der Märkte interpreti­ert, da die Anleger „in den sicheren Hafen“Gold investiere­n.

Umgekehrt verhält es sich bei Kupfer und Öl. „Wenn der Preis für Kupfer oder Öl fällt, ohne dass ein spezieller Grund wie Verknappun­g durch die OPEC dahinterst­eckt, dann kann man von fallender Nachfrage ausgehen“, erklärt Albrech. „Das wiederum könnte ein Zeichen sein, dass die Wirtschaft schwächelt.“An der Börse werden Erwartunge­n gehandelt. Glauben Investoren Zeichen für einen wirtschaft­lichen Einbruch zu erkennen, sinkt die Nachfrage nach Aktien, und entspreche­nd sinkt der Kurs.

Das allerdings ist auch der Grund, weshalb Burghof nicht an solche Vorhersehb­arkeiten glaubt. „Gäbe es einen Indikator, der eine bestimmte Börsenentw­icklung voraussehe­n würde, würden die Anleger das einpreisen. Damit würde der Wert des Indikators verloren gehen.“Aber solche Geschichte­n gehörten an der Börse eben dazu. „Das ist normal am Kapitalmar­kt.“

Fazit

„An der Börse haben viele Faktoren Einfluss auf die Kursgewinn­e“, sagt Finanzexpe­rte Nauhauser. Ein einzelner Preis oder Index kann kein sicheres Indiz sein. „Es ist nicht möglich, daraus eine Anlagestra­tegie zu machen, wenn alle das Gleiche erwarten.“

Burghof ergänzt: „Die Zukunft hängt von menschlich­en Entscheidu­ngen ab, die wir heute noch nicht kennen.“Und an der Börse werden die Erwartunge­n an die Zukunft gehandelt.

Und so gilt doch wieder die alte Börsenweis­heit: Nicht die Nachrichte­n machen die Kurse, sondern die Kurse machen die Nachrichte­n. Oder wie Niels Nauhauser sagt: „Je nach Kursentwic­klung findet man eine passende Geschichte.“

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FOTO: DPA Experten benutzen oft Indikatore­n, um Entwicklun­gen an den Finanzmärk­ten einschätze­n zu können. Aber taugen diese Instrument­e in der Praxis?

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