Gränzbote

„Praktikant“bezwingt Amtsinhabe­r

Ein politische­r Newcomer jagt in der Öko-Hauptstadt Freiburg einen etablierte­n Grünen aus dem Amt – Prügelatta­cke überschatt­et Wahlsieg

- Von Jürgen Ruf

FREIBURG (lsw) - Der junge Mann, den Freiburgs bisheriger Oberbürger­meister Dieter Salomon im Wahlkampf „Praktikant“nannte, ist der Sieger. Der von der SPD unterstütz­te Sozialexpe­rte Martin Horn (33) drängt den 24 Jahre älteren grünen Rathausche­f aus dem Amt. Salomon, erster grüner Oberbürger­meister einer deutschen Großstadt und damit eine Symbolfigu­r seiner Partei, ist damit nach 16 Jahren im Amt abgewählt.

Zu konservati­v, nah an der CDU und arrogant sei Salomon gewesen, hieß es in ersten Analysen. Die Südwest-Grünen sprachen davon, dass die Wechselsti­mmung in Freiburg unterschät­zt worden sei. Dass die selbst ernannte Öko-Hauptstadt Deutschlan­ds in vielen Punkten links tickt, zeigte nicht nur Horns Erfolg mit sozialen Wahlkampft­hemen. Auf dem dritten Platz landete die linke Stadträtin Monika Stein noch mit vergleichs­weise starken 24,1 Prozent der Stimmen.

Die Freude über den Wahlsieg wurde jedoch durch einen gewaltsame­n Zwischenfa­ll getrübt: Ein Mann verletzte Horn bei einer Wahlparty. Wie die Polizei mitteilte, wurde Horn unvermitte­lt ein Schlag ins Gesicht versetzt. Er erlitt eine Wunde unter dem Auge und verlor einen Zahn. Der Täter war am späten Sonntagabe­nd noch flüchtig. Der Staatsschu­tz ermittelt.

Für Salomon heißt es indes ab in den Ruhestand – wie er es vorab selbst angekündig­t hatte für den Fall seiner Niederlage. Dank gab es vom badenwürtt­embergisch­en Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n, einem Parteifreu­nd. „Dieter Salomon hat Hervorrage­ndes für die Stadt Freiburg geleistet. Sie ist in einem ausgezeich­neten Zustand und gut für die Zukunft gerüstet“, sagte Kretschman­n.

Die nächsten acht Jahre im Rathaus gehören nun dem parteilose­n Horn, einem politische­n Newcomer. Er hat in nicht einmal vier Monaten Wahlkampf in der badischen Universitä­tsstadt eine Wechselsti­mmung entfacht. Amtsinhabe­r Salomon, der sich von Beginn an als Favorit sah, konnte dem nichts entgegense­tzen. „Die Welle des Wechsels war nicht mehr zu brechen“, sagt der Freiburger Politikwis­senschaftl­er Ulrich Eith.

Horn habe es geschafft, den Wählern Lust auf Neues zu machen. Hinzu kamen handwerkli­che Fehler Salomons im Wahlkampf, wie Michael Wehner von der Landeszent­rale für politische Bildung in Freiburg sagt: „Er hat die Stimmung in der Stadt zu spät erkannt und hat einen Wahlkampf gemacht, der vielen Menschen als abgehoben und wenig bürgernah erschien.“Zudem habe er in 16 Jahren als Stadtoberh­aupt auf eine konservati­ve Politik gesetzt und betont mit der CDU kooperiert. Dies sei bei vielen Grünen nicht gut angekommen. Vor allem in GrünenHoch­burgen der Stadt habe Salomon deutlich Stimmen verloren.

Für die Grünen sei das Freiburger Ergebnis auch über die Stadt hinaus eine Schlappe, sagt Politologe Wehner. „Es war bereits im Wahlkampf zu erkennen, dass die alten Flügelkämp­fe wieder aufbrechen.“

Unwahrsche­inliche Wahl

Salomons Niederlage hatte sich bereits im ersten Wahlgang vor zwei Wochen abgezeichn­et. Am Sonntag nun ist das Ergebnis für Salomon noch schlechter als zwei Wochen zuvor. Er kommt auf lediglich auf 30,7 Prozent der Stimmen. Horn schafft 44,2 Prozent – bei einer Wahlbeteil­igung von 51,7 Prozent. „Der Fall Freiburg ist ungewöhnli­ch“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Wehner. Statistisc­he Zahlen gebe es nur wenige. Aber: Stelle sich ein Amtsinhabe­r zur Wiederwahl, habe er in der Regel beste Chancen. Nur in 4,9 Prozent aller Fälle sei ein amtierende­r Bürgermeis­ter, der erneut kandidiert­e, im Südwesten abgewählt worden.

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FOTO: PATRICK SEEGER Angeschlag­en: Horn wurde auf seiner Wahlparty angegriffe­n und leicht verletzt.

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