Alle suchen Qualitätsmanager
Medizinprodukteverordnung macht Tuttlinger Firmen viel Papierarbeit – Fachkräftemarkt leer
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TUTTLINGEN - Im Zuge der Medizinprodukteverordnung ist in Tuttlingen ein Kampf um die Köpfe ausgebrochen. Wer Qualitätsmanagement kann, ist gefragt. Kein Wunder: Bis 2020 müssen alle Hersteller und Händler mit den neuen und verschärften Regelungen der Europäischen Union konform sein. Jetzt zählt’s, da ist man sich in der Branche einig.
Die Jobbezeichnungen heißen „Manager Regulatory Affairs“, „Prozessingenieur Qualitätsmanagement“oder „Mitarbeiter Zulassung Medizinprodukte“, die Aufgabenstellung aber ist gleich: Sie sollen die Akten für Skalpelle, Endoskope, Implantate und sonstige Produkte gemäß der neuen Verordnung überarbeiten.
Auch Regierungspräsidium ist auf der Suche
Viel Arbeit macht vor allem, dass Produkte der neuen Klasse I R – R steht dabei für „reusable“, also wiederverwendbar – neu zertifziert werden müssen. Das sind einfache chirurgische Instrumente wie Scheren oder Zangen, die traditionell oft in Tuttlingen hergestellt werden.
Seit Mai 2017 ist die Verordnung in Kraft, die Übergangsphase gibt den Firmen noch Zeit bis Mai 2020.
Dass alle Firmen deshalb Personal suchen, liegt auf der Hand. Der Tuttlinger Endoskope-Spezialist Karl Storz etwa könnte im Bereich Qualitätsmanagement noch zusätzliche Leute brauchen, sagt Martin Leonhard, Bereichsleiter Technologiemanagement. Nur: „Der Markt ist leer.“Das liegt auch daran, dass nicht nur die Tuttlinger Firmen Fachkräfte suchen.
Auch das Regierungspräsidium und die Benannten Stellen, die die Firmen überprüfen müssen, wollen Leute einstellen – wenn es denn genug gäbe.
„Wir merken, dass die Firmen versuchen, die Kräfte aus den eigenen Reihen zu ziehen, weil sie auf dem Markt keine finden“, sagt Britta Norwat, Projektleiterin Medical Mountains. Der Interessenverband hat einen ganzen Katalog an Angeboten zur Medizinprodukteverordnung, „und die Seminare sind sehr stark nachgefragt“, sagt sie. Zwei Lehrgänge im Jahr, die im Januar und April gestartet sind, sind komplett ausgebucht.
Eigengewächse ziehen bei den Firmen
Auf die eigenen Leute setzen – das macht auch Thomas Butsch, Inhaber von Hebu Medical. 45 Leute beschäftigt er in Tuttlingen, vier kümmern sich nur um Qualitätsmanagement. „Alle vier sind Eigengewächse“, meint er. Zum Teil hätten sie schon als Studenten oder Azubis in der Firma gelernt und hätten sich dann weitergebildet.
Generell in Qualitätsmanagement zu investieren, sei jetzt unglaublich wichtig, glaubt Butsch, der auch Vizepräsident der IHK SchwarzwaldBaar-Heuberg ist. „Jetzt werden die Weichen gestellt, jetzt muss man massiv Geld und Personal in die Hand nehmen.“
Dass dabei gerade kleinere Firmen auf der Strecke bleiben, kommt auch bei Medical Mountains an. Zum Teil ziehen sich kleinere Betriebe vom Markt zurück und agieren als „verlängerte Werkbank“für größere Firmen, arbeiten also nur nach Auftrag. Wer aber selbst am Markt sein und Produkte verkaufen will, muss zertifiziert sein.
Das ist oft allerdings auch eine Kostenfrage: Ein Zehn-Mann-Betrieb kann die neue Qualitätsoffensive nur schwer stemmen. Für ihn habe es sich allerdings bezahlt gemacht, sagt Thomas Butsch. „Ein sauberes Qualitätsmanagement bringt auch Aufträge.“
WIRTSCHAFT
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