Putin der Alles-Beherrscher
F● ast 77 Prozent Zustimmung verbuchte Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Wiederwahl in den Kreml im März. Ganz sauber mag die Wahl nicht gewesen sein und auch nicht ganz frei vom Druck seitens staatlicher Wahlgaranten. Dennoch: Auch ohne Manipulationen wäre der Kremlchef, der heute seinen Amtseid leisten wird, zum vierten Mal für weitere sechs Jahre gewählt worden.
Wladimir Putin wurde indes nicht im Kreml belassen, weil er ein brauchbares Wirtschaftsprogramm präsentiert hätte. Dies war zwar versprochen, bislang hat es jedoch niemand gesehen. Der Präsident ist längst zu einem Symbol geworden. Er steht für Russland oder um es mit den Worten eines Putin-Getreuen zu sagen: „Ohne Putin kein Russland.“Der 65-Jährige ist ein Symbol, das sich in den Niederungen der Politik keine Schrammen mehr holen muss: Modernisierung, Energie und Bildungspolitik sind Dinge, um die sich andere kümmern sollen. Auch die tun es nicht, da die zahlreichen Wähler offenbar keinen Ausblick auf eine bewältigbare Zukunft verlangen.
Putins Stärke liegt in der Produktion von Stolz. Da ist ihm zuletzt Bemerkenswertes gelungen. Die Annexion der Krim, der Krieg in der Ostukraine, die Einmischung als Entscheidungsmacht in Syrien und die Eroberungen im Cyber-Space. Putin produziert einerseits Stolz und andererseits Verunsicherung. Die Schwäche des Westens macht aus ihm einen sogenannten Pantokrator, einen Alles-Beherrscher.
1600 Festnahmen am Samstag
Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt Russlands nicht größer als das Italiens. Fraglich ist überdies, ob es gelingen kann, erneut nennenswertes Wachstum zu generieren. Die letzten US-Sanktionen drohen der Wirtschaft schwereren Schaden zuzufügen als jene nach der Krimbesetzung. Den Menschen geht es wirtschaftlich schlechter, sie begehren aber nicht auf. Nur wenige gehen auf die Straße – und gegen sie geht der Kreml rigoros vor. Erst am Samstag nahm die Polizei landesweit etwa 1600 Demonstranten fest, die einem Aufruf des Kritikers Alexej Nawalny zu Protesten gefolgt waren. Mehr als 700 Festnahmen gab es allein in Moskau. Die meisten Russen jedoch fürchten, ohne Putin könnte es schlimmer werden und sie würden noch mehr verlieren. Für den Kreml ist das eine Win-win-Situation.
Russland wird sich daher auch außenpolitisch nicht bewegen. Ob in der Ukraine, in Syrien oder neuen Konfliktfeldern – innenpolitisch sind es diese Momente, die von der wirtschaftlichen Leistung ablenken. Die Darstellung des Westens als Feind unterstützt den alten Reflex: Ist das Vaterland in Gefahr, stehen alle Interessen dem nach. Das bedeutet: Auch in der nächsten Amtsperiode zeichnet sich kein Tauwetter ab. Das System Putin hängt von dieser intakten Konfrontation ab.