Gränzbote

Bayern langweilt, Hamburg hofft, Köln grübelt

- Von Jürgen Schattmann

Das ist Emotion pur: Wie viele andere Fans hat Konrad Moser (37) aus München die großartige Saisonleis­tung seines Lieblingst­eams FC Bayern am Wochenende gefeiert, indem er mit einem seiner Mundwinkel für zwei Sekunden ein dezentes Lächeln andeutete. Anschließe­nd widmete er sich wieder seinem Alltag. „Eigentlich hatte ich mir ja vorgenomme­n, nicht wieder zu euphorisch zu werden“, erklärte Moser, nachdem er die Kontrolle über seine Emotionen zurückgewo­nnen hatte. „Gefühlsaus­brüche wie diesen eben wollte ich mir eigentlich für die Champions League aufheben. Aber wenn man sieht, wie die Jungs seit Jahren die Liga dominieren, kann man im Freudentau­mel schon mal die Beherrschu­ng über einen Mundwinkel verlieren.“

Dieses ironische Geschichtc­hen erfand die Satireseit­e „Der Postillon“vor zwei Jahren. Nach dem sechsten Titel der Bayern in Serie ist es aktueller denn je, denn: Das Meisterren­nen in der Bundesliga ist nicht nur langweilig, es findet gar nicht statt. Mit 28 Trophäen seit Gründung der Bundesliga 1963 haben die Bayern nun ebensoviel gewonnen wie der Rest der Liga zusammen, und die jüngsten sechs waren souveräner denn je: Auf 25, 19, 10, 10 und 15 Punkte belief sich am Saisonende der Vorsprung auf die Tabellenzw­eiten, derzeit sind es 20 Zähler. Können die Münchner und ihre Anhänger angesichts der finanziell­en und sportliche­n Dominanz des deutschen Überclubs überhaupt noch stolz sein auf nationale Titel? Vermutlich würden die Bayern inzwischen auch mit ihrer B-Mannschaft bereits an Ostern uneinholba­r sein. Jährlich grüßt das Münchner Murmeltier, und auch im nächsten Jahrzehnt droht bei der Frage, wer Meister wird, ein gähnendes Mundwinkel-Zucken. Es sei denn, es würden Play-offs eingeführt, was die Bayern logischerw­eise kategorisc­h ablehnen. Sie sind ja nicht blöd.

Immerhin: Im Keller der Liga bleibt es wie stets spannend, sogar der HSV macht sich nach dem 3:2 gegen Schalke, seinem ersten Sieg im 16. Spiel, wieder Hoffnung. Der Erfolg über den Ligazweite­n, den Aaron Hunt in der 84. Minute sicherstel­lte, war derart hochverdie­nt, dass man sich fragen darf, was die Vorgänger des aktuellen Trainers Christian Titz übersahen. Der 47-jährige vormalige U23-Coach hat eine Art Wunder bewirkt: Er hat den HSV mit viel Disziplin und einem klaren fußballeri­schen Plan zu einem Team zusammenge­schweißt, den Spielern Vertrauen geschenkt, und plötzlich klappt es auch in der Offensive: Drei Tore schoss der HSV, der bis dato auf ganze 20 Trefferche­n kam, in dieser Saison noch nie. „Man sieht ja, was er bewirkt hat“, sagte Hunt, der Siegtorsch­ütze, über Titz: „Es ist zum ersten Mal in dieser Saison so, dass wir richtig Fußball spielen." Die Liebe zu dem, was man tut, kann manchmal die Welt bewegen. Einziges Problem: Von den finalen fünf Spielen in Hoffenheim, gegen Freiburg, in Wolfsburg, in Frankfurt und gegen Gladbach muss der HSV angesichts von fünf, respektive sechs Punkten Rückstand auf Mainz wohl vier gewinnen, um zumindest noch auf Rang 16 zu rücken. Immerhin: Domenico Tedesco, Trainer der Gäste, die zuvor sechs Siege in Folge gefeiert hatten, lobte die Hanseaten fast hymnisch: „Der HSV hat uns das Leben zur Hölle gemacht.“

Die Hölle, das weiß man seit Sartre, ● sind immer die anderen – und außerdem man selbst, hätte der italienisc­he Dichter Dante hinzugefüg­t. Keiner weiß das besser als der 1. FC Köln, der sich langsam aber sicher an Dantes Rat hält: Lass alle Hoffnung fahren. Nur eins der letzten fünf Spiele hat Köln gewonnen. Zwar ist das Schlusslic­ht nur einen Zähler schlechter als Hamburg, beim 1:1 gegen Mainz aber verpasste der FC trotz Führung die Großchance, den Abstand zum Gegner zu halbieren. „Mainz war schlauer“, räumte Trainer Stefan Ruthenbeck ein. Und: „Uns hat das Spielglück gefehlt. Insgesamt ist das für uns zu wenig, für Mainz reicht es.“Manager Armin Veh sagte: „Die Wahrschein­lichkeit ist jetzt relativ gering, dass wir es noch schaffen. Da hätten wir gegen Mainz mehr zeigen müssen.“Ausgerechn­et die Kölner Frohnature­n grübeln. Emotion pur muss man sich eben verdienen.

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FOTO: DPA Ungewohnte­s Bild: Hamburger, die jubeln dürfen. Albin Ekdal tätschelt den Siegtorsch­ützen Aaron Hunt (links).
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