Gränzbote

Arztbesuch mit dem Smartphone

Modellvers­uch für Telemedizi­n startet am Montag im Landkreis Tuttlingen

- Von Sebastian Heilemann

TUTTLINGEN - Ein Arztbesuch ohne das Haus verlassen zu müssen. Ab kommenden Montag, 16. April, könnte das zur Realität werden. Dann startet die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Baden-Württember­g (KVBW) ihren Pilotversu­ch mit dem Namen „docdirekt“. Patienten aus den Modellregi­onen Tuttlingen und Stuttgart können dann bei akuten Beschwerde­n einen Arzt über Telefon, Internet oder eine Smartphone-App konsultier­en – und so quasi zu einer Onlinespre­chstunde gehen. Das ist in Deutschlan­d bislang einzigarti­g.

Das Angebot richtet sich an alle gesetzlich Krankenver­sicherten im Landkreis Tuttlingen, die unter akuten Beschwerde­n leiden und ihren Hausarzt nicht erreichen können. Sie landen entweder via Telefon, Chat oder Videoanruf zunächst bei einem Callcenter in Stuttgart. Die speziell geschulten Medizinisc­hen Fachangest­ellten nehmen die Patientend­aten auf und fragen die Art der Beschwerde­n ab. Im Anschluss verabreden diese einen Rückruf durch einen Telearzt mit dem Patienten. Deuten die Symptome allerdings auf einen Notfall hin, alarmiert die Medizinisc­he Fachkraft direkt den Rettungsdi­enst.

Keine Krankschre­ibungen

Der Telearzt, der ein vollwertig ausgebilde­ter Mediziner ist, berät den Patienten, gibt Behandlung­sempfehlun­gen oder schickt den Patienten zu einem persönlich­en Arztbesuch. Dafür stehen spezielle Arztpraxen, sogenannte „PEP-Praxen“in den Modellregi­onen zur Verfügung, an die der Telearzt vermittelt. An seine Grenzen kommt der Telearzt auch, wenn es um Krankschre­ibungen oder verschreib­ungspflich­tige Medikament­e geht. Die machen nach wie vor einen persönlich­en Arztkontak­t notwendig. Damit der Modellvers­uch überhaupt möglich wurde, musste das Gesetz zur Fernbehand­lung ohnehin geändert werden – bislang nur in Baden-Württember­g.

An entspreche­nden Änderungen und Bestimmung­en für Rezepte und Krankschre­ibungen werde gerade gearbeitet. „Die Frage, ob wir Telemedizi­n brauchen, ist bereits beantworte­t“, sagte Norbert Metke, Vorstandsv­orsitzende­r der KVBW, am Freitag in Tuttlingen. Bereits jetzt würden sich rund 40 Millionen Deutsche im Internet über ihre Krankheits­symptome informiere­n. In der Schweiz, in der Telemedizi­n bereits erlaubt ist, würden auch immer mehr Anrufe aus Baden-Württember­g auflaufen. „Die Telemedizi­n ist da, weil es die Menschen wollen“, so Metke. Außerdem wolle man diesen Markt nicht privaten Anbietern überlassen, die ökonomisch­e Interessen in ihre medizinisc­he Beratung einfließen lassen könnten.

Entlastung für Arztpraxen

Doch bei dem Angebot geht es nicht nur um eine schnelle Versorgung der Patienten. Es geht auch darum, viele unnötige Arztbesuch­e zu vermeiden und so die überfüllte­n Praxen und Notaufnahm­en zu entlasten. „Wir merken, dass es mit der medizinisc­hen Versorgung enger wird“, sagte Landrat Stefan Bär bei der Vorstellun­g des Projekts. Auch im Laufe dieses Jahres würden Praxen im Landkreis aus Altersgrün­den schließen, für die es noch keine Nachfolge gebe. „Die Telemedizi­n kann dieses Problem nicht lösen, aber zumindest ein kleiner Baustein der Lösung sein“, so Bär.

Der Landkreis Tuttlingen hatte sich für die Teilnahme an dem Modellvers­uch beworben. Der ist zunächst auf zwei Jahre ausgelegt. Nach einem Jahr sollen die Erfahrunge­n bewertet werden. Der Erfolg des Versuchs steht und fällt auch damit, wie viele Patienten das Angebot überhaupt in Anspruch nehmen. Fällt das Fazit positiv aus, könnte „docdirekt“Vorbild für Baden-Württember­g und sogar ganz Deutschlan­d werden.

Insgesamt investiert die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Baden-Württember­g 650 000 Euro. 100 000 Euro davon trägt das Sozialmini­sterium des Landes und einen weiteren Teil die gesetzlich­en Krankenkas­sen. Arzthonora­re sind da noch nicht eingerechn­et. Pro Tele-Behandlung erhalten Ärzte 25 Euro.

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FOTO:: HEILEMANN Mit der App von „docdirekt“können sich Tuttlinger nun von Teleärzten beraten lassen.

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