Gränzbote

Abholzen verboten!

Europäisch­er Gerichtsho­f verurteilt Polen zu mehr Schutz für Unesco-Welterbe von Bialowieza

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Mit der Fällung von Bäumen im streng geschützte­n Bialowieza-Urwald (Foto: AFP) verstößt Polen gegen das EU-Naturschut­zrecht. Das entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f am Dienstag. Die Ausbreitun­g des Borkenkäfe­rs rechtferti­ge die Abholzung nicht. Die Richter entsprache­n damit einer Klage der EU-Kommission in vollem Umfang. Im Urwald leben 20 000 Spezies, darunter 250 Vogel- und 62 Säugetiera­rten. Auch Europas größte Bäume, 50 Meter hohe Tannen, stehen dort.

LUXEMBURG (dpa/AFP) - Bisons und Elche zwischen grünem Geäst, turmhohe Tannen und Eichen, moosig-modriges Totholz auf verwunsche­nen Lichtungen: Der Bialowieza-Wald im Osten Polens gilt als einer der letzten intakten Urwälder Europas mit einer beispiello­sen Vielfalt an Pflanzen und Getier. Mit der umstritten­en Abholzung von Bäumen dort verstößt Polen gegen das Naturschut­zrecht. Das entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg in einem am Dienstag verkündete­n Urteil. Die Ausbreitun­g des Borkenkäfe­rs rechtferti­ge nicht den Bewirtscha­ftungsplan und die Abholzung, hieß es zur Begründung. Bei einem Verstoß gegen das Urteil drohen Polen hohe Bußgelder. Umweltverb­ände und Parteien befürworte­ten die Entscheidu­ng.

Worum ging es vor dem EuGH?

Die EU-Kommission hatte die polnische Regierung 2017 wegen Verstößen gegen EU-Naturschut­zrecht verklagt. Der Bialowieza-Wald, der sich von Polen weit nach Weißrussla­nd erstreckt, ist nicht nur Unesco-Weltnature­rbe. Auf polnischer Seite sind rund 63 000 Hektar als Natura-2000Gebiet auch nach EU-Recht besonders geschützt. Der Urwald ist wegen seltener Tierarten ein „Gebiet von gemeinscha­ftlicher Bedeutung“. Nach Auffassung der EU-Kommission handelt es sich um einen der am besten erhaltenen Naturwälde­r Europas. Das bedeutet unter anderem strenge Auflagen für die Forstwirts­chaft. Die polnische Regierung erlaubte trotzdem 2016, in dem Urwald fast dreimal so viel Holz einzuschla­gen wie vorher. Allein 2017 wurden 150 000 Bäume gefällt.

Welche Bedeutung hat der Wald für Tiere und Pflanzenwe­lt?

Im gesamten Wald sind 20 000 Spezies zu Hause, darunter 250 Vogelund 62 Säugetiera­rten – wie zum Beispiel Europas größter Säuger, der Wisent. Auch Europas größte Bäume, 50 Meter hohe Tannen, stehen im Bialowieza-Urwald. Das Natura-2000-Netz verbindet Schutzgebi­ete in der gesamten EU und macht mehr als 18 Prozent der EU-Landfläche sowie sechs Prozent der Meeresfläc­he aus. Besucher dürfen sich nur auf bestimmten Routen bewegen.

Wieso hat Polen die Abholzung vorangetri­eben?

Die Regierung begründete das Abholzen so vieler Bäume damit, den Urwald vor einer Borkenkäfe­rplage zu schützen. Außerdem wurde der Schutz „öffentlich­er Sicherheit“angeführt, also etwa die Abwehr von Brandrisik­en. Bis heute ist Polen der Auffassung, auch nach EU-Recht legal gehandelt zu haben. Die Abholzungs­arbeiten fanden auch in Gebieten statt, die laut EuGH „bis dahin von jeglichen Eingriffen ausgenomme­n waren“. Naturschüt­zer vermuteten Profitinte­ressen hinter der verstärkte­n Forstwirts­chaft.

Wie ist das EuGH-Verfahren ausgegange­n?

Die obersten EU-Richter haben sich voll hinter die Position der Kommission gestellt und das Vorgehen Polens für rechtswidr­ig erklärt. Dass es darauf hinauslauf­en könnte, hatte sich schon angedeutet: In einer vorläufige­n Entscheidu­ng im Dezember verlangte das Gericht von Polen bereits den Stopp des Holzeinsch­lags und drohte für den Fall der Nichtbeach­tung mit 100 000 Euro Zwangsgeld pro Tag. Polen stellte die Arbeiten daraufhin ein. Jetzt folgte die rechtliche Bewertung im Hauptsache­verfahren. Dabei bestätigt der EuGH, dass die Fällaktion EU-Recht verletzt habe, genauer: die Habitatund die Vogelschut­zrichtlini­e. Fortpflanz­ungsund Ruhestätte­n gefährdete­r Arten seien bedroht. Der Kampf gegen Borkenkäfe­r sei keine Rechtferti­gung. Die Maßnahmen führten zur Zerstörung eines Teils des Naturschut­zgebiets, könnten also nicht dem Erhalt dienen.

Wie wird sich Polen verhalten?

Man werde das Urteil respektier­en, betonte Umweltmini­ster Henryk Kowalczyk, der erst seit einigen Wochen im Amt ist und weit versöhnlic­her auftritt als sein Vorgänger Jan Szyszko. Trotzdem bleiben polnische Umweltakti­visten skeptisch und sehen die Gefahr noch nicht gebannt. Sie verweisen unter anderem darauf, dass nicht der gesamte Urwald auf polnischer Seite unter Schutz steht. Die örtlichen Forstämter würden weiter holzen und so den ursprüngli­chen Charakter des Urwalds verändern, sagt die Organisati­on zum Schutz des Bialowieza-Urwalds voraus.

Wie wird sich die EU-Kommission verhalten?

Die EuGH-Entscheidu­ng nehme man positiv zur Kenntnis und freue sich auf die Umsetzung, erklärte Umweltkomm­issar Karmenu Vella. Tatsächlic­h dürfte die Kommission sehr streng auf Einhaltung achten. Im Fall von Verstößen könnte sie in einem neuen Verfahren Zwangsgeld­er gegen Polen beantragen.

Wie nehmen Naturschüt­zer und Politiker das Urteil auf ?

Umweltschü­tzer sowie Grüne und SPD reagierten erfreut auf den Richterspr­uch. „Mit dem Urteil wurde ein Angriff auf ein einzigarti­ges Naturdenkm­al abgewehrt“, erklärte die Organisati­on WWF. Das sei ein „wichtiges Signal für den Naturschut­z in Europa“. Die Grünen-Europaabge­ordnete Rebecca Harms nannte das Urteil einen Erfolg der vielen Aktivisten, „die in den letzten Jahren gegen die Zerstörung eines der letzten intakten Urwälder Europas gekämpft haben“. Die SPD-Europapoli­tikerin Susanne Melior zeigte sich erfreut, „dass ein Bruch des europäisch­en Rechts nicht toleriert wird“. Die wenigen Urwälder in Europa seien „zu kostbar, um sie der Kettensäge zu opfern“. Die Regierung in Warschau müsse das Urteil nun rasch umsetzen.

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FOTOS: AFP Nach Auffassung der EU-Kommission handelt es sich beim Bialowieza­Urwald um einen der am besten erhaltenen Naturwälde­r Europas. Im oberen Bild ist eine Fichte zu sehen. Gegen die Abholzung gab es massive Proteste von Umweltschü­tzern (Bild unten).
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