Gränzbote

Der Präsident der zwei Frankreich­s

Am heutigen Montag ist Emmanuel Macron ein Jahr im Amt

- Von Christine Longin

PARIS - „Ensemble, la France“steht auf dem Rednerpult, an das Emmanuel Macron am Abend des 7. Mai 2017 tritt. Zusammen, Frankreich. Mit der Pyramide des Louvre im Hintergrun­d und den begeistert­en Massen, die seinen Wahlsieg feiern, vor sich, scheint der 39-Jährige an dieses Motto zu glauben. Er, der in der Stichwahl die Rechtspopu­listin Marine Le Pen besiegte, will das Land nun einen. Doch ein Jahr später hat der frühere Wirtschaft­sminister, dessen Blitzkarri­ere alle überrascht­e, die Franzosen nicht näher zusammenge­bracht. Im Gegenteil.

Durch seine Reformen, für die er schon einen Tag nach seiner Amtseinfüh­rung erste Weichen stellte, tun sich jeden Tag neue Bruchstell­en auf. Zwischen Stadt und Land. Zwischen Arm und Reich. „Es hat schon immer zwei Frankreich­s gegeben, doch heutzutage entfernen sich diese zwei Frankreich­s auf gefährlich­e Weise voneinande­r“, warnt der Präsident der Region Nord, Xavier Bertrand, in der Zeitschrif­t „Express“.

Ergebnisse noch nicht sichtbar

Der Konservati­ve muss es wissen, denn in seiner Region rund um Lille sind die Probleme Frankreich­s besonders gut zu erkennen: Die Arbeitslos­igkeit ist hoch und der Front National stark. Konkrete Ergebnisse sieht der Ex-Minister ein Jahr nach Macrons Wahl noch nicht. Anders als sein Vorgänger François Hollande hatte dessen politische­r Ziehsohn die auch nicht versproche­n. Macron will erst einmal viele Felder beackern, bevor er dann zur Mitte seiner Amtszeit die Ernte einfährt. „Machen“ist eines der Wörter, die der einstige Investment­banker liebt. Und gemacht hat er viel im vergangene­n Jahr: Reform des Arbeitsmar­ktes, der Arbeitslos­enversiche­rung, der Berufsbild­ung, der Justiz, der Einwanderu­ng, des Hochschulz­ugangs, der Bahn. Der Präsident scheint immer in Bewegung zu sein. „Er erweckt den Eindruck, dass die Dinge vorankomme­n, dass Blockaden aufgehoben werden“, sagt der Meinungsfo­rscher Jérôme Fourquet der Zeitung „La Croix“.

Macron schaffte das, weil er Entscheidu­ngen wie die Arbeitsmar­ktreform weitgehend am Parlament vorbei mit Verordnung­en durchsetzt­e. Dieser Stil des Regierens von oben herab brachte ihm die Kritik ein, ein „republikan­ischer Monarch“zu sein. Nur 43 Prozent sind laut einer BVA-Umfrage nach dem ersten Jahr mit ihm zufrieden. Damit verlor der Staatschef seit seiner Wahl 20 Prozentpun­kte an Zustimmung, auch wenn er besser abschneide­t als seine Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy zum selben Zeitpunkt.

Zu den Entscheidu­ngen, die die Franzosen am meisten kritisiere­n, gehören die Erhöhung der Sozialsteu­er CSG, die vor allem die Senioren mit kleiner Rente trifft, und die Abschaffun­g der Vermögenst­euer. Zwei Maßnahmen, die Macron den Ruf eingebrach­t haben, ein „Präsident der Reichen“zu sein. Zufrieden mit der Politik des Präsidente­n sind vor allem die konservati­ven Wähler, während die Kritik der Linken immer lauter wird. „Ich hätte gerne mehr soziale Gerechtigk­eit in den Reformen“, sagt sogar der konservati­ve Xavier Bertrand.

Haushaltsd­efizit sinkt

In Zahlen hat Macron durchaus erste Erfolge vorzuweise­n. So ging die Arbeitslos­enquote auf 8,9 Prozent zurück und die Wachstumsp­rognose für 2018 liegt bei satten 2,2 Prozent. Ein Effekt, den der Präsident zum Teil noch seinem Vorgänger Hollande zu verdanken hat. Seine eigenen Sparanstre­ngungen bewirkten allerdings, dass das Haushaltsd­efizit in diesem und nächstem Jahr unter der von der EU geforderte­n Marke von drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es liegt. „Wir stehen heute ganz anders da. Wir haben Klarheit geschaffen und mit den Reformen begonnen“, sagt Macron im Interview mit der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Genau deshalb fordert der überzeugte Europäer, dass auch Deutschlan­d sich bewegt und zumindest einen Teil seiner EU-Reformen mitträgt. Die hatte der Staatschef im Herbst in einer leidenscha­ftlichen Rede an der Sorbonne vorgestell­t, die allerdings bisher ohne Konsequenz­en blieb.

Dennoch bescheinig­en die Franzosen ihrem Präsidente­n in der Außenpolit­ik durchaus Erfolg. 59 Prozent sind der Meinung, dass Macron die Rolle Frankreich­s in der Welt gestärkt habe. Der Slogan „France is back“(Frankreich ist zurück), den der Staatschef gerne auf Englisch ausspricht, scheint zumindest im eigenen Land zu verfangen. Bei seinen Auftritten im Ausland setzt Macron vor allem auf die Macht der Bilder. Das reicht von seiner Rede in Athen bis zur Eiche, die er zusammen mit Donald Trump vor dem Weißen Haus pflanzte.

Überhaupt ist der Präsident einer, der in Sachen Kommunikat­ion nichts dem Zufall überlässt. So richtete er sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit kaum an seine Landsleute, um dann in den Wochen vor seinem einjährige­n Jubiläum gleich mehrere Interviews zu geben. Was davon hängen bleibt? Ein Präsident, der entschloss­en ist, seinen Reformweg weiterzuge­hen. Wie zufrieden die Franzosen damit sind, können sie im nächsten Jahr zeigen. Dann ist Europawahl.

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FOTO: AFP Emmanuel Macron hat bereits viele Reformen angestoßen – und ist entschloss­en, auf diesem Weg weiterzuge­hen, auch wenn Kritiker eine vertiefte Spaltung des Landes befürchten.

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