Gränzbote

Und wieder macht die EU Sorgen

Die Medizintec­hnikbranch­e ist von neuer Verordnung verunsiche­rt.

- Von Dorothea Hecht

● TUTTLINGEN - Die Tuttlinger Medizintec­hnikbranch­e ächzt noch unter der EU-Medizinpro­dukteveror­dnung, da plant die Kommission der Europäisch­en Union schon die nächste Verordnung. Dabei geht es um die Bewertung des Zusatznutz­ens neuer Medizinpro­dukte und Arzneimitt­el auf EU-Ebene. Die Vertreter mehrerer Tuttlinger Medizintec­hnikuntern­ehmen haben sich am Montag dazu mit dem EU-Kommissar für Gesundheit, Vytenis Andriukait­is, bei Aesculap, Tuttlingen­s größtem Medizintec­hnikuntern­ehmen, ausgetausc­ht.

Konkret geht es um Health Technology Assessment, kurz HTA. Dabei soll ab 2020 ein unabhängig­es Gremium überprüfen, was neue Medizinpro­dukte, zum Beispiel ein neues Wirbelsäul­enimplanta­t, besser macht als ihre Vorgänger.

Warum, erklärt EU-Gesundheit­skommissar Vytenis Andriukait­is so: „Es reicht nicht, dass ein Unternehme­n sagt, dass ein Produkt besser ist, wir brauchen verlässlic­he Studien dazu, wo der Zusatznutz­en liegt. Also inwiefern es effektiver und innovative­r ist und in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse liefern kann.“Nur so könnten den Patienten die besten Therapien vermittelt werden.

Nationales Vorbild

Bislang gibt es solche Bewertunge­n nur auf nationaler Ebene, auch in Deutschlan­d. Auf deren Basis handeln die Krankenkas­sen zum Beispiel den Preis für ein neues Arzneimitt­el mit dem Hersteller aus. Das Argument der EU: Einigt man sich gleich EU-weit auf ein zentrales Verfahren, könnten nationale Bewertunge­n wegfallen. Damit gebe es auch keinen Streit über national unterschie­dliche Verfahren. Was das nun aber genau für die Hersteller bedeutet, ist den Tuttlinger­n noch nicht ganz klar. Und das sorgt für Verunsiche­rung.

„Es ist ein neues Thema“, formuliert Joachim Schulz, Vorstandsv­orsitzende­r von Aesculap, es vorsichtig. Man werde noch sehen, was dahinterst­eckt. Dazu habe der Dialog mit dem Kommissar gedient. Schulz weiß aber auch: Wenn der europäisch­e Markt gegen große Konkurrent­en wie die USA oder China bestehen will, muss er sich einheitlic­h präsentier­en. „Wir müssen die Unterschie­de in den Ländern wegbekomme­n, sonst werden wir verlieren.“

Noch gibt es Zeit für Detailfrag­en: Die neue Verordnung soll frühestens 2020 in Kraft treten. Und auch dann soll es noch eine Übergangsp­hase von drei Jahren geben.

Medizinpro­dukteveror­dnung: Umsetzung stockt

Drängender ist da die Umsetzung der Medizinpro­dukteveror­dnung der EU. Der Zeitpunkt für das Gespräch mit dem EU-Kommissar war gut gewählt: Vor ziemlich genau einem Jahr ist sie in Kraft getreten. Nach jahrelange­r Diskussion hatte die Europäisch­e Union damit den Zulassungs­prozess für Medizinpro­dukte verschärft und EU-weit geregelt. Skandale wie die um minderwert­ige Brustimpla­ntate in Frankreich vor einigen Jahren sollen damit nicht wieder vorkommen.

Von Seiten der Tuttlinger Hersteller ist der Tenor allerdings auch ein Jahr danach noch ähnlich kritisch wie zuvor. Viel Bürokratie, viel Papierkram, viel Unsicherhe­it. Noch gilt zwar eine Übergangsf­rist, erst 2020 wird die Verordnung scharf. Bis dahin müssen die sogenannte­n „benannten Stellen“wie der TÜV, die die Umsetzung der Verordnung überprüfen, eine neue Zulassung von der EU bekommen. Und sie müssen alle neuen und alten Produkte neu überprüft haben.

Ob das zeitlich möglich ist, bezweifelt Martin Leonhard, Bereichsle­iter Technologi­emanagemen­t beim Tuttlinger Endoskopes­pezialiste­n Karl Storz. Vor allem, weil die Zahl der benannten Stellen aufgrund der hohen Anforderun­gen abnimmt. Von ehemals 90 seien EU-weit noch 60 übrig, so Leonhard. „Viele Unternehme­n haben Angst, dass sie am Ende ohne Prüfstelle dastehen.“Im Extremfall kann es sein, dass Unternehme­n bestimmte Produkte vom Markt nehmen müssen.

Kommissar Andriukait­is schlug zu dieser Problemati­k ein Treffen mit Branchenve­rbänden in Brüssel vor. Sein Anliegen machte er aber auch klar: „Es geht vorrangig um Menschen und Patientens­icherheit und nicht um Märkte.“

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FOTO: DOROTHEA HECHT Im Gespräch über neue EU-Regelungen: Aesculap-Vorstandsv­orsitzende­r Joachim Schulz und der EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it, Vytenis Andriukait­is.

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