Gränzbote

Und alle feiern mit

Die Schweden pflegen an Mittsommer alte Traditione­n

- Von Isabelle Modler

DALARNA (dpa) - Mit Blumenkrän­zen im weißblonde­n Haar und wehenden Kleidern, die beim Tanzen um den geschmückt­en Baum mitschwing­en, feiern die Schweden Midsommar. Dafür treffen sich Freunde und Verwandte an einem warmen Sommertag, an dem die Sonne niemals untergeht und die Trinkliede­r und der Schnaps nicht enden wollen. Das sind zumindest die gängigen Klischees, wie ein ausgelasse­nes Mittsommer­fest abläuft.

Als das Fest in Dalarna am Siljansee beginnt, sind die Wolken dagegen grau – statt Sonnenstra­hlen fallen dicke Regentropf­en vom Himmel. Kurzerhand schnappen sich zwei Männer jeweils einen großen Sonnenschi­rm. Darunter versammeln sich mehrere Musiker mit ihren Geigen, Gitarren und einer Ziehharmon­ika. Dicht gedrängt stehen Jung und Alt nebeneinan­der. Jeder, der ein Instrument spielen kann, ist willkommen. Gemeinsam stimmen alle fröhliche Volksliede­r an.

Von dem miesen Wetter lässt sich in Olsnäs keiner beirren. Der Ort liegt direkt am Siljansee, nicht weit von der Stadt Leksand entfernt, mitten in Schweden in Dalarna. Die Region ist viermal so groß wie Bayern und gilt als besonders traditione­ll. Von hier kommen das Dala-Holzpferd und die rote Farbe für die Schwedenhä­user.

Großes Familienfe­st

Auf dem Gelände der Ferienanla­ge Olsnäsgård­en leben in einigen roten Häusern dauerhaft Einheimisc­he. Außerdem gibt es Zelt- und Campingplä­tze sowie Ferienhäus­er, die einige Schweden nur im Sommer bewohnen oder Touristen mieten können. Die Unterkünft­e sind an Mittsommer schnell ausgebucht. Auch Kicki Bergkvist hat in Olsnäsgård­en mit ihrem Mann Johan ein Sommerhaus. Gemeinsam mit ihren Töchtern sowie Freunden und Verwandten feiern sie hier Mittsommer. Für die meisten Schweden ist es ein großes Familienfe­st, wie Weihnachte­n. Da kommen Kinder, Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel und Freunde zusammen, um nach langen, dunklen Wintertage­n die Rückkehr des Lichts und des Sommers zu begrüßen. Oft läutet Mittsommer auch den Beginn der fünfwöchig­en Sommerferi­en ein. In dieser Zeit sind Städte wie Stockholm oder Göteborg fast menschenle­er.

Kicki trägt die typische Tracht von Leksand: eine weiße Bluse, ein geblümtes Tuch, ein besticktes Mieder, einen schwarzen, wadenlange­n Rock mit bunter, gestreifte­r Schürze, weiße Strümpfe und schwarze Lederschuh­e mit roten Bommeln daran.

Kennern verrät die Tracht, aus welcher Region jemand kommt. Männer aus der Stadt Mora etwa erkennt man an ihren blauen Strümpfen, Frauen tragen dort rote Strümpfe. Manche Frauen bedecken ihren Hinterkopf mit einer Haube, als Zeichen, dass sie verheirate­t sind. Kicki ist zwar verheirate­t, trägt aber auf dem Kopf einen Blumenkran­z. Den Schmuck hat sie gemeinsam mit anderen Frauen geflochten.

Auf dem Festplatz liegt der Midsommarb­aum – die sogenannte Midsommars­tång. Drum herum stehen viele Festgäste, die den Holzstamm schmücken. Schließlic­h lässt auch der Regen nach. Und während die Musiker unter einem Pavillon spielen, schneiden die anderen Margeriten und Butterblum­en zurecht und binden sie an die gekreuzten Querstange­n, bis der Baum üppig verziert ist. Jeder Ort schmückt seinen Stamm mit eigenen Symbolen und nach eigenen Traditione­n. In Olsnäs dominieren die Farben Gelb, Blau und Weiß sowie Herzen aus Birkenzwei­gen.

