Im Schweiße des Angesichts
Bei einem Arbeitseinsatz auf dem Spargelhof macht die Erntehelferin der „Schwäbischen“Bekanntschaft mit einem Knochenjob
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TETTNANG - Der Rücken schmerzt, die Oberschenkel brennen. Ich stehe auf einem Spargelfeld bei Reute in der Nähe von Meckenbeuren, um mich herum weiß abgedeckte Erdhügel. Den sogenannten Spargeldamm habe ich vor dem Spargelstechen von der Schutzfolie befreit. Während die Erntehelfer – die meisten kommen aus Rumänien oder Polen – die Folien mit elegantem Schwung auf die Seite befördern, schaffe ich es nicht mal bis zur Hälfte des aufgehäuften Erdhügels. Erst mit einem zweiten Ziehen bekomme auch ich den Spargeldamm freigelegt. Gefühlt drei Stunden später ist der Metallkorb mit den weißen Spargelstangen beinahe voll. Macht stolz – aber den Muskelkater spüre ich jetzt schon. Spargel stechen soll man breitbeinig und mit leicht angewinkelten Beinen, zur Rückenschonung. Da habe ich wohl was falsch gemacht.
Spargel kannte ich bisher nur fertig gekocht, in Schinken gewickelt und mit Kartoffeln serviert. Welche Arbeit und Mühe dahintersteckt, das Gemüse zu ernten, war mir nicht bewusst. Rund zehn Stunden am Tag sind die Erntehelfer auf dem Spargelhof Geiger in Tettnang im Einsatz. Die Saison dauert in der Regel von März bis Juni, dabei werden frühe und späte Sorten gepflanzt, um die Saison voll zu nutzen. Dieses Jahr sei der erste Spargel deutlich später als sonst erntereif gewesen, sagt Thomas Geiger. Mit speziellen Sensoren im Boden kann er über eine App auf dem Handy die Temperaturen genau sehen und so Rückschlüsse auf die Reife des Spargels ziehen.
Im vergangenen Jahr habe der Frost im April einen großen Teil seiner Ernte zerstört, erzählt Geiger. In ganz Baden-Württemberg ist die Erntemenge 2017 aber trotz des Kälteeinbruchs um rund 1400 auf etwa 11 370 Tonnen gestiegen. Deutschlandweit lag der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr sogar bei mehr als 10 000 Tonnen.
Mein Arbeitstag im Spargelfeld beginnt um 7 Uhr, die Erntehelfer sind bereits am Werk. Die ersten kommen bereits zurück zum Auto, um ihre Ausbeute von den Erntekisten aus Metall in die Plastiktransportboxen umzuschichten. Thomas Geiger gibt mir ein eigenes Spargelstechmesser, Handschuhe und einen Korb. Dann zeigt er mir, wie man richtig Spargel sticht: Nur Spargelstangen, deren Spitzen bereits aus der braunen, lockeren Erde schauen, werden gestochen. Neben dem Spargelkopf wird die Erde etwa zehn Zentimeter tief zur Seite geschoben. Dann sieht man, ob der Spargel gerade gewachsen ist. Schließlich kommt das etwa 50 Zentimeter lange Spargelstechmesser zum Einsatz. Das Messer hat am Ende eine M-Form und ist scharf geschliffen. Damit wird neben dem Spargel tief nach unten in Richtung Pflanze gestochen, um den Spargel abzuschneiden. Beim ersten Versuch stochere ich noch sehr zaghaft in der Erde herum. Ich habe das Gefühl, jegliches Leben unter der Erde durch mein Stechen auszulöschen. Doch dann klappt es, ich spüre, wie die Spargelstange nachgibt und ich sie nach oben ziehen kann. Thomas Geiger nickt scheinbar zufrieden.
