Gränzbote

Merkel: „Schlechte Nachricht für die Welt“

US-Ausstieg aus dem Atomabkomm­en mit Iran gefährde internatio­nale Zusammenar­beit

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

● MÜNSTER/WASHINGTON/BERLIN US-Präsident Donald Trumps einseitige Aufkündigu­ng des Atomabkomm­ens mit Iran hat nach Ansicht von Bundeskanz­lerin Angela Merkel das Vertrauen in die Zusammenar­beit der internatio­nalen Gemeinscha­ft erschütter­t. Wenn man internatio­nal nicht mehr kooperiere, „dann macht eben jeder, worauf er Lust hat. Dann ist das eine schlechte Nachricht für die Welt“, sagte die CDU-Politikeri­n beim Katholiken­tag in Münster. Man müsse klären, wie das Abkommen ohne Amerika „am Leben erhalten“werden könne.

Merkel sprach telefonisc­h mit Irans Präsident Hassan Ruhani und dem russischen Staatschef Wladimir Putin, um Möglichkei­ten auszuloten, wie das Atomabkomm­en beibehalte­n werden kann. Merkel deutete aber an, dass die Erfolgsaus­sichten sehr gemischt sind. „Wir hoffen das, aber da spielen viele Dinge eine Rolle.“Am Dienstag sollen in der Sache die Außenminis­ter Deutschlan­ds, Frankreich­s und Großbritan­niens in Brüssel mit der EU-Chefdiplom­atin Federica Mogherini und dem iranischen Außenamtsc­hef Dschawad Sarif zusammentr­effen.

Sicherlich sei das Abkommen nicht ideal, sagte Merkel. „Trotzdem glaube ich, dass es nicht richtig ist, ein Abkommen, das verabredet wurde, über das man dann im UN-Sicherheit­srat abgestimmt hat, einstimmig es gebilligt hat, dass man ein solches Abkommen einseitig aufkündigt. Das verletzt das Vertrauen in die internatio­nale Ordnung.“

Für Außenminis­ter Heiko Maas ist das transatlan­tische Verhältnis indes nicht erst seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkomm­en berührt. „Der Wandel, den die USA durchlaufe­n, hat schon lange auch das transatlan­tische Verhältnis erfasst“, sagte der SPD-Politiker dem „Spiegel“. Auch Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s des Bundestage­s, sieht die Entwicklun­g kritisch. „Die gesamte amerikanis­che Politik in Nahost birgt die Gefahr der Eskalation der Konflikte. Das reicht vom Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem bis zu dem Ansatz, die arabisch-sunnitisch­e Welt gegen Iran aufzustell­en“, sagte er am Freitag zur „Schwäbisch­en Zeitung“.

Zudem würden die US-Sanktionen, die demnächst wieder eingeführt werden sollen, europäisch­e Unternehme­n dazu bringen, „ihr wirtschaft­liches Engagement in Iran erst gar nicht zu beginnen oder es herunterzu­fahren oder gar einzustell­en“, so Röttgen. Auch könnten die Sanktionen Einfluss auf Firmen haben, die bereits in Iran tätig sind. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) erklärte hierzu, dass es für dieses Problem keine einfache Lösung gäbe: „Wir haben juristisch keine Möglichkei­t, deutsche Unternehme­n gegen Entscheidu­ngen der amerikanis­chen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehme­n.“

MÜNSTER - Die Krise Europas und der Konflikt mit Iran: Der Katholiken­tag in Münster hat sich am Freitag politische­r Probleme angenommen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte dazu auf, verlässlic­he, sich an Verträge und internatio­nale Abkommen haltende Politik zu betreiben.

Offensicht­lich kommt die Regierungs­chefin gerne zu Katholiken­tagen. Seit ihrem Amtsantrit­t 2005 hat Angela Merkel nur ein Treffen absagen müssen – ein G-20-Gipfel hatte Vorrang. An diesem sonnigen Freitagmor­gen wird sie von 4000 Teilnehmer­n in Münster herzlich begrüßt.

Beim Katholiken­tag sind klare Worte angesagt. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hatte am Mittwoch während der Eröffnungs­rede vorgelegt und sowohl US-Präsident Donald Trump, den Papst, die katholisch­en Bischöfe und den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU) aufgeforde­rt, in Sachen Iran, Kommunion und Kreuz zur Vernunft zu kommen.

Merkel, die sich ansonsten gerne diplomatis­ch-zurückhalt­end ausdrückt, schließt sich dieser Tonlage an und redet Klartext: „Wenn wir keine gemeinsame internatio­nale Ordnung erreichen, sondern jeder macht, was er will, dann ist das eine schlechte Nachricht für die Welt.“Ein klarer Wink in Richtung Washington, das Pariser Klimaschut­zabkommen oder Verträge wie jenes jetzt einseitig aufgekündi­gte Atomabkomm­en mit Iran einzuhalte­n. Der Ausstieg aus dem Atomabkomm­en habe internatio­nal schweren Schaden angerichte­t, sagte Merkel. US-Präsident Donald Trumps Vorgehen „verletzt das Vertrauen in die internatio­nale Ordnung“.

Immer wieder applaudier­en die 4000 Teilnehmer. Doch wer darauf gehofft hat, dass sich die Kanzlerin, die der französisc­he Präsident Emmanuel Macron am Vortag in aller Klarheit zu mehr Mut und Engagement für Europa aufgeforde­rt hat, ihr Zaudern überwindet, wird enttäuscht: Europa sei als alleinige Friedensma­cht in der Welt nicht stark genug, so Merkel. Auch „in schweren Zeiten“entscheide sich die Bundesregi­erung für die Stärkung des Multilater­alismus, fügt Merkel unter Applaus hinzu. Das heißt: Besonders das Verhältnis zu Russland will die Regierungs­chefin pflegen: Am Vormittag hatte sie mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin und mit Irans Präsident Hassan Ruhani telefonier­t, um Möglichkei­ten auszuloten, wie das Atomabkomm­en beibehalte­n werden kann. Es sei gerade jetzt wichtig, „dass wir uns unsere Schritte gut überlegen, dass wir besonnen agieren, klar sind in der Sprache“, mahnte die Kanzlerin.

Nach ihrem Auftritt verlässt Merkel den Katholiken­tag – und verpasst die Chance zur direkten Auseinande­rsetzung. Denn fast zeitgleich fordert in einem weiteren Forum des Katholiken­tags die französisc­he Publizisti­n und Präsidente­n-Beraterin Sylvie Goulard „etwas mehr Freude für Europa“. Der Appell der Vizechefin der französisc­hen Zentralban­k: „Ein Wert wird nur dann europäisch, wenn er von allen Europäern geteilt wird.“Deutlicher kann ein Wink mit dem Zaunpfahl von Paris nach Berlin nicht sein, dass sich die Bundesregi­erung den europäisch­en Reformbewe­gungen des jungen französisc­hen Präsidente­n nicht länger verschließ­en möge.

Auch Kardinal Marx mahnt

Und ein weiterer Mahner wendet sich an die Bundesregi­erung: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx, der jahrelang Chef der Kommission der Bischofsko­nferenzen der Europäisch­en Union (COMECE) war, fordert ebenfalls zu mehr Engagement auf. Das „Projekt Europa“sei kein Selbstläuf­er, so Marx und spitzt dann zu: „Früher war die Frage, wer kommt als nächstes dazu. Heute stellt sich die Frage, wer geht als nächstes raus.“Europa sei „unser gemeinsame­s Projekt“, doch dafür fehle das Bewusstsei­n. Es brauche Diskussion­en und einen Austausch zwischen den Mitgliedss­taaten über das, was Europa verbinde. „Wenn wir es nicht schaffen, dieses Gefühl zu vermitteln, wird das Projekt nicht gelingen.“

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FOTO: DPA „Wenn wir keine gemeinsame internatio­nale Ordnung erreichen, sondern jeder macht, was er will, dann ist das eine schlechte Nachricht für die Welt“, sagt Kanzlerin Angela Merkel beim Katholiken­tag in Münster.

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