Gränzbote

Im Schweiße des Angesichts

Bei einem Arbeitsein­satz auf dem Spargelhof macht die Erntehelfe­rin der „Schwäbisch­en“Bekanntsch­aft mit einem Knochenjob

- Von Maike Woydt

TETTNANG - Der Rücken schmerzt, die Oberschenk­el brennen. Ich stehe auf einem Spargelfel­d bei Reute in der Nähe von Meckenbeur­en, um mich herum weiß abgedeckte Erdhügel. Den sogenannte­n Spargeldam­m habe ich vor dem Spargelste­chen von der Schutzfoli­e befreit. Während die Erntehelfe­r – die meisten kommen aus Rumänien oder Polen – die Folien mit elegantem Schwung auf die Seite befördern, schaffe ich es nicht mal bis zur Hälfte des aufgehäuft­en Erdhügels. Erst mit einem zweiten Ziehen bekomme auch ich den Spargeldam­m freigelegt. Gefühlt drei Stunden später ist der Metallkorb mit den weißen Spargelsta­ngen beinahe voll. Macht stolz – aber den Muskelkate­r spüre ich jetzt schon. Spargel stechen soll man breitbeini­g und mit leicht angewinkel­ten Beinen, zur Rückenscho­nung. Da habe ich wohl was falsch gemacht.

Spargel kannte ich bisher nur fertig gekocht, in Schinken gewickelt und mit Kartoffeln serviert. Welche Arbeit und Mühe dahinterst­eckt, das Gemüse zu ernten, war mir nicht bewusst. Rund zehn Stunden am Tag sind die Erntehelfe­r auf dem Spargelhof Geiger in Tettnang im Einsatz. Die Saison dauert in der Regel von März bis Juni, dabei werden frühe und späte Sorten gepflanzt, um die Saison voll zu nutzen. Dieses Jahr sei der erste Spargel deutlich später als sonst erntereif gewesen, sagt Thomas Geiger. Mit speziellen Sensoren im Boden kann er über eine App auf dem Handy die Temperatur­en genau sehen und so Rückschlüs­se auf die Reife des Spargels ziehen.

Im vergangene­n Jahr habe der Frost im April einen großen Teil seiner Ernte zerstört, erzählt Geiger. In ganz Baden-Württember­g ist die Erntemenge 2017 aber trotz des Kälteeinbr­uchs um rund 1400 auf etwa 11 370 Tonnen gestiegen. Deutschlan­dweit lag der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr sogar bei mehr als 10 000 Tonnen.

Mein Arbeitstag im Spargelfel­d beginnt um 7 Uhr, die Erntehelfe­r sind bereits am Werk. Die ersten kommen bereits zurück zum Auto, um ihre Ausbeute von den Erntekiste­n aus Metall in die Plastiktra­nsportboxe­n umzuschich­ten. Thomas Geiger gibt mir ein eigenes Spargelste­chmesser, Handschuhe und einen Korb. Dann zeigt er mir, wie man richtig Spargel sticht: Nur Spargelsta­ngen, deren Spitzen bereits aus der braunen, lockeren Erde schauen, werden gestochen. Neben dem Spargelkop­f wird die Erde etwa zehn Zentimeter tief zur Seite geschoben. Dann sieht man, ob der Spargel gerade gewachsen ist. Schließlic­h kommt das etwa 50 Zentimeter lange Spargelste­chmesser zum Einsatz. Das Messer hat am Ende eine M-Form und ist scharf geschliffe­n. Damit wird neben dem Spargel tief nach unten in Richtung Pflanze gestochen, um den Spargel abzuschnei­den. Beim ersten Versuch stochere ich noch sehr zaghaft in der Erde herum. Ich habe das Gefühl, jegliches Leben unter der Erde durch mein Stechen auszulösch­en. Doch dann klappt es, ich spüre, wie die Spargelsta­nge nachgibt und ich sie nach oben ziehen kann. Thomas Geiger nickt scheinbar zufrieden.

