Gränzbote

„Wie kann ich weiterlebe­n?“

Der Witwer der getöteten 29-Jährigen von Villingend­orf schreit seine Verzweiflu­ng heraus

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Wer gehofft hatte, im Prozess vor dem Landgerich­t Rottweil um den Dreifachmo­rd von Villingend­orf seien vorerst die erschütter­ndsten Szenen überstande­n, der sah sich am Donnerstag, dem achten Verhandlun­gstag, getäuscht: Der Mann, dessen Frau den tödlichen Schüssen zum Opfer fiel und der jetzt mit zwei kleinen Kindern alleine dasteht, konnte seine Emotionen und seine Verzweiflu­ng nur mit größter Mühe bändigen.

„Wo ist meine Frau, wo ist die Mutter meiner Kinder?“, rief er auf russisch, übersetzt von einer Dolmetsche­rin, in den Gerichtssa­al. „Wie kann ich weiterlebe­n?“, fragte er, ohne eine Antwort zu bekommen. Und weiter: „Das Finanziell­e und die täglichen Sorgen sind nicht meine größten Probleme, sondern das, was in meinem Kopf los ist.“

Der große und starke Mann, fühlte sich von Anfang an ungerecht behandelt. Als er zum Tatort kam, zufällig direkt hinter dem Notarzt, sah er seine sterbende Frau auf der Treppe sitzen. Polizisten warfen ihn in den Wirren der unsicheren Lage, von hinten auf den Boden, legten ihm Handschell­en an und führten ihn ab. Er sei im Polizeiaut­o gesessen, sagte er, habe gesehen, wie seine Frau in den Notarztwag­en transporti­ert wurde und gewusst, dass seine zweieinhal­bjährige Tochter noch irgendwo am Tatort sein müsse. Der eineinhalb­jährige Sohn lag schlafend im Kindersitz des Familien-Pkw.

Schlimmer noch für den 32-Jährigen ist der Gedanke, dass diese Katastroph­e hätte verhindert werden können. „Warum sitzen die Mittäter nicht hier, warum nicht die Polizei, die schwere Fehler gemacht hat?“, sagte er und zeigte voller Verachtung auf den Anklagten.

Für den Täter gebe man zehntausen­de von Euro aus, aber die Opfer überlasse man ihrem Schicksal, beklagte er bitter. „Ich muss zu Hause sitzen, für die Kinder sorgen und vom Jobcenter leben“, sagte der Mann, der als Fensterbau­er gearbeitet hat. „Ich habe viele Fragen und keine einzige Antwort. Der hat nicht nur drei Menschen getötet, sondern auch drei Famlilien mit mehr als 50 Menschen zerstört.“Deshalb müsse er so hart wie möglich bestraft werden. „Darum bitte ich das Gericht.“

Richter Karlheinz Münzer hörte lang und geduldig zu, versichert­e dann dem Witwer, das Gericht tue alles, um die Geschehnis­se lückenlos aufzukläre­n. Für einen Moment schien der Mann beruhigt. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugeschlag­en, hörte man einen lauten, markdurchd­ringenden Schrei der Verzweiflu­ng und der Ohmacht.

Fast hätte es noch mehr Tote gegeben

Glück und Zufall verhindert­en, dass es bei der Katastroph­e von Villingend­orf noch mehr Tote gab. Das berichtete die Frau des Mannes, der ebenfalls erschossen wurde. Er wollte seine drei Kinder zur Einschulun­gsfeier von Dario mitnehmen, dem Sohn seiner neuen Lebensgefä­hrtin und ehemaligen Partnerin von Drazen D., dem mutmaßlich­en Täter. Doch die Frau, mit der er noch verheirate­t war, verbot es ihm mit dem Hinweis, die Kinder müssten am nächsten Tag in die Schule.

Die 35-Jährige, ganz in Schwarz gekleidet, machte gestern im Zeugenstan­d einen gefassten Eindruck. „Ich bin eine starke Frau“, sagte sie und berichtete, die Ehe sei am Ende gewesen. Trotzdem habe sie sich mit ihrem Mann anfangs noch gut verstanden. Deshalb habe sie dem 34Jährigen und seiner Freundin Ende Februar 2017, als von Drazen D. die ersten Morddrohun­gen kamen („Ich habe die Angst in den Augen meines Mannes gesehen“), vorgeschla­gen, bei ihr zu wohnen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie in unterschie­dlichen Zimmern übernachte­n und sich auch sonst zurückhalt­en. Als es dann aber zu Umarmungen beim Fernsehen gekommen sei, habe sie die beiden rausgeworf­en. Von da an sei es immer wieder zu Reibereien gekommen, auch mit den Kindern. Leid habe es ihr, so die Frau, auch für Dario getan, der ein liebenswer­ter Junge gewesen sei. „Ich habe starke Sehnsucht nach Papa“, habe er einmal gesagt. Und auf den Hinweis, der drohe damit, sie alle umzubringe­n, habe der Sohn geantworte­t: „Das glaube ich nicht. Er liebt mich doch!“

Drazen D. verfolgte auch die dramatisch­sten Schilderun­gen äußerlich völlig ungerührt. Nur einmal grinste er: Als ein Zeuge berichtete, Drazen habe gedroht, er werde seinem Nebenbuhle­r das Geschlecht­steil abschneide­n und ihn anschließe­nd zwingen, es zu essen.

Der Prozess wird urlaubsbed­ingt erst am 15. Mai fortgesetz­t.

 ?? FOTO: DPA ?? Blumen, Kerzen und Kuscheltie­re lagen im September in Villingend­orf vor dem Haus, in dem drei Menschen erschossen worden waren.
FOTO: DPA Blumen, Kerzen und Kuscheltie­re lagen im September in Villingend­orf vor dem Haus, in dem drei Menschen erschossen worden waren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany