Merkel: „Schlechte Nachricht für die Welt“
US-Ausstieg aus dem Atomabkommen mit Iran gefährde internationale Zusammenarbeit
● MÜNSTER/WASHINGTON/BERLIN US-Präsident Donald Trumps einseitige Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran hat nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel das Vertrauen in die Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft erschüttert. Wenn man international nicht mehr kooperiere, „dann macht eben jeder, worauf er Lust hat. Dann ist das eine schlechte Nachricht für die Welt“, sagte die CDU-Politikerin beim Katholikentag in Münster. Man müsse klären, wie das Abkommen ohne Amerika „am Leben erhalten“werden könne.
Merkel sprach telefonisch mit Irans Präsident Hassan Ruhani und dem russischen Staatschef Wladimir Putin, um Möglichkeiten auszuloten, wie das Atomabkommen beibehalten werden kann. Merkel deutete aber an, dass die Erfolgsaussichten sehr gemischt sind. „Wir hoffen das, aber da spielen viele Dinge eine Rolle.“Am Dienstag sollen in der Sache die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens in Brüssel mit der EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini und dem iranischen Außenamtschef Dschawad Sarif zusammentreffen.
Sicherlich sei das Abkommen nicht ideal, sagte Merkel. „Trotzdem glaube ich, dass es nicht richtig ist, ein Abkommen, das verabredet wurde, über das man dann im UN-Sicherheitsrat abgestimmt hat, einstimmig es gebilligt hat, dass man ein solches Abkommen einseitig aufkündigt. Das verletzt das Vertrauen in die internationale Ordnung.“
Für Außenminister Heiko Maas ist das transatlantische Verhältnis indes nicht erst seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen berührt. „Der Wandel, den die USA durchlaufen, hat schon lange auch das transatlantische Verhältnis erfasst“, sagte der SPD-Politiker dem „Spiegel“. Auch Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, sieht die Entwicklung kritisch. „Die gesamte amerikanische Politik in Nahost birgt die Gefahr der Eskalation der Konflikte. Das reicht vom Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem bis zu dem Ansatz, die arabisch-sunnitische Welt gegen Iran aufzustellen“, sagte er am Freitag zur „Schwäbischen Zeitung“.
Zudem würden die US-Sanktionen, die demnächst wieder eingeführt werden sollen, europäische Unternehmen dazu bringen, „ihr wirtschaftliches Engagement in Iran erst gar nicht zu beginnen oder es herunterzufahren oder gar einzustellen“, so Röttgen. Auch könnten die Sanktionen Einfluss auf Firmen haben, die bereits in Iran tätig sind. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte hierzu, dass es für dieses Problem keine einfache Lösung gäbe: „Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen.“
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MÜNSTER - Die Krise Europas und der Konflikt mit Iran: Der Katholikentag in Münster hat sich am Freitag politischer Probleme angenommen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte dazu auf, verlässliche, sich an Verträge und internationale Abkommen haltende Politik zu betreiben.
Offensichtlich kommt die Regierungschefin gerne zu Katholikentagen. Seit ihrem Amtsantritt 2005 hat Angela Merkel nur ein Treffen absagen müssen – ein G-20-Gipfel hatte Vorrang. An diesem sonnigen Freitagmorgen wird sie von 4000 Teilnehmern in Münster herzlich begrüßt.
Beim Katholikentag sind klare Worte angesagt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Mittwoch während der Eröffnungsrede vorgelegt und sowohl US-Präsident Donald Trump, den Papst, die katholischen Bischöfe und den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) aufgefordert, in Sachen Iran, Kommunion und Kreuz zur Vernunft zu kommen.
Merkel, die sich ansonsten gerne diplomatisch-zurückhaltend ausdrückt, schließt sich dieser Tonlage an und redet Klartext: „Wenn wir keine gemeinsame internationale Ordnung erreichen, sondern jeder macht, was er will, dann ist das eine schlechte Nachricht für die Welt.“Ein klarer Wink in Richtung Washington, das Pariser Klimaschutzabkommen oder Verträge wie jenes jetzt einseitig aufgekündigte Atomabkommen mit Iran einzuhalten. Der Ausstieg aus dem Atomabkommen habe international schweren Schaden angerichtet, sagte Merkel. US-Präsident Donald Trumps Vorgehen „verletzt das Vertrauen in die internationale Ordnung“.
Immer wieder applaudieren die 4000 Teilnehmer. Doch wer darauf gehofft hat, dass sich die Kanzlerin, die der französische Präsident Emmanuel Macron am Vortag in aller Klarheit zu mehr Mut und Engagement für Europa aufgefordert hat, ihr Zaudern überwindet, wird enttäuscht: Europa sei als alleinige Friedensmacht in der Welt nicht stark genug, so Merkel. Auch „in schweren Zeiten“entscheide sich die Bundesregierung für die Stärkung des Multilateralismus, fügt Merkel unter Applaus hinzu. Das heißt: Besonders das Verhältnis zu Russland will die Regierungschefin pflegen: Am Vormittag hatte sie mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und mit Irans Präsident Hassan Ruhani telefoniert, um Möglichkeiten auszuloten, wie das Atomabkommen beibehalten werden kann. Es sei gerade jetzt wichtig, „dass wir uns unsere Schritte gut überlegen, dass wir besonnen agieren, klar sind in der Sprache“, mahnte die Kanzlerin.
Nach ihrem Auftritt verlässt Merkel den Katholikentag – und verpasst die Chance zur direkten Auseinandersetzung. Denn fast zeitgleich fordert in einem weiteren Forum des Katholikentags die französische Publizistin und Präsidenten-Beraterin Sylvie Goulard „etwas mehr Freude für Europa“. Der Appell der Vizechefin der französischen Zentralbank: „Ein Wert wird nur dann europäisch, wenn er von allen Europäern geteilt wird.“Deutlicher kann ein Wink mit dem Zaunpfahl von Paris nach Berlin nicht sein, dass sich die Bundesregierung den europäischen Reformbewegungen des jungen französischen Präsidenten nicht länger verschließen möge.
Auch Kardinal Marx mahnt
Und ein weiterer Mahner wendet sich an die Bundesregierung: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx, der jahrelang Chef der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) war, fordert ebenfalls zu mehr Engagement auf. Das „Projekt Europa“sei kein Selbstläufer, so Marx und spitzt dann zu: „Früher war die Frage, wer kommt als nächstes dazu. Heute stellt sich die Frage, wer geht als nächstes raus.“Europa sei „unser gemeinsames Projekt“, doch dafür fehle das Bewusstsein. Es brauche Diskussionen und einen Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten über das, was Europa verbinde. „Wenn wir es nicht schaffen, dieses Gefühl zu vermitteln, wird das Projekt nicht gelingen.“