Gränzbote

Flucht vor der eigenen Vergangenh­eit

„A Beautiful Day“– Exzellente­r Rachethril­ler mit Joaquin Phoenix

- Von Fabian May

J● oe ist Söldner und Spezialist für Kindesentf­ührungen. Der alternde Mann hat im Krieg erlebt, wie Kinder einander wegen eines Schokorieg­els töten. Als FBI-Agent hat er ebenfalls mehr als genug Kinderleic­hen für ein Menschenle­ben gesehen. In seinem dritten Berufslebe­n nun tötet er Männer und rettet Kinder. Immer wieder kämpft er so gegen die Urszene seines Lebens an: den Missbrauch durch den eigenen Vater. Diesen verstörten Veteran verkörpert Charakterd­arsteller Joaquin Phoenix in dem sehenswert­en Rachethril­ler „A Beautiful Day“.

Ein New Yorker Senator engagiert Joe, weil seine minderjähr­ige Tochter Nina von einem Pädophilen-Ring gefangen gehalten wird. Joe schlägt routiniert zu, hinterläss­t keine Zeugen. Doch nachdem er die apathische Nina huckepack aus dem Schlachtha­us getragen hat, werden beide von Killerkomm­andos in Empfang genommen anstatt von Ninas Vater.

Farbsatte, sehr unmittelba­r wirkende New-York-Aufnahmen, der Selbstjust­iz-Feldzug eines traumatisi­erten Veteranen – viele Cineasten fühlen sich da an Martin Scorseses Kinoklassi­ker „Taxi Driver“aus den 1970er-Jahren mit Robert De Niro erinnert. Dessen Eröffnungs­fahrt durch die Stadt wird in Ramsays Film auch zitiert. Naheliegen­d, ihn als „Taxi Driver des 21. Jahrhunder­ts“zu vermarkten. Dieses Etikett ist allerdings irreführen­d. „A Beautiful Day“ist nämlich etwas sehr Eigenes. Ein Film, der sich Zeit nimmt und auf Bilder mit Sogwirkung setzt, um sinnlich zu überwältig­en. Die Sets sind bevölkert von absichtsvo­llen Details und Figuren, die ein echtes Eigenleben haben, auch wenn sie nicht lange zu leben haben. Joe stolpert durch Großstadtv­erkehr, durch mitgehörte Gespräche aus anderen Leben und läuft unversehen­s einer Gruppe ausgelasse­ner Asiatinnen in die Arme. Sie bitten Joe, ein Foto von ihnen zu machen. Schon für diese scheinbar zufälligen, für sich stehenden Seitengesc­hichten lohnt sich dieser Film. Und für den vielseitig­en Soundtrack des Radiohead-Gitarriste­n Jonny Greenwood.

Bei dem Thema Kindesmiss­brauch ist „A Beautiful Day“ungewöhnli­ch diskret. Hier wird nicht alles exzessiv ausbuchsta­biert; das ist erfreulich unzeitgemä­ß.

Phoenix bekam für seine Rolle 2017 auf dem Filmfestiv­al in Cannes den Preis als bester Schauspiel­er. Die schottisch­e Independen­t-Filmemache­rin Lynne Ramsay hatte beim Schreiben des Rachethril­lers wohl schon Phoenix vor Augen: Sie erhielt in Cannes den Drehbuch-Preis. (dpa)

A Beautiful Day. Regie: Lynne Ramsay. Mit Joaquin Phoenix, Ekaterina Samsonov. Großbritan­nien 2017. 90 Minuten. FSK ab 16.

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FOTO: DPA Joe (Joaquin Phoenix) rettet Nina (Ekaterina Samsonov) aus der Gewalt von Pädophilen.

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