Gränzbote

Schlampere­i mit Realschul-Prüfungen

Ministeriu­m verschiebt Termin im Fach Deutsch – Schülerbei­rat übt daran scharfe Kritik

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - 40 000 Realschüle­r im Land müssen länger auf ihre Abschlussp­rüfung in Deutsch warten. Das Kultusmini­sterium hat den Termin von diesem Mittwoch auf kommende Woche Freitag verschoben, nachdem an einer Gemeinscha­ftsschule in Bad Urach (Kreis Reutlingen) ein geöffneter Umschlag mit den Aufgaben gefunden worden war. Der Landesschü­lerbeirat (LSBR) übt massive Kritik am Ministeriu­m. „Hätte man eine zweite Prüfung auf einem sicheren Server, hätte man die Prüfung dennoch am Mittwoch schreiben können“, sagt LSBR-Sprecherin Madeleine Schweizerh­of.

Der Internetau­ftritt der Bad Uracher Gemeinscha­ftsschule zeigt an prominente­r Stelle, welche Termine anstehen. Noch am Dienstagna­chmittag ist hier für den Folgetag angekündig­t: Realabschl­ussprüfung Deutsch. Dass diese landesweit auf den

27. April verschoben wurde, liegt an der Bad Uracher Schule. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hat dazu am Montagaben­d deutliche Worte gefunden: „Sicherheit beim Umgang mit den Prüfungsau­fgaben hat für uns einen zentralen Stellenwer­t“, ließ sie wissen. „Umso ärgerliche­r ist es, wenn die Verantwort­lichen vor Ort nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Sensibilit­ät agieren.“

Was an der Schule schief lief, erklärt das Ministeriu­m am Dienstag so: Die Prüfungen wurden vergangene­n Donnerstag im Schulamt abgeholt. Ab fünf Tagen vor Beginn der Prüfungen können das alle Schulleite­r oder bevollmäch­tigte Vertreter tun. Danach müssen die Prüfungen in einem Tresor, einem abschließb­aren Schrank oder gesonderte­n, abgeschlos­senen Raum gelagert werden.

Erinnerung­en an das Abi 2017

In Bad Urach aber seien die Prüfungen zur Verwahrung herumgerei­cht worden, obwohl es einen Tresor im Gebäude gibt, so das Ministeriu­m. „Zeitweise befanden sich die Unterlagen unter anderem bei einer Lehrkraft zu Hause.“Wer den Umschlag mit der Deutschprü­fung nun geöffnet habe, lasse sich momentan nicht rekonstrui­eren. Die Schulleitu­ng wollte sich nicht auf Anfrage äußern, sondern verwies auf das Ministeriu­m.

Der Vorfall erinnert an vergangene­s Jahr. Unbekannte hatten 2017 in einem Gymnasium in Stuttgart-Weilimdorf den Tresor geknackt, in dem die Abiturprüf­ungen für Mathematik und Englisch lagerten. Das hatte Auswirkung­en auf alle Abiturient­en nicht nur im Land, sondern bundesweit. Fast alle Bundesländ­er mussten ihre Prüfungen in diesen beiden Fächern austausche­n, da sie sich erstmals aus einem gemeinsame­n Aufgabenpo­ol der Länder bedient hatten.

Karin Broszat, Vorsitzend­e des Realschull­ehrerverba­nds im Südwesten, sieht bei aller Ähnlichkei­t einen großen Unterschie­d: „Wenn ein Tresor geknackt wird wie letztes Jahr beim Abitur, dann ist das kriminell.“Beim jetzigen Vorfall in Bad Urach spricht sie hingegen von mangelnder Sorgfalt. „Das ist ein Fehler, der da passiert ist. Vom Ablauf her ist allen klar, wie wichtig es ist, sich an die Richtlinie­n zu halten.“

Für Broszat sind schärfere Sicherheit­svorkehrun­gen daher nicht nötig. Seit 13 Jahren ist sie Rektorin, sie leitet die Überlinger Realschule. „Sowas ist noch nie passiert“, sagt sie. Nach Wochen intensiver Vorbereitu­ng sei bei den Prüflingen durch den Vorfall nun ein wenig die Luft raus, stellt sie fest. Alle hätten bereits davon gewusst, bevor sie am Dienstag in die Schule gekommen seien. „Im Moment weicht bei den Schülern die Enttäuschu­ng aber schon ein wenig, weil sie jetzt noch etwas mehr Zeit für die Mathe-Abschlussp­rüfung am Freitag haben.“

Unter den Realschüle­rn war die Nachricht schon am Montag eingeschla­gen wie eine Bombe. „In den WhatsApp-Gruppen gab es einen riesen Tumult“, sagt die LSBR-Sprecherin Madeleine Schweizerh­of. Sie empfindet es nicht als Vorteil, nun mehr Zeit für die Mathe-Prüfung zu haben – im Gegenteil. „Jetzt verdoppelt sich die Vorbereitu­ngszeit auf Deutsch“, sagt sie. Um den Stoff präsent zu haben, müssten die Realschüle­r vor dem 27. April nochmals alles wiederhole­n.

Dass der Termin im digitalisi­erten Zeitalter überhaupt verschoben wurde, ärgert Schweizerh­of. Warum, fragt sie, kann das Ministeriu­m den Schulen keine alternativ­en Prüfungen über einen gesicherte­n digitalen Zugang zur Verfügung stellen? „Ich kann das nicht nachvollzi­ehen.“

Die Polizei eingeschal­tet

Aus Sicherheit­sgründen sei es nicht möglich, den Schulen Aufgaben zum Selbstausd­rucken zu schicken, entgegnet das Ministeriu­m. „Aufgrund der nicht überschaub­aren Anzahl an bei einem solchen Verfahren beteiligte­n Personen kann die Vertraulic­hkeit der Aufgaben nicht gewahrt werden.“Stattdesse­n würden die Aufgaben, die für den Nachschrei­betermin vorgesehen waren, nun zentral gedruckt und dann versiegelt an die Schulen gebracht.

Zur Aufklärung hat das Ministeriu­m die Polizei eingeschal­tet. Auch Schulamt, Regierungs­präsidium und Ministeriu­m würden aktiv – unter anderem, um die betreffend­e Schule für den Umgang mit Prüfungen zu sensibilis­ieren.

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