Ein Land am Boden wählt
In Venezuela geht es darum, ob Präsident Maduro im Amt bleibt
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CARACAS - Alle paar Meter haben die Wahlkampfstrategen einen Lautsprecherwagen postiert. Der Kampagnensong beschallt in eingängigem Latino-Pop die gesamte Avenida Bolívar. „Todos con Maduro, ya está el futuro“. Alle mit Maduro, die Zukunft ist schon da. Die Menschen, die an diesem Donnerstagnachmittag ins Zentrum von Caracas gekommen sind oder kommen mussten, summen und singen den Song mit. Zehntausende füllen die größte Straße der venezolanischen Hauptstadt. Aber anders als bei früheren Wahlkampfabschlüssen stehen die Menschen auf der zwei Kilometer langen Avenida nicht dicht gedrängt, als um kurz vor 15.30 Uhr Staatspräsident Nicolás Maduro die Bühne betritt. Selbst die verpflichteten Mitarbeiter von Staatsbetrieben und Regierungsstellen aus ganz Venezuela füllen die Lücken nicht.
Umfrageexperten sehen bei der umstrittenen vorgezogenen Präsidentschaftswahl in Venezuela keinen klaren Trend. Mal führt Maduro, mal sein Herausforderer Henri Falcón, ein früherer Chavist, der vor einigen Jahren die Seiten wechselte. Falcón und der evangelikale Prediger Javier Bertucci wollen die Chavisten ablösen. Seit 1999 regieren die Linksnationalisten in dem südamerikanischen Ölstaat. Vor allem Maduro und seine Regierung haben das Land in den Kollaps gewirtschaftet.
Um 20 Prozent steigen derzeit die Preise pro Woche in Venezuela. Ende des Jahres wird die Inflation laut Internationalem Währungsfonds bei 14 000 Prozent liegen. Die Wirtschaft wird um 15 Prozent geschrumpft sein. Die Industrie liegt am Boden. Nahrungsmittel und Medikamente sind knapp, Trinkwasser ebenfalls. Die Kriminalität steigt, die Menschen hungern. Andersdenkende werden verfolgt, die Opposition ausgeschaltet. „Venezuela ist ein gescheiterter Staat“, sagt nüchtern der Ökonom Jean-Paul Leidenz. „Der Staat kann die Grundbedürfnisse nicht mehr sicherstellen.“Das Ende sei nah, orakelt Leidenz. Aber es sei nicht klar, ob das Schiff sinkt oder vorher doch der Kapitän von Bord gekippt wird.
Opposition boykottiert die Wahl
Am Sonntag hätten die Venezolaner dazu die Chance. Aber der Wahlforscher Luis Vicente León versichert, die Abstimmung sei nicht demokratisch, ein Sieg des Amtsinhabers sei sehr wahrscheinlich. Die Abstimmung sei weder frei noch gleich. Die größten Oppositionsparteien seien von der Wahl ausgeschlossen, die bekanntesten Kandidaten wie Leopoldo López und Henrique Capriles dürften nicht antreten. „Zudem sind Wahlrat und Gerichte fest in Hand der Regierung“, sagt der Chef des Umfrageinstituts Datanálisis. Das größte, völlig zerstrittene Oppositionsbündnis MUD hat zudem zum Boykott der Wahl aufgerufen. Mindestens 50 Prozent der Oppositionsanhänger wollen nicht wählen.
Während also die Opposition zum Boykott aufruft und Falcón und Bertucci sich gegenseitig Stimmen wegnehmen, schließt der Chavismus seine Reihen und päppelt seine Wähler mit dickeren Rationen in den staatlichen Nahrungsmittelpaketen auf – sowie mit der Vergabe des sogenannten Carnet de la Patria (Heimatausweis). Mit dieser Bankkarte kommt man bei Wohlverhalten in den Genuss von allerlei Sonderzahlungen.
Maduro muss sich seiner Sache sehr sicher sein, wenn er sich nur ein Jahr nach den größten Protesten gegen ihn vorgezogenen Wahlen stellt. Drei Monate lang hatten im Frühjahr 2017 Junge, Alte, Mittelklasse, Oberund auch Unterschicht protestiert gegen den Mann mit dem Schnauzer und dem messianischen Eifer. Mit massiven Demonstrationen wollten sie ihn stürzen. Doch Maduro brachte Polizei und Panzer gegen die Protestierer auf die Straße. Mehr als einhundert Menschen starben. Die Proteste kosteten nicht nur Leben, sondern auch Kraft, Mut und viel Zeit. Und sie waren vergeblich.
Die Gesellschaft sei „deprimiert, anästhesiert und schicksalsergeben“, sagen Beobachter. Von der Wut des vergangenen Jahres scheinen in Caracas tatsächlich nur die Wandmalereien geblieben zu sein: „Maduro Mörder“oder „Hunger“prangt an vielen Stellen der Stadt. Zudem haben die Menschen vollauf damit zu tun, das tägliche Überleben in der Hyperinflation zu sichern. So beschäftigt die Venezolaner in erster Linie die Frage, wie sie sich und ihre Familien satt bekommen. Mit dem monatlichen Mindestlohn kann man kaum einen Karton Eier kaufen.