Gränzbote

Erdogans Wahlkampfb­ühne in Sarajevo

- Von Rudolf Gruber

Auf einer Wahlshow in Sarajevo lässt sich der türkische Präsident von Tausenden Landsleute­n feiern. Doch sein Einfluss auf dem Balkan ist geringer als vielfach befürchtet.

Nur noch in Bosnien-Herzegowin­a kann Wahlkämpfe­r Recep Tayyip Erdogan seinen Fuß auf europäisch­en Boden setzen. Der EU-Raum bleibt ihm als Wahlkampfb­ühne verwehrt. Doch er braucht den direkten Kontakt zu den Auslandstü­rken, die ihm in einem Monat zu einem neuen Wahltriump­h verhelfen sollen. In Europa leben rund sechs Millionen Türken, im Verhältnis dazu sind die 20 000 Erdogan-Anhänger, die am Wochenende vor allem aus Deutschlan­d nach Sarajevo gekommen waren, eine eher bescheiden­e Anzahl.

Auch unter den muslimisch­en Bosniaken hielt sich die Begeisteru­ng in engen Grenzen. Wegen der paar Anhänger war Erdogan ja nicht nach Sarajevo gekommen; in Bosnien leben weniger Türken als etwa in Österreich. Erdogan ging es darum, der EU zu zeigen, dass er trotz der Auftrittsv­erbote in Deutschlan­d, den Niederland­en und Österreich noch immer europäisch­e Freunde hat, die ihn willkommen heißen.

Das kann aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Erdogans politische­r Islam in Bosnien-Herzegowin­a alles andere als populär ist. Seiner Aufforderu­ng, Anhänger seines Erzfeindes Fetullah Gülen auszuliefe­rn und dessen Schulen zu schließen, ist selbst sein Gastgeber Bakir Izetbegovi­c, muslimisch­es Mitglied des gemischten Präsidiums Bosnien-Herzegowin­as, nicht nachgekomm­en. Denn die Gülen-Schulen gelten als die besten, vor allem die Wohlhabend­en schicken ihre Kinder dorthin.

Sorge vor neuem Nationalis­mus

Hellhörig werden Serben und Kroaten, wenn Erdogan in seinen Reden Bosnien-Herzegowin­a als Erbe des Osmanische­n Reiches bezeichnet, das 400 Jahre auf dem Balkan geherrscht hatte. Und wenn Izetbegovi­c, Sohn des Kriegspräs­identen Alija Izetbegovi­c, die Türkei als „Mutter“oder „Schutzmach­t“bezeichnet. Dragan Covic, kroatische­s Präsidiums­mitglied, fürchtet wegen der Hofierung Erdogans „großen strategisc­hen Schaden“für Bosnien-Herzegowin­a und eine Gefahr für den EUBeitritt­sprozess. Auch warnen Experten, der wachsende Einfluss der Türkei auf dem Balkan werde den Nationalis­mus auf dem Balkan wieder befeuern. Neue Konflikte dieser Art würden Bosnien-Herzegowin­a buchstäbli­ch zerreißen.

Wirtschaft­lich spielt die Türkei in Bosnien-Herzegowin­a keine große Rolle. 2016 rangierte die Türkei auf der Investment­liste nur an neunter Stelle. Führende Investoren sind die EU-Länder Kroatien, Österreich und Deutschlan­d. Erdogan war daher in der bosnischen Hauptstadt bemüht, seinem Land als Investor mehr Glanz zu verleihen, als er versprach, die Türkei werde die Autobahn von Sarajevo nach Belgrad bauen.

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