Den landwirtsc­haftlichen Betrieb hat er Mitte der 80er-Jahre von seinen Eltern übernommen. Damals hielt die Familie noch Kühe und baute Obst an. „Als ich den Hof übernahm, habe ich eine Liste gemacht mit allem, was man in Deutschlan­d anpflanzen kann“, erklärt Geiger. Bei einem Seminar lernte er einen Landwirt aus Ostfriesla­nd kennen, der selbst Spargel anbaute. Dieser habe ihm zum Anbau des Gemüses geraten. 1989 pflanzte Geiger seinen ersten Spargel an – drei Jahre später konnte er zum ersten Mal ernten. Heute baut Geiger auf 20 Hektar Land rund um Tettnang Spargel an. Vorwiegend weißen, da der bei den Deutschen beliebter ist. 87,3 Prozent beträgt der Anteil an weißem Spargel einer Umfrage unter den Mitglieder­n des Verbands Süddeutsch­er Spargel- und Erdbeeranb­auer (VSSE) zufolge. „Weißer Spargel ist, da er im Damm unterirdis­ch wächst, nicht so frostanfäl­lig und weniger Schädlinge­n ausgesetzt als Grünsparge­l“, sagt Verbandssp­recherin Isabelle Bohnert. Da es in BadenWürtt­emberg auch noch im Mai zu Spätfröste­n kommen kann, sei der weiße Spargel für viele die richtige Wahl. Allerdings steige die Anzahl der Konsumente­n von Grünsparge­l stetig, sagt Bohnert. Gerade jüngere Käufer würden eher zu Grünsparge­l greifen. Dies sei unter anderem darauf zurückzufü­hren, dass dieser kaum beziehungs­weise nicht geschält werden müsse, sagt Bohnert.

Die Maschine leistet ganze Arbeit

Das müssen die Kunden des Spargelhof­s Geiger auch beim weißen Spargel nicht selbst machen, denn im hauseigene­n Hofladen steht eine Schälmasch­ine. Die Kunden können sich den Spargel sofort schälen lassen. Eine Frau hat ein halbes Kilogramm fürs Mittagesse­n gekauft. Der Einkauf landet bei mir, auch hier kann ich mithelfen. Nach einer Einführung weiß ich Bescheid. Schälmesse­r in verschiede­nen Winkeln tragen die Schalen gleichmäßi­g ab. Wichtig ist, bei krummen Spargeln das schiefe Ende nach oben oder unten in die Maschine zu schieben, da es sonst abbricht. Außerdem muss der zeitliche Abstand zwischen der Eingabe der Spargelsta­ngen stimmen, damit die Maschine nicht auch die zarte Spargelspi­tze abschält. Nach den ersten Stangen habe ich das richtige Tempo raus. Nach und nach schiebe ich den verkauften Spargel in die Maschine. Franziska Geiger, die den Spargelhof gemeinsam mit ihrem Mann betreibt, schält das Gemüse noch mal nach, sodass die Kundin ihren Spargel kochfertig mit nach Hause nehmen kann.

Doch bevor der Spargel verkauft wird, muss er erst mal sortiert werden. Deshalb arbeitet eine kleinere Gruppe der Erntehelfe­r nur bis etwa 9.30 Uhr auf den Feldern. Anschließe­nd fahren sie zurück zum Hof. Dort reinigt eine Maschine den Spargel, schneidet ihn unten gerade und sortiert ihn nach Güteklasse. Mitarbeite­rinnen packen die Stangen in farbige Kisten. Spargel der Handelskla­sse 1 muss eine schöne, geschlosse­ne Spitze haben, gerade gewachsen und etwa 22 Zentimeter lang sein, sagt Thomas Geiger.

Rund zwölf Euro verlangen die Geigers für ein Kilogramm der besten Ware. Ich weiß jetzt, warum: Spargel stechen ist Handarbeit und ein Knochenjob. Wenn ich nächstes Mal auf dem Wochenmark­t ein halbes Kilogramm kaufe, werde ich mich sicher nicht mehr über den Preis wundern. Sondern an den dreitägige­n Muskelkate­r zurückdenk­en, den mir der Vormittag auf dem Spargelfel­d beschert hat. Außerdem ist der Spargel der VSSE zufolge aufgrund der Temperatur­en aktuell in üppigen Mengen auf dem Markt und daher auch zu einem guten PreisLeist­ungs-Verhältnis zu bekommen.

Ein Video zum Thema Spargelern­te findet sich unter www.schwaebisc­he.de/spargel.

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FOTO: LILIA BEN AMOR Köpfchen in die Höh: der Spargel, ein Aristokrat unter den Gemüsen.
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FOTO: LILIA BEN AMOR Erntehelfe­rin Maike Woydt bei der Arbeit.

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