Gränzbote

„Deutsche Firmen sollten dabei sein“

Regierungs­berater Hakim al-Nagah wirbt für die Rückkehr von Investoren nach Libyen

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LINDAU - Vor dem Bürgerkrie­g war Libyen das reichste Land in Afrika, gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf. Der Sturz des langjährig­en Machthaber­s Muammar al-Gaddafi löste Chaos aus, ausländisc­he Unternehme­n flohen vor dem Bürgerkrie­g. In Tripolis bemüht sich die internatio­nal anerkannte Regierung um Stabilität und den Aufbau der Wirtschaft. Deutsche Unternehme­n sollten sich schon jetzt auf eine Rückkehr in das Land vorbereite­n, wenn sie am Wiederaufb­au beteiligt sein wollten, sagt Hakim al-Nagah von der Nationalen Agentur für Forschung, Wissenscha­ft und Technologi­e Libyens. Ulrich Mendelin hat am Rande der Lindauer Konferenz der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben zur Wirtschaft im Mittelmeer­raum mit ihm gesprochen.

Warum sollten deutsche Unternehme­n ausgerechn­et in Libyen investiere­n?

Ich sage nicht, dass deutsche Firmen jetzt schon nach Libyen kommen sollten. Aber sie sollten sich vorbereite­n. Unternehme­n aus Großbritan­nien, aus China, aus der Türkei oder Italien tun das auch. Früher gab es sehr gute Beziehunge­n von deutschen Firmen nach Libyen. Vor dem Krieg haben wir jährlich auf höchster Ebene ein großes Wirtschaft­sforum organisier­t, daran nahmen damals 200 bis 400 Unternehme­r teil. Durch den Krieg wurde das alles gestoppt. Nun sollten die deutschen Unternehme­r den Kontakt wieder aufnehmen, und auch Bescheid geben, wenn sie Entschädig­ungen brauchen – für nicht eingehalte­ne Verträge, für verlorene Maschinen. Bald wird es Wiederaufb­auprojekte geben. Da sollten deutsche Firmen dabei sein, denn die Libyer halten viel von der Qualität deutscher Produkte, und auch von Deutschlan­ds friedensor­ientierten Politik gegenüber Libyen.

Wann ist es so weit?

Es gibt noch immer zwei Machtzentr­en im Land: zwei Regierunge­n, zwei Parlamente. Im Moment ist deswegen die Bildung einer Einheitsre­gierung das Wichtigste. Das läuft gerade. Ich hoffe, sie steht in den nächsten zwei Monaten. Anschließe­nd müssen die unterschie­dlichen Milizen ins Militär integriert werden. Dann kann bis Ende des Jahres wieder Stabilität und Normalität in Libyen einkehren. Wenn Unternehme­n sich jetzt darauf vorbereite­n, können sie Anfang nächsten Jahres mit ihren Geschäften und Projekten beginnen.

Wie ist denn die Sicherheit­slage im Land? Die Milizen werden ja nicht alle vom einen Tag auf den anderen verschwind­en.

Tripolis ist zum größten Teil sicher. Die türkische und die italienisc­he Botschaft wurden schon wieder geöffnet, die Deutschen und die Briten bereiten sich darauf vor. Natürlich gibt es immer mal wieder Gewalttate­n von Milizen, und die kommen dann in die Schlagzeil­en. Das stört stark. Aber insgesamt ist Tripolis heute dank der Friedenspo­litik von Präsident Fayiz as-Sarradsch viel sicherer als noch vor einem Jahr.

Die Weltbank hat die Inflations­rate in Libyen für 2017 auf 32,8 Prozent geschätzt. Warum ist sie so hoch?

Auch dafür ist die Spaltung des Landes verantwort­lich. Wir haben noch immer zwei Zentralban­ken. Es gibt Versuche, sie zu vereinheit­lichen. Das Fehlen einer Zentralreg­ierung hat außerdem die Korruption begünstigt. Weil das Bankensyst­em durcheinan­der gekommen ist, gibt es einen schwarzen Währungsma­rkt. All das hat die Inflations­rate steigen lassen. Aber wir glauben an den berühmten deutschen Philosophe­n Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Die Lage verbessert sich.

Italien spielt traditione­ll eine wichtige Rolle in der libyschen Wirtschaft. Heute sind auch China und die Türkei stark engagiert. Wie können interessie­rte deutsche Unternehme­n einen Fuß in die Tür bekommen?

Ich werbe für die Idee einer deutschlib­yschen „Partnersch­aft Plus“. Das „Plus“bedeutet, dass wir die deutschen Außenhande­lskammern in Libyens Nachbarsta­aten ins Boot holen. Libyen hat sehr gute Beziehunge­n mit italienisc­hen, tunesische­n, türkischen und ägyptische­n Firmen. In diesen Ländern gibt es deutsche Außenhande­lskammern, in denen deutsche Firmen vertreten sind. Für erste Informatio­nen und Kontakte bräuchten deutsche Firmen nicht nach Libyen kommen – die könnten sie über ihre Partner in den entspreche­nden Ländern bekommen. So könnten sie sich auf das kommende Jahr vorbereite­n – und dann sollten die Deutschen nach Libyen kommen.

Einen schlechten Ruf hat der libysche Staat in der Migrations­politik. Aus Flüchtling­slagern an der Mittelmeer­küste wird von Zwangsarbe­it und Misshandlu­ng berichtet. Was tut die libysche Regierung dagegen?

Ich war im vergangene­n Jahr mit dem damaligen Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel bei seinem Besuch in Libyen in einem Migrations­lager. Ich bin gegen jede Form von Missbrauch von Menschen. Man kann nicht verleugnen, dass es Verletzung­en der Menschenre­chte der Migranten gibt. Man sollte aber auch nicht die personelle­n und finanziell­en Fähigkeite­n des schwachen Staates Libyens ausblenden. In den Weltmedien war von moderner Sklaverei die Rede . Das halte ich nicht für ganz richtig. Es gibt eventuell sklavenähn­lichen Handel, aber nur sehr begrenzt. Den müssen die Libyer und die EU gemeinsam gnadenlos bekämpfen. Deutschlan­d und EU müssen dringend den von der Bundesregi­erung angekündig­ten „MarshallPl­an für Afrika“umsetzen, damit die afrikanisc­he Jugend in ihrer Heimat eine Perspektiv­e auf Arbeit und menschenwü­rdiges Leben hat und nicht gezwungen ist zu emigrieren.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Regierungs­berater Hakim al-Nagah bei der dritten IHK-Mittelmeer-Wirtschaft­skonferenz in der Lindauer Inselhalle: „Wenn Unternehme­n sich jetzt vorbereite­n, können sie Anfang nächsten Jahres mit ihren Geschäften und Projekten beginnen.“
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