Gränzbote

Panini-Fieber

Warum wir jetzt wieder Millionen für die Aufkleber ausgeben.

- ANZEIGE Von Carsten Hoefer

MÜNCHEN/MODENA (dpa) - WMJahre sind Panini-Jahre. Auch vor der Fußballwel­tmeistersc­haft in Russland sind beträchtli­che Teile der deutschen Bevölkerun­g vom Sammelfieb­er ergriffen. Panini nennt keine Zahlen. Aber in Buch- und Zeitschrif­tenläden, an Kiosken und Tankstelle­n werden allein in Deutschlan­d Abermillio­nen von Papieraufk­lebern mit den Fotos der WM-Spieler für die Sammelalbe­n des italienisc­hen Unternehme­ns verkauft.

Forscher fragen sich: Warum sind Menschen bereit, Geld für ein eigentlich viel zu teures Produkt auszugeben? Denn die Fans investiere­n in ihre Panini-Alben oft ein Vielfaches der Summe, die sie für ein vergleichb­ares Buch mit Spielerfot­os ausgeben würden.

Eine Beispielre­chnung: Neunzig Cent kostet jede Tüte mit fünf Bildern, in jedes Album passen 682 Aufkleber, das ergibt Mindestkos­ten von 122 Euro für ein vollständi­g gefülltes Panini-Album. Tatsächlic­h sind die Kosten noch ungleich höher, weil sich mit fortschrei­tender Vervollstä­ndigung des Albums die doppelten Aufkleber häufen.

Füllen eine Million Fans ihre Alben, brauchen sie dafür 682 Millionen Bilder – entspricht einem Mindestums­atz von gut 122 Millionen Euro. In den Hochzeiten produziert Panini in der Firmenzent­rale in Modena für den weltweiten Vertrieb täglich sieben bis acht Millionen Tüten. Umsatz und Auflage in Deutschlan­d nennt die Firma nicht.

„Man lernt alle Spieler kennen, und es macht Spaß zu sammeln“, erklärt der zwölf Jahre alte Münchner Schüler Felix, der mit Hilfe der Aufkleber die Körpergröß­e prominente­r Fußballsta­rs auswendig gelernt hat – Cristiano Ronaldo 1,87 Meter, Manuel Neuer 1,93 Meter.

Doch sammeln keineswegs nur Minderjähr­ige. Viele Erwachsene bewahren sich das Sammelfieb­er aus der Kindheit: „Für mich ist der Reiz, in einigen Jahren wieder hineinscha­uen zu können“, sagt Wolfgang Franke, als Controller in einem oberbayeri­schen Forschungs­zentrum Fachmann fürs Geld.

Verena Hüttl-Maack, Professori­n für Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Universitä­t Hohenheim, nennt vier mögliche Gründe, warum die Fans so viel Geld ausgeben. „Ein Faktor könnte die Nostalgie und die Erinnerung an die eigene Kindheit sein. Ein zweiter der sogenannte Ikea-Effekt: Die Leute halten einen Tisch für wertvoller, den sie selbst zusammenge­baut haben, als wenn er ihnen fertig zusammenge­setzt vor die Nase gesetzt wird“, sagt die Wissenscha­ftlerin. „Die eigene Leistung lässt die Sache wertvoller erscheinen.“

Dem Spieltrieb erlegen

Der dritte Effekt sei der reine Spieltrieb, die Neugierde beim Öffnen einer Tüte. „Es ist nachgewies­en, dass die Auflösung der Neugierde positive Emotionen erzeugt, auch wenn das Resultat am Ende gar nicht so großartig ist. Man empfindet eine Art Belohnungs­effekt.“

Das sieht Felix Klimm ebenso. Der wissenscha­ftliche Mitarbeite­r am Lehrstuhl für Verhaltens­ökonomik und experiment­elle Wirtschaft­sforschung an der Münchner Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t erklärt das Motiv: „Allein die Erwartung, dass Marco Reus in der Tüte sein könnte, freut jeden Fan ungemein.“

Und auch der soziale Effekt könnte eine Rolle spielen. „Die Zugehörigk­eit zu einer sozialen Gruppe, wenn ganz viele Menschen die Bilder sammeln“, nennt Hüttl-Maack als weiteren Grund.

Letzteren Effekt lernen vor allem Eltern kennen. Die Kinder üben daheim Druck aus, damit Mama und Papa das nötige Kleingeld locker machen. „Wenn in einer Klasse viele Kinder ein Panini-Album haben, kann der Wunsch nach einem eigenem Album sehr groß sein für die, die nicht sammeln“, meint Klimm.

Beim Sammeln der Panini-Aufkleber spielten sowohl soziale als auch individuel­le Aspekte eine Rolle, sagt der Münchner Wirtschaft­swissensch­aftler. Der Gruppendru­ck ist nicht die einzige soziale Komponente, dazu zählt auch „das Tauschen von Stickern, welches Nutzen stiften kann“. Das Sammeln an sich sei oft eine individuel­le Motivation, wie man auch beim Briefmarke­nsammeln sehe.

„Hinzu kommt die Stückelung des Preises“, sagt Klimm. „Der ist auf die einzelnen Tüten aufgeteilt, so dass viele die Gesamtkost­en nicht überblicke­n.“Müsste man den Preis für ein komplettes Album auf einmal bezahlen, würden es wenige kaufen – „aber in vielen kleinen Häppchen bezahlen die Leute den relativ hohen Preis dann doch.“

Das Geschäftsm­odell funktionie­rt offensicht­lich prächtig. „Seit den Werksanfän­gen in den Siebzigern hat Panini in Modena schätzungs­weise 25 Milliarden Tütchen produziert“, berichtet ein Sprecher der deutschen Panini-Zentrale. Mittlerwei­le ist Panini zu einer WM in mehr als 130 Ländern präsent. Größter Einzelmark­t ist das fußballver­rückte Brasilien.

Und die Preise steigen von WM zu WM kräftig. 2014 kostete eine Tüte noch 60 Cent.

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Blick auf die Seite der deutschen Nationalma­nnschaft im Panini-Stickeralb­um zur Fußball-Weltmeiste­rschaft, das am 27. März in den deutschen Handel kam: Die Fehlerquot­e bei der Spieleraus­wahl – Mario Götze beispielsw­eise hat es nicht in den vorläufige­n WM-Kader geschafft – liegt Panini zufolge bei zwölf Prozent.

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