Musikfestivals auf neuen Wegen
Warum für viele Besucher heute das Gefühl eines Kurzurlaubs wichtig wird
NÜRNBERG/RAVENSBURG (dpa/ crw) - Riesenrad, Palmen und jede Menge Trendsetter: Das Coachella in Kalifornien gilt als eines der erfolgreichsten Musikfestivals der Welt. Jedes Jahr im April pilgern angesagte Leute auf das Wüstengelände nahe Palm Springs. Das Besondere: Im Publikum sind wohl mehr Stars zu finden als auf der Bühne. Instagram-Bilder vor dem Coachella-Riesenrad sind auch für sogenannte Influencer (von „influence“– Einfluss) ein Muss. Und was ist mit dem Line-up? Bei all dem Rummel rückt die Musik etwas in den Hintergrund. Sieht so auch die Zukunft der Festivals in Deutschland aus?
„Die Festivalkultur in den USA unterscheidet sich deutlich von der hierzulande“, sagt Stephan Thanscheidt, Geschäftsführer von FKP Scorpio. Seine Firma veranstaltet mehr als 25 Festivals in sieben Ländern, darunter das Southside in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) und das zeitgleich stattfindende Hurricane in Scheeßel, die jährlich zusammen etwa 120 000 Besucher anlocken.
„Wir sehen nicht, dass sich die Entwicklung von Festivals wie dem Coachella auch eins zu eins auf deutsche Festivals übertragen lässt“, sagt Thanscheidt. Die hiesigen Events entwickelten sich natürlich auch weiter, das Rahmenprogramm werde immer wichtiger. „Also schaffen wir keine Lifestyle-Kulissen, sondern überlegen stattdessen sehr genau, was es für ein ganzheitliches Musikerlebnis heutzutage inhaltlich braucht und welcher rote Faden zu welchem Festivalkonzept passt.“
Musik bleibt das Herzstück
Man könne zusammengefasst sagen: „Der Trend geht hin zum Festivalerlebnis. Aber die Musik ist und bleibt das Herzstück auf all unseren Festivals.“Bewusst ergänzt um ein dazu passendes Camping- und Gesamtkonzept. Wie etwa beim „A Summer's Tale“in Luhmühlen in der Lüneburger Heide, das FKP-Scorpio seit 2015 im August organisiert. Neben Musik werden auch Workshops – vom Wein-Seminar bis hin zu Plattdeutsch, Yoga und Japanischer Teezeremonie – angeboten. Das Festival spreche ein erwachseneres Publikum an, sagt Thanscheidt.
Innovativer ist auch das „Parookaville“in Weeze an der deutsch-niederländischen Grenze. Das Electronic-Dance-Festival hatte seine Premiere 2015 und erwartet wie im Vorjahr wieder etwa 80 000 Besucher. Das Konzept basiert darauf, dass sich der ehemalige Militärflughafen für die Festivaltage in ein Dorf verwandelt mit Schwimmbad, Postamt und einer Kirche zum symbolischen Heiraten – auch hier gibt es ein Riesenrad.
Das Gesamtkonzept ist auch diesen Veranstaltern wichtig. Die erfolgreichsten Festivals der Welt, wie eben Coachella, seien keine reinen Musikfestivals mehr, sondern Showkonzepte mit klarem Fokus auf einem einmaligen Gesamterlebnis, sagt Bernd Dicks, einer der Gründer von Parookaville.
Natürlich sei es der Anspruch von Veranstaltern, Weltstars und SzeneDJs auf die Bühnen zu bringen. Das erwarteten auch die Besucher. „Den rasanten Erfolg und seine Einzigartigkeit verdankt Parookaville allerdings vor allem der Tatsache, dass die „Bürger“hier vier Tage in eine Parallelwelt eintauchen können.“
Nach Einschätzung des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft gibt es in Deutschland mehr als 250 Festivals, eventuell sogar mehr als 300. Die Szene sei im Umbruch, sagt Verbandspräsident Jens Michow. Die Zielgruppe – insbesondere deren Alter und Erwartungen – hätten sich geändert, Komfort werde wichtiger. Bei vielen Festivals lässt sich heute ein bereits aufgebautes Zelt oder ein Bungalow gleich mit buchen – und das in verschiedenen Größen und mit verschiedenen Ausstattungsmerkmalen.
Auch einem eigenen Zimmer sind viele Musikfans nicht abgeneigt. So ist das Indoor-Festival „Rolling Stone Weekender“, das am 9. und 10. November am Weissenhäuser Strand an der Ostsee steigt, bereits ausverkauft. Hier setzen die Veranstalter auf kurze Wege und ein ergänzendes Programm an Lesungen, Talkrunden und Plattenbörsen. Resttickets gibt es eventuell, wenn man sich eine eigene Unterkunft sucht.
Ein Wochenende früher findet an gleicher Stelle für Fans der härteren Gangart ebenfalls ein Komfort-Festival statt. Für das „Metal Hammer Paradise“haben sich am 2. und 3. November unter anderem Accept, Mr. Hurley und die Pulveraffen, Die Apokalyptischen Reiter, Kadavar und Tiamat angekündigt. Auch für dieses Festival gibt es nur noch Resttickets, wenn man eine externe Unterkunft sucht.
Festival im Europa-Park
Als Süd-Pendant zum „Rolling Stone Weekender“steigt dann diesen Herbst erstmalig der „Rolling Stone Park“im Europa-Park in Rust (Ortenaukreis). Angekündigt haben sich für den 16. und 17. November The Flaming Lips, Ryan Adams, Kettcar, Nada Surf, The Decemberists, Die Höchste Eisenbahn und Ben Watt. Lesungen gibt es mit Thorsten Nagelschmidt und Oliver Polak.
Doch Infrastruktur allein ist nicht alles. Auch heute gelte laut Jens Michow: „Ohne vernünftiges Line-up kann man kein erfolgreiches Festival veranstalten.“
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