„Das ist der Teufel“
Dramatische Auftritte im Prozess um den Dreifachmord in Villingendorf
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ROTTWEIL - Mit Spannung ist der gestrige neunte Verhandlungstag vor dem Landgericht Rottweil um den Dreifachmord von Villingendorf erwartet worden. Als Zeugen sagten die frühere Frau von Drazen D., mit der er zwei Kinder hat, und die Ex-Freundin, deren gemeinsamen Sohn Dario (6) er laut Anklage erschossen haben soll. Am Ende wartete Verteidiger Bernhard Mussgnug mit einer Überraschung auf.
Die Frau, die bei der Tat nicht nur ihren Sohn, sondern auch ihren Freund und dessen Cousine verloren hat, verzichtet auf eine Vernehmung per Video und setzt sich nur wenige Meter von Drazen D. getrennt in den Zeugenstand. Offensichtlich will sie Stärke demonstrieren, nachdem Drazen D. erklärt hatte, er habe sie verschont, um sie ein Leben lang leiden zu lassen. Sie hat sich offensichtlich einiges vorgenommen für diesen Tag: Mit festem Blick schaut sie hinüber zu Drazen D. – und der zeigt zum ersten Mal in diesem Prozess Wirkung. Er neigt seinen Blick zur Seite und atmet tief durch.
Er schoss wortlos auf seine Cousine
Dann schildert die einzige Überlebende des Mordanschlags auffallend gefasst, ruhig und detailliert den Ablauf jenes Abends am 14. September 2017. Wie Drazen D. aus der Dunkelheit auf die Terrasse trat. Wie er „Schönen Abend“sagte und sofort auf ihren neuen Partner schoss. Wie der vor ihren Füßen zusammensackte und noch auf Russisch zu ihr sagte: „Lauf, lauf – hol die Polizei!“Wie Drazen D. dann wortlos auf dessen Cousine schoss, die ebenfalls umfiel und nur noch sagte: „Oh Gott!“Wie Dario sich „mit zitternden Füßchen“im Wohnzimmer hinter dem Vorhang versteckte. Wie sie weglief, um Hilfe zu holen und drei weitere Schüsse hörte („Ich höre sie immer noch“). Sie trafen Dario tödlich. „Ich glaubte, man könne sie noch retten“, sagt die Russlanddeutsche in gebrochenem Deutsch.
Als die 31-Jährige während einer Prozesspause aufsteht und hinausgeht, nimmt Drazen D. die Hand vors Gesicht. „Das alles wäre vermeidbar gewesen“, sagt die Frau noch und macht der Polizei schwere Vorwürfe, die trotz mehrerer Vorwarnungen untätig und dazu noch unfreundlich gewesen sei. Die Fassung verliert sie nur, wenn sie immer wieder von „meinem Dario“spricht.
Als Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, zum Abschluss der Vernehmung fragt, ob es noch Nachfragen gebe, sagt die junge Frau: „Ja, ich!!“Dann schaut sie hinüber zu Drazen D. und sagt: „Warum hast du das getan.“Eine Antwort bekommt sie nicht. Dafür gibt sie ihre eigene Antwort: „Das ist der Teufel“, sagt sie angewidert zu ihm, „ein Mensch kann das nicht tun. Ich hoffe, er verbrennt lebendig.“
Sie hat Bilder von Dario mitgebracht, gibt sie dem Richter und bittet, sie dem Vater vorzulegen. Verteidiger Mussgnug nimmt sie in Empfang und gibt sie umgehend ans Gericht „zu den Akten“zurück.
Immer wieder Tötungsfantasien
Ungleich emotionaler berichtet die frühere Ehefrau, welches Martyrium sie und ihre Kinder mit Drazen D. erleiden mussten. Teilweise schluchzend und seufzend schildert sie, wie ihr Ex-Mann sie nach einem Prügelexzess während der Nacht vor den Augen des kleinen Sohnes zwingen wollte, aus dem zweiten Stock vom Balkon zu springen. Sie war so verzweifelt, dass sie dazu entschlossen war, sich aber an der Brüstung verfing und von ihm dann noch gehalten wurde. Drazen D. habe ihr und den Kindern immer wieder mit Tötungsfantasien gedroht, falls sie ihn verlasse: eine Zigaretten in den Augen auszudrücken, ihr die Sehnen durchtrennen, das Gesicht verstümmeln, alle Knochen brechen, die Kinder töten. Er habe ihr Tücher in den Mund gesteckt und Kissen ins Gesicht gedrückt, dass sie jedes Mal gedacht habe zu sterben. Neun Jahre lang habe sie das mitgemacht, weil sie nicht wusste, wohin sie soll. Dann, im Januar 2010, flüchtete sie ins Frauenhaus. Inzwischen hat sie „ein völlig neues Leben“begonnen und lebt glücklich an einem geheimen Ort in Bayern.
Der neunte Prozesstag endet mit einer Überraschung: Verteidiger Bernhard Mussgnung will beweisen, dass Drazen D. an einer „hirnorganischen Störung“leidet, was eine verminderte Steuerungsfähigkeit und damit eventuell auch eine mildere Strafe bedeuten könnte. Der Anwalt beantragt dazu „eine ergänzende Untersuchung“.
Der Prozess wird am heutigen Mittwoch um 9 Uhr fortgesetzt.