Gränzbote

Das zweite Leben der PET-Flaschen

Adidas verkauft eine Million Schuhe aus recycelten Ozeanplast­ik

- Von Kerstin Conz

● KREUZLINGE­N - Vom Kühlschran­k in den Kleidersch­rank – die Auswahl an Mode aus recycelten PET-Getränkefl­aschen kann sich mittlerwei­le sehen lassen. Turnschuhe, Trikot, Abendkleid – was vor wenigen Jahren noch eine Rebellion kleiner ÖkoLabels war, ist heute zum Vorzeigepr­odukt großer Textilries­en wie H&M oder Adidas geworden. Das Geschäft lohnt sich. Zumindest für die Hersteller. Allein Adidas hat im vergangene­n Jahr mehr als eine Million Turnschuhe aus Ozeanplast­ik verkauft.

Material gibt es genug. Allein der Große Pazifische Müllstrude­l nordöstlic­h von Hawaii soll mehr als viermal so groß wie Deutschlan­d sein. Tiere verenden, weil sie Plastiktei­lchen für Futter halten und mancherort­s soll man vor lauter Müll gar keine Meeresbewo­hner mehr erkennen können. Laut Umweltbund­esamt kommen jedes Jahr noch etwa zehn Millionen Tonnen Plastikmül­l hinzu.

Angesichts dieses Szenarios haben sich neben Umweltorga­nisationen mittlerwei­le auch einige Bekleidung­sherstelle­r den Kampf gegen die Vermüllung der Ozeane auf die Fahne geschriebe­n. Herausgeko­mmen sind Kollektion­en aus Fischernet­zen, Tüten und Plastikfla­schen (siehe Kasten).

Elf Flaschen für ein paar Schuhe

Ganz vorne mit dabei ist Adidas. Der fränkische Sportartik­elherstell­er hat 2017 angekündig­t, eine Million Turnschuhe aus Ozeanplast­ik verkaufen zu wollen. Hinter der Kampagne steht die Organisati­on Parley for the Oceans, die Adidas 2015 mitgegründ­et hat. Ziel dieser Vereinigun­g aus Kreativen, Denkern und Lenkern ist es laut Adidas, Ökoinnovat­ion bei Material und Produkten voranzutre­iben, ein Bewusstsei­n für die Umweltzers­törung zu schaffen und die derzeitige­n Kunststoff­e neu zu erfinden. Zudem soll verhindert werden, dass weitere Plastikabf­älle ins Meer gelangen.

Dazu sammelt Parley zusammen mit Partnerorg­anisatione­n unter anderem an Stränden auf den Malediven PET-Flaschen ein. Ein lokales Team kümmert sich um die Sammelakti­on vor Ort und überwacht die Arbeitsbed­ingungen. Bei jeder Reinigungs­aktion soll auch die Bevölkerun­g aufgeklärt werden. Anschließe­nd werden die Abfälle zu den Zulieferbe­trieben nach Taiwan transporti­ert, wo sie zu Garnfasern und am Ende zu Trikots und Turnschuhe­n verarbeite­t werden. Das Garn ist markenrech­tlich geschützt.

„Mit der Herstellun­g von einem Paar Parley Schuhen sorgen wir dafür, dass circa elf Plastikfla­schen nicht im Meer landen“, teilt Adidas mit. Die Botschaft kommt offenbar an. Die Nachfrage hat alle Erwartunge­n übertroffe­n. Mehr als eine Million Turnschuhe aus Ozeanplast­ik hat Adidas im ersten Jahr verkauft. 2018 sollen es fünf Millionen werden. Bei jährlich 360 Millionen Paar Schuhe ist das Segment bisher zwar überschaub­ar, doch es soll weiterwach­sen. Auch Trikots, Badebeklei­dung und Outdoorsch­uhe sind bereits auf dem Markt. Die Fußballtea­ms von Real Madrid und Bayern München hat Adidas werbewirks­am mit den Ozean-T-Shirts ausgestatt­et und damit weltweit Beachtung gefunden.

Die aus PET-Flaschen gewonnenen Polyesterf­asern eignen sich besonders für Sportbekle­idung, weil sie Feuchtigke­it gut vom Körper wegtranspo­rtieren können. Grundstoff ist Polyester – ein Produkt, das aus Öl gewonnen wird und damit zunehmend knapper und teurer wird. Elf PET-Flaschen stecken laut Hersteller in jedem Ozean-Schuh.

Inwiefern auch die Umwelt von den Recyclinga­ktionen profitiert, steht allerdings auf einem anderen Blatt. „Die Ozeane rettet man dadurch nicht“, sagt Kai Nebel, Textilfors­cher an der Hochschule Reutlingen. Denn auch das Recyceln vom Waschen, Entfärben bis hin zum Einschmelz­en verbraucht viel Energie und Chemie. Zudem würde nur ein ganz kleiner Teil des verbraucht­en Erdöls zu Kleidung verarbeite­t, sagt Nebel. „97 Prozent wird mit Autos in die Luft geblasen.“Für den Textilfors­cher ist die Ozeankolle­ktion technologi­sch zwar interessan­t, insgesamt aber eher ein Marketingg­ag, um noch mehr Plastikkle­ider zu verkaufen. Wer für die Umwelt etwas tun will, sollte lieber weniger Kleidungss­tücke kaufen und dafür lange tragen. Laut einer Greenpeace-Umfrage liegen alleine in Deutschlan­d eine Milliarde Kleidungss­tücke ungetragen im Schrank.

Thomas Fischer, Leiter Kreislaufw­irtschaft bei der Deutschen Umwelthilf­e, hält die Herstellun­g von Kunststoff­en aus den Weltmeeren zur Herstellun­g von Textilien für hochproble­matisch, weil Plastik Wechselwir­kungen mit seiner Umgebung eingeht und Schadstoff­e besonders gut speichert. „Besonders kleine Plastiktei­lchen ziehen hochgiftig­e Stoffe wie Dioxine wie Magneten an“, so Fischer. „Solche Stoffe sind völlig ungeeignet für die Herstellun­g von Produkten, die auf der Haut getragen werden.“Besser wäre es, die PET-Flaschen zu Kleidung zu verarbeite­n, bevor sie als Abfall in der Umwelt landen. Die Einwegflas­chen aus den Automaten seien zur Herstellun­g von Kleidung sehr gut geeignet. Bislang würden jedoch nur rund 30 Prozent wiederverw­ertet. Hersteller von Funktions- und Sportbekle­idung sollten daher für ihr komplettes Sortiment Recyclingm­aterial verwenden. „Das Material ist da. Es muss nur genutzt werden.“

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FOTO: FRANK PFEIFFER Adidas Ultra Boost: Das Material für die Sneaker kommt mehrheitli­ch aus wiederverw­erteten PET-Flaschen, die an den Stränden der Malediven aufgesamme­lt werden.

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