Hannibal auf die leichte Tour
Alpenüberquerung de luxe mit Gepäcktransport und Wellnessfaktor
Hoch oben am Pfitscherjoch auf 2275 Metern Höhe stellen sich die Glücksgefühle ein. Mit dem Überschreiten des Alpenhauptkammes passieren die Wanderer auch die Landesgrenze zwischen Österreich und Italien. Die Alpenüberquerung ist geschafft, die erste Pasta im modernen Pfitscherjochhaus gegessen, Erinnerungsfotos sind geschossen. Manch einer und eine fühlen sich jetzt wie historische Alpenüberquerer, wie Hannibal etwa. Oder sind ganz einfach nur stolz, diese herrliche Passage geschafft zu haben, ganz ohne großartige Anstrengungen oder lange, die Fitness stärkende Vorbereitungen. Der Blick geht zurück in die Zillertaler Alpen, streift die Furchen ehemaliger Gletscher. Im Süden öffnet sich das steil abfallende Pfitschtal.
Entwickelt hat diese relativ leichte Traverse über die Alpen in sieben Etappen über drei Pässe und mit rund 100 Wanderkilometern Georg Pawlata. Die Idee dazu kam dem gelernten Geografen, Hobbysurfer, passionierten Wanderer und Mountainbiker bei einem Besuch der Memminger Hütte während einer Alpenüberquerung auf dem berühmten Fernwanderweg E5. „Die Übernachtungsräume waren knallvoll, der Weg höchst anspruchsvoll. Da dachte ich, was fehlt, ist etwas für Leute mit mittlerer Kondition, mit Gepäckservice, geschulten Begleitern, mit Übernachtungen in Hotels mit guter Küche und Wellnessbereich.“Drei Jahre lang recherchierte er alte Wanderkarten, fand Unterstützung durch die Tourismusverbände Tegernsee, Zillertal und Südtirol, besuchte Almhütten und Hotels. Seit 2014 kann das Angebot nun gebucht werden, mit organisierten Taxitransporten zu den jeweiligen Etappenstarts und -zielen, mit Bergführer sowie Gepäckservice zum Hotel der nächsten Etappe. Wer es anspruchsloser und günstiger mag, der kann aber auch auf eigene Faust planen und wandern, mit Rucksack auf dem Rücken. Denn Georg Pawlata hat die Route bestens mit einem gelben Schild mit Ü-Symbol ausgeschildert. Auf der Internetseite findet sich dazu eine genaue Beschreibung aller Etappen samt GPSDaten. Die erste Etappe führt im Alpenvorland von Gmund am Tegernsee bis Wildbad Kreuth.
Die anstrengendste Strecke ist erstaunlicherweise nicht die über den höchsten Pass am Pfitscherjoch zwischen Zillertaler Alpen und Südtirol. Vielmehr ist es die über den niedrigsten Pass, von Wildbad Kreuth zum Achensee. Auf rund 17 Kilometern geht es dort 850 Höhenmeter hinauf und 800 wieder hinab. Start dieser zweiten Etappe ist an der historischen Kuranlage, in der die CSU bis vor drei Jahren noch ihre Klausurtagungen durchführte. Das ehemalige Kurbad wird derzeit umgebaut, angeblich zu einem Sanatorium. Kurz dahinter steigt der Wanderweg in einem dichten Voralpen-Mischwald aus Buchen und Fichten empor. Drei Stunden geht es aufwärts, bis unterhalb des Gipfels Schildenstein auf 1613 Metern. Schon bei einer Verschnaufpause auf der Geis-Alm auf rund 1100 Metern sind die Leiberl, wie die T-Shirts hier genannt werden, ordentlich durchgeschwitzt. Der Pfad verläuft nun auf Magerrasenwiesen, die auf dem hellgrauen Kalkgestein der Voralpen von Mai bis Ende September von Kühen beweidet werden. Kaum vorstellbar, dass man über den Meeresbodenablagerungen des Jurameeres wandert. Denn vor mehr als 30 Millionen Jahren driftete die afrikanische Kontinentalplatte nach Norden und faltete die Alpen auf. Bei guter Sicht schweift der Blick über die Hügel und Berge des Voralpenlandes.
Auf dem Kammweg unterhalb des Schildensteins weist ein in einen Baumstamm eingewachsenes altes Emailleschild auf die Landesgrenze von Bayern und Österreich hin. Kurz darauf öffnet sich der Blick Richtung Süden auf die Ausläufer des Karwendelgebirges. Nach weiteren dreieinhalb Stunden erreichen die Wanderer die Blauberg-Alm. Dort halten Meinrad und Pauline Sprenger von Mai bis September Kühe und Schweine und verpflegen Wanderer bis Mitte Oktober mit frischer Buttermilch. Von den Kühen stammt auch die Milch für den Käse, den die gebürtige Niederländerin im GoudaStil herstellt. Einige der Schweine werden zu köstlichen Kaminwurzen und Speck verarbeitet. Außerdem bereitet Pauline Sprenger den besten Kaiserschmarrn entlang der Route zu, goldgelb mit viel Alpenbutter und herb-fruchtigem Apfel-BirnenKompott von eigenen Bäumen.
So gestärkt geht es die nächsten drei Stunden bergab bis zu einer kleinen Busstation. Zweimal am Nachmittag holen die Busse die erschöpften Wanderer ab und bringen sie zum Quartier in Achenkirch. Erheblich erholsamer ist dann die Etappe von Achenkirch nach Maurach, rund 13 Kilometer ohne Höhenmeter entlang des Achensees. Wer einen Blick auf das Karwendelgebirge, den grünblau schimmernden Achensee und in der Ferne auf die Zillertaler Alpen werfen möchte, der sollte in Maurach einen Ausflug mit der Seilbahn auf den Rofan unternehmen.
Richtig hoch geht es am fünften Tag in den Zillertaler Alpen. Durch ein von Gletschern geformtes Hochtal mit steilen Almhängen wandert man hinauf zum Sidanjoch, von dort zur Rastkogelhütte, vorbei an eiszeitlichen Lacken. Das sind schmelzwassergefüllte Teiche in Endmoränengelände. Das letzte Stück führt entlang eines Bergrückens zur Alm Melchboden. Von hier verläuft der Weg 1000 Meter steil hinab ins Tal. Die müssen jedoch nicht zu Fuß bewältigt werden, sondern gemütlich mit dem Bus. Einmal täglich fährt er um kurz vor 16 Uhr über die Zillertaler Höhenstraße nach Mayrhofen.
Von diesem quirligen Sommerund Wintersportort geht es am fünften Tag der Wanderung per Linienbus zum leuchtend blauen SchlegeisSpeichersee, eingerahmt von mächtigen Schneegipfeln, zu denen sich die Zillertaler Alpen bis auf knapp 3500 Meter auftürmen. Durch einen breiten Grund führt der Pfad vorbei an Wasserfällen und einem gurgelnden Bach bis zum letzten Anstieg über den Alpenhauptkamm. Von dort steigt der Wanderer eineinhalb Stunden steil bergab, um im Talboden dann auf Wiesenwanderwegen von St. Jakob/San Giacomo rund 20 Kilometer und 650 Höhenmeter hinab nach Sterzing zu laufen. Vom Gasthof Lamm im charmanten Südtiroler Städtchen fahren die Alpenüberquerer mit dem Bus zurück zum Startpunkt an den Tegernsee.