Den landwirtschaftlichen Betrieb hat er Mitte der 80er-Jahre von seinen Eltern übernommen. Damals hielt die Familie noch Kühe und baute Obst an. „Als ich den Hof übernahm, habe ich eine Liste gemacht mit allem, was man in Deutschland anpflanzen kann“, erklärt Geiger. Bei einem Seminar lernte er einen Landwirt aus Ostfriesland kennen, der selbst Spargel anbaute. Dieser habe ihm zum Anbau des Gemüses geraten. 1989 pflanzte Geiger seinen ersten Spargel an – drei Jahre später konnte er zum ersten Mal ernten. Heute baut Geiger auf 20 Hektar Land rund um Tettnang Spargel an. Vorwiegend weißen, da der bei den Deutschen beliebter ist. 87,3 Prozent beträgt der Anteil an weißem Spargel einer Umfrage unter den Mitgliedern des Verbands Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer (VSSE) zufolge. „Weißer Spargel ist, da er im Damm unterirdisch wächst, nicht so frostanfällig und weniger Schädlingen ausgesetzt als Grünspargel“, sagt Verbandssprecherin Isabelle Bohnert. Da es in BadenWürttemberg auch noch im Mai zu Spätfrösten kommen kann, sei der weiße Spargel für viele die richtige Wahl. Allerdings steige die Anzahl der Konsumenten von Grünspargel stetig, sagt Bohnert. Gerade jüngere Käufer würden eher zu Grünspargel greifen. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass dieser kaum beziehungsweise nicht geschält werden müsse, sagt Bohnert.
Die Maschine leistet ganze Arbeit
Das müssen die Kunden des Spargelhofs Geiger auch beim weißen Spargel nicht selbst machen, denn im hauseigenen Hofladen steht eine Schälmaschine. Die Kunden können sich den Spargel sofort schälen lassen. Eine Frau hat ein halbes Kilogramm fürs Mittagessen gekauft. Der Einkauf landet bei mir, auch hier kann ich mithelfen. Nach einer Einführung weiß ich Bescheid. Schälmesser in verschiedenen Winkeln tragen die Schalen gleichmäßig ab. Wichtig ist, bei krummen Spargeln das schiefe Ende nach oben oder unten in die Maschine zu schieben, da es sonst abbricht. Außerdem muss der zeitliche Abstand zwischen der Eingabe der Spargelstangen stimmen, damit die Maschine nicht auch die zarte Spargelspitze abschält. Nach den ersten Stangen habe ich das richtige Tempo raus. Nach und nach schiebe ich den verkauften Spargel in die Maschine. Franziska Geiger, die den Spargelhof gemeinsam mit ihrem Mann betreibt, schält das Gemüse noch mal nach, sodass die Kundin ihren Spargel kochfertig mit nach Hause nehmen kann.
Doch bevor der Spargel verkauft wird, muss er erst mal sortiert werden. Deshalb arbeitet eine kleinere Gruppe der Erntehelfer nur bis etwa 9.30 Uhr auf den Feldern. Anschließend fahren sie zurück zum Hof. Dort reinigt eine Maschine den Spargel, schneidet ihn unten gerade und sortiert ihn nach Güteklasse. Mitarbeiterinnen packen die Stangen in farbige Kisten. Spargel der Handelsklasse 1 muss eine schöne, geschlossene Spitze haben, gerade gewachsen und etwa 22 Zentimeter lang sein, sagt Thomas Geiger.
Rund zwölf Euro verlangen die Geigers für ein Kilogramm der besten Ware. Ich weiß jetzt, warum: Spargel stechen ist Handarbeit und ein Knochenjob. Wenn ich nächstes Mal auf dem Wochenmarkt ein halbes Kilogramm kaufe, werde ich mich sicher nicht mehr über den Preis wundern. Sondern an den dreitägigen Muskelkater zurückdenken, den mir der Vormittag auf dem Spargelfeld beschert hat. Außerdem ist der Spargel der VSSE zufolge aufgrund der Temperaturen aktuell in üppigen Mengen auf dem Markt und daher auch zu einem guten PreisLeistungs-Verhältnis zu bekommen.
Ein Video zum Thema Spargelernte findet sich unter www.schwaebische.de/spargel.