Der Weg ist das Ziel
Als die Künstler die Natur entdeckten: „Wanderlust“-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie in Berlin
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Trauer um Komponist Dieter Schnebel
BERLIN (dpa) - Der Komponist Dieter Schnebel ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 88 Jahren an einem Herzleiden in Berlin. Der am 14. März 1930 in Lahr/Schwarzwald geborene Schnebel war für seine Kompositionen auf dem Gebiet der experimentellen Musik bekannt. Er war von 1976 bis 1995 Professor an der Hochschule der Künste in Berlin. Zudem war er als Theologe tätig und verfasste zahlreiche musikwissenschaftliche Essays und Bücher.
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BERLIN - Inspiriert von Sturm und Drang, beflügelt vom Forschergeist ihrer Zeit und überwältigt von den Versprechen der Natur hat vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert eine ganze Generation von Künstlern den Pinsel mit dem Wanderstock getauscht, um sich in die Natur und in die Berge zu wagen. Nur um dann im heimischen Atelier die erlebte Pracht auf die Leinwand zu bannen. Die Ausstellung „Wanderlust“in der Alten Nationalgalerie in Berlin präsentiert diese Meister.
Am Beginn der kleinen Wanderung durch die Ausstellung grüßt zuerst das Bildnis der „Bergsteigerin“von Jens Ferdinand Willumsen. Sie bildet gleichsam Anfang und Ende des Zykluses. Exponiert steht sie da auf einem grünen Gipfel und blickt, die Hand aufs Herz gelegt, in die wolkenverhangene Ferne. Allein. Als einzige Frau in der Ausstellung, die ein Hauptmotiv im alpinen Fels- und Schluchtenland bildet. Und auch kunsthistorisch gesehen als Erste. Der Weg dahin war und ist auch heute noch kein ganz leichter.
Denn bevor das Antlitz der Künstlergattin grüßt, muss der Besucher selbst ungeahnte Höhen erklimmen. In der obersten Etage der Galerie, nach zahllosen Treppenstufen, beginnt die Ausstellung, die sich über ein halbes Dutzend Räume erstreckt. Von Caspar David Friedrich, der den Mittelpunkt der „Wanderlust“bildet, über Courbet, William Woodsworth und Hans Thoma, begegnen dem Besucher rund 200 Wanderer und Landschaften in Öl, Kupfer und Bleistift. Gegliedert sind sie nach Motiven und Geburtsstunde. Da sind die Werke der von der Naturphilosophie und dem Entdeckerdrang Humboldts inspirierten Romantik des frühen 19. Jahrhunderts. Wahre Hingabe an die mächtige Natur des alpinen Hochgebirges ist dort zu spüren, bei Künstlern wie Caspar Wolf oder Karl Friedrich Schinkel.
Weiter geht es über die Alpen und durch die Gänge der Galerie nach Italien. Zum Sehnsuchtsortder Deutschen schlechthin, inspiriert von Goethes Wanderschaften. Franz Ludwig Catel hat diese Sehnsucht festgehalten in „Golf von Neapel“, einer Hommage an das literarische Vorbild, gewidmet dem Gedicht „Der Wanderer“. Der Blick fällt auf den fernen Venustempel, vorne zeigt eine Mutter ihren Sprösslingen die Schönheit antiker Ruinen in wilder Natur.
Ein Raum für den Meister
Einer, der Schönheit und Wildheit gleichermaßen festhalten konnte, war Caspar David Friedrich. Vier Wände sind ihm gewidmet, alles führt hin zur großen Ikone aller Wander-Bildnisse: Nachdenklich scheint er dazustehen, im grünen Gewand, den Rücken zum Betrachter. Unter ihm, dem „Wanderer über dem Nebelmeer“, wogt eben dieses, zerrissen von Fels-und Berggipfeln. Kein flehender Blick ist zu sehen, kein verlangendes Gesicht. Und doch strahlt allein die Haltung, abgestützt auf den Wanderstock, den rechten Arm angewinkelt, eines aus: pure Sehnsucht.
Auf zahllosen Wanderungen, von der Nordsee, über den Harz hat Friedrich sich inspirieren lassen. Hunderte Zeichnungen brachte er zurück, aus denen, angereichert mit Phantasie und Öl, große Werke entstanden. Ihr Spiel zwischen Düsternis und Verheißung der Natur entfalten sie selbst unter den hohen Stuckdecken der Nationalgalerie.
Die Dame spaziert
Auf all den Bildnissen sind Wanderer zu sehen. Mal klein, von der getupften Landschaft beinah überwuchert, wie bei Renoir, mal lebensgroß und dominant wie bei Gustave Courbet. Den Frauen bleibt die allzu raue Natur erst vorenthalten. Sie finden sich eingerahmt von lieblichen Landschaften und angetan in eher unpraktischen, ausladenden Gewändern. Das Spazieren schickt sich halt mehr für die Dame des 19. Jahrhunderts, während der männliche Wanderer gleichsam an der Natur, als auch am Selbst ergründen und erforschen darf. Sehnsucht, Entdeckerdrang und Selbsterkenntnis, das alles bleibt ihm vorbehalten. Erst bei besagter „Bergsteigerin“ist der Wandel dann vollzogen, hingeführt durch den Ausstellungsweg. 1912 hat Willumsen seine Frau am Gipfel festgehalten. Als Ausdruck der Emanzipation gilt dieses Bild der unbegleiteten Wanderin. Und irgendwie hat sie wohl ihr Ziel erreicht: Nur drei Jahre später führte Dänemark das allgemeine Frauenwahlrecht ein.
Die Ausstellung „Wanderlust“in Berlin ist noch bis zum 16. September zu sehen. Der Ausstellungskatalog ist erhältlich unter www.wanderlustinberlin.de (29 Euro, 290 Seiten, 190 Abbildungen).