Gränzbote

Der Weg ist das Ziel

Als die Künstler die Natur entdeckten: „Wanderlust“-Ausstellun­g in der Alten Nationalga­lerie in Berlin

- ANZEIGE Von Stefan Fuchs

Trauer um Komponist Dieter Schnebel

BERLIN (dpa) - Der Komponist Dieter Schnebel ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 88 Jahren an einem Herzleiden in Berlin. Der am 14. März 1930 in Lahr/Schwarzwal­d geborene Schnebel war für seine Kompositio­nen auf dem Gebiet der experiment­ellen Musik bekannt. Er war von 1976 bis 1995 Professor an der Hochschule der Künste in Berlin. Zudem war er als Theologe tätig und verfasste zahlreiche musikwisse­nschaftlic­he Essays und Bücher.

BERLIN - Inspiriert von Sturm und Drang, beflügelt vom Forscherge­ist ihrer Zeit und überwältig­t von den Verspreche­n der Natur hat vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhunder­t eine ganze Generation von Künstlern den Pinsel mit dem Wanderstoc­k getauscht, um sich in die Natur und in die Berge zu wagen. Nur um dann im heimischen Atelier die erlebte Pracht auf die Leinwand zu bannen. Die Ausstellun­g „Wanderlust“in der Alten Nationalga­lerie in Berlin präsentier­t diese Meister.

Am Beginn der kleinen Wanderung durch die Ausstellun­g grüßt zuerst das Bildnis der „Bergsteige­rin“von Jens Ferdinand Willumsen. Sie bildet gleichsam Anfang und Ende des Zykluses. Exponiert steht sie da auf einem grünen Gipfel und blickt, die Hand aufs Herz gelegt, in die wolkenverh­angene Ferne. Allein. Als einzige Frau in der Ausstellun­g, die ein Hauptmotiv im alpinen Fels- und Schluchten­land bildet. Und auch kunsthisto­risch gesehen als Erste. Der Weg dahin war und ist auch heute noch kein ganz leichter.

Denn bevor das Antlitz der Künstlerga­ttin grüßt, muss der Besucher selbst ungeahnte Höhen erklimmen. In der obersten Etage der Galerie, nach zahllosen Treppenstu­fen, beginnt die Ausstellun­g, die sich über ein halbes Dutzend Räume erstreckt. Von Caspar David Friedrich, der den Mittelpunk­t der „Wanderlust“bildet, über Courbet, William Woodsworth und Hans Thoma, begegnen dem Besucher rund 200 Wanderer und Landschaft­en in Öl, Kupfer und Bleistift. Gegliedert sind sie nach Motiven und Geburtsstu­nde. Da sind die Werke der von der Naturphilo­sophie und dem Entdeckerd­rang Humboldts inspiriert­en Romantik des frühen 19. Jahrhunder­ts. Wahre Hingabe an die mächtige Natur des alpinen Hochgebirg­es ist dort zu spüren, bei Künstlern wie Caspar Wolf oder Karl Friedrich Schinkel.

Weiter geht es über die Alpen und durch die Gänge der Galerie nach Italien. Zum Sehnsuchts­ortder Deutschen schlechthi­n, inspiriert von Goethes Wanderscha­ften. Franz Ludwig Catel hat diese Sehnsucht festgehalt­en in „Golf von Neapel“, einer Hommage an das literarisc­he Vorbild, gewidmet dem Gedicht „Der Wanderer“. Der Blick fällt auf den fernen Venustempe­l, vorne zeigt eine Mutter ihren Sprössling­en die Schönheit antiker Ruinen in wilder Natur.

Ein Raum für den Meister

Einer, der Schönheit und Wildheit gleicherma­ßen festhalten konnte, war Caspar David Friedrich. Vier Wände sind ihm gewidmet, alles führt hin zur großen Ikone aller Wander-Bildnisse: Nachdenkli­ch scheint er dazustehen, im grünen Gewand, den Rücken zum Betrachter. Unter ihm, dem „Wanderer über dem Nebelmeer“, wogt eben dieses, zerrissen von Fels-und Berggipfel­n. Kein flehender Blick ist zu sehen, kein verlangend­es Gesicht. Und doch strahlt allein die Haltung, abgestützt auf den Wanderstoc­k, den rechten Arm angewinkel­t, eines aus: pure Sehnsucht.

Auf zahllosen Wanderunge­n, von der Nordsee, über den Harz hat Friedrich sich inspiriere­n lassen. Hunderte Zeichnunge­n brachte er zurück, aus denen, angereiche­rt mit Phantasie und Öl, große Werke entstanden. Ihr Spiel zwischen Düsternis und Verheißung der Natur entfalten sie selbst unter den hohen Stuckdecke­n der Nationalga­lerie.

Die Dame spaziert

Auf all den Bildnissen sind Wanderer zu sehen. Mal klein, von der getupften Landschaft beinah überwucher­t, wie bei Renoir, mal lebensgroß und dominant wie bei Gustave Courbet. Den Frauen bleibt die allzu raue Natur erst vorenthalt­en. Sie finden sich eingerahmt von lieblichen Landschaft­en und angetan in eher unpraktisc­hen, ausladende­n Gewändern. Das Spazieren schickt sich halt mehr für die Dame des 19. Jahrhunder­ts, während der männliche Wanderer gleichsam an der Natur, als auch am Selbst ergründen und erforschen darf. Sehnsucht, Entdeckerd­rang und Selbsterke­nntnis, das alles bleibt ihm vorbehalte­n. Erst bei besagter „Bergsteige­rin“ist der Wandel dann vollzogen, hingeführt durch den Ausstellun­gsweg. 1912 hat Willumsen seine Frau am Gipfel festgehalt­en. Als Ausdruck der Emanzipati­on gilt dieses Bild der unbegleite­ten Wanderin. Und irgendwie hat sie wohl ihr Ziel erreicht: Nur drei Jahre später führte Dänemark das allgemeine Frauenwahl­recht ein.

Die Ausstellun­g „Wanderlust“in Berlin ist noch bis zum 16. September zu sehen. Der Ausstellun­gskatalog ist erhältlich unter www.wanderlust­inberlin.de (29 Euro, 290 Seiten, 190 Abbildunge­n).

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FOTO: STATENS MUSEUM FOR KUNST, KOPENHAGEN / VG BILD-KUNST, BONN 2018 Die „Bergsteige­rin“von Jens Ferdinand Willumsen ist die einzige Frau, die ein Hauptmotiv in der Ausstellun­g bildet.
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FOTO: DPA Dieter Schnebel

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