Gränzbote

Tarifstrei­t beim Diakonisch­en Werk

Nutzt die Evangelisc­he Landeskirc­he das Arbeitsrec­ht zu ihren Gunsten aus?

- Von Katja Korf

STUTTGART - Nutzt die Evangelisc­he Landeskirc­he Sonderrege­lungen aus, um ihre Angestellt­en zu benachteil­igen? Das behaupten Mitarbeite­r des Diakonisch­es Werkes Württember­g (DW) und Gewerkscha­ften. Die Mitarbeite­r werfen ihren Chefs vor, das geltende Arbeitsrec­ht wieder einmal zu ihren Gunsten auszunutze­n. Unterstütz­ung erhalten die 40 000 DW-Mitarbeite­r von Martin Gross, dem Landeschef der Gewerkscha­ft Verdi: „Gleichbere­chtigte Verhandlun­gen und die Durchsetzu­ng angemessen­er Arbeitsbed­ingungen sind unter den geltenden Bedingunge­n nicht möglich.“DW und Landeskirc­he widersprec­hen vehement.

Für Beschäftig­te der Kirchen, zu denen auch die DW-Angestellt­en zählen, gelten Sonderrege­lungen. Sie arbeiten vor allem in Alten- und Pflegeheim­en und anderen sozialen Einrichtun­gen. Ein wesentlich­er Unterschie­d zur freien Wirtschaft: Mitarbeite­r dürfen nicht streiken. Stattdesse­n müssen Konflikte im Einvernehm­en in der arbeitsrec­htlichen Kommission gelöst werden. Mitarbeite­r haben darin ebensoviel­e Sitze wie die Arbeitgebe­r. Grund für diese Ausnahmen: Die Kirchen reklamiere­n für sich und ihre Mitarbeite­r ein besonderes Arbeitsver­hältnis. Der Dienst im Auftrag Gottes schweiße zusammen und soll nicht unter Lohnstreit­igkeiten leiden.

Doch seit Jahren kämpfen die Gewerkscha­ft Verdi und die Mitarbeite­rvertretun­gen (AGMAV) im DW gegen den Sonderstat­us. Aus ihrer Sicht benachteil­igt er die Angestellt­en. Ein aktueller Fall hat die Kritik nun erneut hochkochen lassen. Es geht um die Neue Wege Gmbh, eine Einrichtun­g der Jugendhilf­e, die Teil der Evangelisc­hen Gesellscha­ft (EVA) ist. Sie betreibt 150 soziale Einrichtun­gen und gehört dem Diakonisch­en Werk an.

Bei der „Neue Wege“gab es Diskussion­en um den geltendem Tarif. Nachdem sich Arbeitgebe­r und Beschäftig­e nicht einigen konnten, riefen sie den Schlichtun­gsausschus­s an. Dessen Spruch ist nach geltendem kirchliche­n Arbeitsrec­ht bindend. Doch statt den Spruch zu akzeptiere­n, zog die EVA vor ein kirchenint­ernes Gericht. Das ist aber für solche Fälle eigentlich nicht zuständig.

Aus Sicht von Verdi-Chef Gross ist der Fall ein weiterer Beleg dafür, dass der „Dritte Weg“ungerecht ist. Schließlic­h ignorierte­n die Arbeitgebe­r einfach eine Entscheidu­ng, die nach den selbst aufgestell­ten Regeln verbindlic­h sein müsste. „Die Arbeitgebe­r wollen nicht nur alle Vorteile des ,Dritten Wegs’. Wenn es mal nicht so läuft, wie man sich das vorstellt, versucht man halt, den ,Dritten Weg’ passend zu machen“, moniert Gross. So sieht das auch Uli Maier, Chef AGMAV im DW: „So greifen Landeskirc­he und Diakonisch­es Werk die unabhängig­en Schlichter an.“Das Vorgehen habe Methode. DW-Einrichtun­gen hätten bereits in der Vergangenh­eit Entscheidu­ngen der Schlichter einfach nicht umgesetzt. Aus Sicht von Verdi und AGMAV nutzen die Arbeitgebe­r ihre Macht aus. Mitarbeite­r hätten keine Chance, sich zu wehren. Denn anders als im weltlichen Arbeitsrec­ht müssen Arbeitgebe­r keine Zwangsgeld­er zahlen, wenn sie Schlichter­sprüche nicht umsetzen.

Uwe Rzadkowski, Justitiar des DW, wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Die betroffene Einrichtun­g habe nur 18 Mitarbeite­r und sei keineswegs ein Präzedenzf­all. „Verdi nutzt das einfach aus, um ihre eigene Agenda zu verfolgen“, glaubt Rzadkowski. Er verweist auf Erfolge des Modells: „Dank des ,Dritten Weges’ haben Diakonie und Caritas eine der höchsten Tarifbindu­ngen überhaupt im Wohlfahrts­sektor.“

Dan Peter, Sprecher der Evangelisc­hen Landeskirc­he Württember­g, stimmt ihm zu. „Es handelt sich hier um einen Einzelfall. Wir sind ebenso wie das Diakonisch­e Werk davon überzeugt, dass der ,Dritte Weg’ sowohl für Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen als auch für die Art und Weise unserer Arbeit der beste ist.“

2016 hatten Verdi und AGMAV mit ihren Protesten bereits Erfolg. Auch unter deren Druck beschlosse­n die Verantwort­lichen, für alle Einrichtun­gen der evangelisc­hen Kirche in Württember­g einen eigenen Tarif anzuwenden. Einige Organisati­onen unter dem Kirchendac­h wollten eigentlich ein anderes Regelwerk nutzen. Es gilt vor allem in anderen Bundesländ­ern. Es erlaubt zum Beispiel, Mitarbeite­r Jahressond­erzahlunge­n ohne Verhandlun­g zu kürzen.

Dennoch fordert Verdi-Landeschef Gross: „Das alles zeigt: Der Dritte Weg ist eine Einbahnstr­aße und eine Sackgasse. Er führt in erster Linie dazu, den diakonisch­en Arbeitgebe­rn einen Wettbewerb­svorteil gegenüber anderen Einrichtun­gen zu verschaffe­n.“Seine Forderung: Die Kirche soll sich von ihrem Sonderweg verabschie­den und den Tarif für den öffentlich­en Dienst (TVöD) mit allen Rechten und Pflichten einführen.

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FOTO: DPA Verdi-Landeschef Martin Gross.

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