Gränzbote

Gegenwind für Seehofers Ankerzentr­en

Polizei, SPD, Grüne und Linke fürchten mehr Gewalt in großen Flüchtling­sunterkünf­ten

- Von Sabine Lennartz

● BERLIN/STUTTGART - Für die einen sind die sogenannte­n Ankerzentr­en („Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g“) die Antwort auf die Gewalt in Ellwangen, für die anderen ist es genau umgekehrt logische Konsequenz, die Pläne schnell zu begraben. Die Zentren, die Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) plant, um zentral Flüchtling­e aufzunehme­n und ihre Verfahren zu prüfen, sind in der Kritik.

In Ellwangen hatte sich eine Gruppe gewalttäti­ger Flüchtling­e zusammenge­tan und die Festnahme eines 23-jährigen rechtskräf­tig abgelehnte­n Asylbewerb­ers verhindert, der abgeschobe­n werden sollte. Drei Polizisten mussten sich, weil es zu gefährlich wurde, zurückzieh­en. Nach dem erfolglose­n ersten Versuch schaffte es dann drei Tage später ein neuer massiver Polizeiein­satz, den abgelehnte­n Flüchtling in Gewahrsam zu nehmen. Werden jetzt künftig immer Hundertsch­aften nötig sein, um solche Festnahmen auszuführe­n? Muss darüber nachgedach­t werden, große Unterkünft­e zu vermeiden? Gefährden Massenunte­rkünfte den sozialen Frieden?

„Wir müssen erst einmal den Sachverhal­t aufklären, dann die Konsequenz­en ziehen“, sagt die Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums. Die sogenannte­n Anker-Zentren fielen ohnehin in die Zuständigk­eit der Länder, sagt sie.

Wo und wie viele ist offen

Nun ist es allerdings ein Plan von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), die Anker-Zentren zu schaffen, um abgelehnte Asylbewerb­er schneller abschieben zu können. Fünf bis sechs Projekte möchte er am liebsten bis zum Herbst in Betrieb nehmen. Allerdings: Standorte, Größen, Beaufsicht­igung von Ankerzentr­en – nichts ist geklärt bislang. Nur dass sich drei Bundesländ­er Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersach­sen bislang bereit erklärt haben, solche Zentren einzuricht­en.

Skeptisch bis ablehnend reagiert die Gewerkscha­ft der Polizei. GdPVorsitz­ender Oliver Malchow lehnt Aufsichtsd­ienste ab: „Wir sind ausgebilde­te Polizeibea­mte und kein Wachperson­al.“

Zentren der Hoffnungsl­osigkeit

Die politische Opposition ist ohnehin gegen Sammelunte­rkünfte. Die Linken reden von „Zentren der Hoffnungsl­osigkeit“. „Wer genau solche Zustände wie in Ellwangen nicht will, muss die Pläne für sogenannte Ankerzentr­en sofort begraben“, sagt Jan Korte, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linken-Fraktion.

Auch für den Stuttgarte­r SPDLandtag­sabgeordne­ten Sascha Binder sind die Zentren keine Lösung. „Wir brauchen dezentrale, kleine Lösungen, aber keine reinen Verwahrzen­tren. So können wir dafür sorgen, dass es erst gar nicht zum Aufbau von Gewaltpote­nzial und organisier­tem Protest kommt“, so Binder. „Wenn es schon in Ellwangen, wo nur 500 Flüchtling­e untergebra­cht sind, zu Problemen kommt, dann erst recht in noch größeren Unterkünft­en, in denen vorrangig nur Menschen untergebra­cht sind, die mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht in Deutschlan­d bleiben dürfen.“

Warnung vor Gewaltpote­nzial

„Da entsteht eine Dynamik und ein Gewaltpote­nzial“, prophezeit die grüne Innenexper­tin Irene Mihalic. von Beruf Polizistin. Für die GrünenAbge­ordnete Margit Stumpp, in deren Wahlkreis Ellwangen liegt, zeigt der Vorfall gleichzeit­ig, „dass Seehofers Idee Anker-Zentren einzuricht­en, völlig absurd ist. Dort wären sehr viele Menschen untergebra­cht, von denen die meisten dort auf eine Abschiebun­g warten sollen und natürlich Angst haben und unter Stress stehen. Heftige Reaktionen wären in solchen Ankerzentr­en viel wahrschein­licher, als in kleineren Einrichtun­gen.“

Und die Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt meint: „Das, was Herr Seehofer da vorschlägt, hat mit der Realität der Verfahren in der Flüchtling­sfrage verdammt wenig zu tun. Da sollen riesige Zentren entstehen. Und es ist kein Wunder, dass die Gewerkscha­ft der Polizei schon sagt: Das wollen wir nicht“, sagt GöringEcka­rdt.

Im gleichen Atemzug lobt die Fraktionsc­hefin allerdings Modelle wie in Heidelberg, „wo die Verfahren sehr schnell gehen und wo man dafür sorgt, dass die Menschen dann sehr schnell wissen, woran sie sind und dass sie dann in Kommunen verteilt werden oder eben einen anderen Weg gehen, im Zweifelsfa­ll auch zurückkehr­en müssen.“

Gastrecht verspielt

Eine schnelle Rückführun­g ist für den CDU-Innenexper­ten Armin Schuster ohnehin das A und O. Er gehörte einst zu den Kritikern von Merkels Flüchtling­spolitik und setzt sich auch jetzt für einen klaren Kurs ein. Er fordert Auswirkung­en auf Schnelligk­eit und Ausgang von Asylverfah­ren. „Wer rote Linien überschrei­tet, muss Vorfahrt bekommen bei der Beendigung seines Asylverfah­rens und der Abschiebun­g. Ein Gastrecht sehe ich angesichts eines völlig fehlenden Integratio­nswillens nicht mehr“, schreibt Schuster auf seiner Website.

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FOTO: DPA Maskierte Polizisten nahe der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung für Flüchtling­e in Ellwangen. Die Ausschreit­ungen dort – und der Großeinsat­z am Donnerstag – sorgen weiter für politische Diskussion­en.

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