Gränzbote

Der Erinnerung ganz nah

Tuttlinger Delegation besucht Israel und erhält bewegende Eindrücke

- Aus Israel berichtet Christian Gerards

JERUSALEM - Eine rund 20-köpfige Delegation der Stadt Tuttlingen besucht noch bis Sonntag Israel. Ihr Ziel ist es, die Erinnerung­skultur an die Gräueltate­n der Nationalso­zialisten an den europäisch­en Juden aufrecht zu erhalten. Während am Freitag die Feiern zum 80-jährigem Bestehen des Dorfes Shavei Zion anstanden (wir berichten noch), stand am Donnerstag der Besuch der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem und ein Gespräch mit dem Franziskan­erPater Gregor im Österreich­ischen Hospiz zur Heiligen Familie in Jerusalem an.

Die Tuttlinger Delegation kam zu einem denkwürdig­en Datum in Yad Vashem an. Am Donnerstag begingen die jüdischen Israelis mit ihrem Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanyahu den Holocaust-Erinnerung­stag. Entspreche­nd viele Menschen besuchten an diesem Tag die Gedenkstät­te. Die Tuttlinger Delegation schaute sich die Ausstellun­g tief ergriffen an. Die Juden seien jahrhunder­telang verfolgt worden, doch der Holocaust sei laut Fremdenfüh­rer Elias Kronstein „die größte Katastroph­e“gewesen. Auch die Völkermord­e in Ruanda und Kambodscha hätten diese Dimensione­n nicht erreicht.

Ergriffene Stadträte

Nach der rund zweieinhal­bstündigen Führung durch die Ausstellun­g zeigte sich Stadtrat Hans Roll beeindruck­t: „Es fällt ganz schwer Worte zu finden. Am Besten verarbeite­t man das mit Schweigen“, sagte er. Auch Cornelia Seiterich-Stegmann, die sich schon viele Konzentrat­ionslager angeschaut hat, fand den Besuch „außerorden­tlich bewegend und berührend“. Es verschlage einem den Atem. Sie fand es beeindruck­end, dass „die Perfidie des reinen Vernichtun­gslagers in einem kleinen Modell von Auschwitz-Birkenau sehr deutlich geworden ist“. Ähnlich sah es auch Oberbürger­meister Michael Beck, der ebenfalls von bedrückend­en Eindrücken sprach.

Am Abend besuchte die Delegation das Österreich­ische Hospiz, in dem Pater Gregor, der ursprüngli­ch aus Baden stammt, aber bereits seit fast 20 Jahren in Jerusalem lebt, ihre Fragen zur aktuellen Situation in Israel beantworte­te. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass die Menschen stark in ihrer Religion verhaftet sind und auch darin ihren sozialen Umgang finden. Jerusalem sei daher eine Stadt mit ganz vielen Inseln. „Die Bevölkerun­gsgruppen lieben sich nicht, haben aber gelernt miteinande­r zu leben“, sagte er. Ein negatives Aufeinande­rprallen der Religionen würde vor allem durch diejenigen erfolgen, die von außen nach Israel kommen würden. Schließlic­h habe die Stadt für Juden, Moslems und Christen eine große Bedeutung. Es sei viel wert, ein friedliche­s Nebeneinan­der zu haben. Ein integriere­nder Faktor sei der Militärdie­nst, der für Männer drei und für Frauen zwei Jahre dauert.

Konfliktlö­sung nicht in Sicht

Er geht davon aus, dass die relative Instabilit­ät des Landes auch in der Zukunft bleibt: „Ich sehe keine praktikabl­e Lösung.“So würde etwa der Holocaust-Gedenktag bei den Juden Trauer hervorrufe­n: „Die Moslems interessie­rt das nicht.“Auch sei der Nationalfe­iertag für die einen ein Grund zur Freude, für die anderen ein Grund zur Trauer. Eine Lösung des Konflikts sehe er nur in zwei charismati­schen Persönlich­keiten aufseiten der Juden und Moslems, die an einer einvernehm­lichen Lösung interessie­rt seien.

Pater Gregor, dessen Aufgabe die Betreuung von Pilgern und der Heiligen Stätten des Christentu­ms ist, zeigte auf, dass es einen christlich­en Zuwachs an Menschen in Israel gebe. Derzeit liege ihr Anteil bei rund einem Prozent. Die Menschen seien in dem Land viel religiöser als etwa in Deutschlan­d: „Hier ist es normal, dass man religiös ist“, sagte er. Es gebe Kontakte zwischen den einzelnen Glaubensri­chtungen, aber nicht in den verschiede­nen Gotteshäus­ern.

Mit Blick auf den Bürgerkrie­g in Syrien verdeutlic­hte Pater Gregor, dass die Israelis darüber nicht so ganz unglücklic­h seien: „Dann kommt Syrien nicht auf die Idee, auf den Golan einzumarsc­hieren“, sagte er. Die Israelis würden eher auf die Politik des Irans schauen. Insgesamt gebe es in dem Land eine große Politikver­drossenhei­t. Sie sei noch größer als in Deutschlan­d.

Keine Angst

Angst davor, Opfer eines religiösen Konflikts zu werden, habe der Pater nicht: „Ich habe mehr Angst davor, mit dem Fahrrad im Straßenver­kehr unterwegs zu sein.“Die Kriminalit­ät sei aus seiner Sicht geringer als die in Deutschlan­d. Beck zeigte sich davon überrascht, dass der Pater zur Erkenntnis gekommen ist, dass die Religionen besser miteinande­r auskommen, wenn sie nebeneinan­der herleben. In Deutschlan­d werde immer versucht, den Dialog zu suchen und damit eine bessere Welt zu schaffen.

Die Kosten der Reise werden zu einem großen Teil von den Teilnehmer­n privat bezahlt. Für den Berichters­tatter unserer Zeitung übernimmt der Verlag die Kosten.

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FOTO: CHRISTIAN GERARDS Die städtische Delegation besuchte unter der Führung von Elias Kronstein (Mitte) am Donnerstag die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem bei Jerusalem.

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