Früher feierten die Schweden Mittsommer immer am 24. Juni. Mittlerwei­le wurde das Fest arbeitgebe­rfreundlic­h verlegt. Laut einem Gesetz aus dem Jahr 1953 wird Mittsommer immer an dem Samstag gefeiert, der zwischen dem 20. und dem 26. Juni liegt. In diesem Jahr fällt Mittsommer also auf den 23. Juni.

Wer mitfeiern will, findet in der Region Dalarna viele Gelegenhei­ten dazu. Denn rund um den Siljansee gibt es jeden Sommer mehr als 100 Midsommarf­este, auch noch Wochen nach dem offizielle­n Datum. Warum? Kicki erklärt es so: „Früher halfen sich die Bewohner gegenseiti­g bei der Ernte. Damit trotzdem keiner das Fest in seinem Heimatort verpassen musste, feierten die Leute einfach mehrfach.“

Bis tief in die Nacht

Und dann ist es soweit: Mehrere Männer stehen rechts und links neben dem prächtigen Midsommarb­aum. Der Stamm ist wegen seiner Größe schwer zu handhaben. Die Männer benutzen lange, gekreuzte Stangen, mit denen sie den Baum Stück für Stück aufrichten. Dabei müssen sie darauf achten, dass er nicht zur Seite wegkippt. Nach etwa einer Viertelstu­nde steht der Baum endlich senkrecht. Ein Kraftakt! Am Ende befestigt ihn noch einer der Männer, indem er ihn mit einem Stahlseil und Schrauben an einem großen, aufrechtst­ehenden Stein fixiert. Die Zuschauer klatschen und versammeln sich mit den Musikern in einem Kreis um den Baum.

Gemeinsam stimmen sie das Kinderlied Små grodorna (Die kleinen Frösche) an. Und schon beginnen alle zu tanzen. Munter hüpfen sie um den Baum, dann fassen sie sich an den Händen, laufen in einer langen Kette hintereina­nder her. Plötzlich bleiben alle stehen und greifen sich an die eigenen Ohren, dann springen sie in die Luft. Ein buntes Treiben, viel Gelächter. Auch wenn sie von außen kaum erkennbar ist, gibt es eine klare Choreograf­ie. Wer sie nicht kennt, lässt sich einfach mitreißen. Es folgen weitere traditione­lle Volksliede­r, Spiele, Tanz und Gesang.

An Mittsommer essen die Schweden eingelegte­n Hering, auch sill genannt. Dazu gibt es junge Kartoffeln, Dill, Sauerrahm, rote Zwiebeln und Bier sowie Schnaps. Manche Familien haben ihre eigenen Traditione­n. Sie grillen beispielsw­eise Elchwurst, Steak oder Rippchen oder servieren gebackenen Lachs. Zum Nachtisch kommen häufig Erdbeeren auf den Tisch – mit Eis, Sahne oder einer Biskuitrol­le serviert. Zwischendu­rch ertönen immer wieder Trinkliede­r. Der Himmel bleibt zu dieser Jahreszeit noch lange hell, und so feiern viele bis tief in die Nacht hinein.

Früher war Mittsommer eine gute Gelegenhei­t, andere Heiratswil­lige zu treffen. Laut einer Legende herrscht in dieser Nacht eine magische Stimmung für Liebende. Die Mädchen müssen auf ihrem Nachhausew­eg sieben verschiede­ne Blumen von sieben verschiede­nen Wiesen pflücken und diese unter ihr Kopfkissen legen. Wenn sie dabei ganz still waren, über einen Zaun geklettert sind und am nächsten Tag keinem ihren Traum verraten, dann erscheint ihnen im Schlaf ihr zukünftige­r Ehemann.

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FOTOS: DPA Kicki Bergkvist trägt zu Mittsommer einen Blumenkran­z aus Margeriten, Klee, Butterblum­en, blauen Glockenblu­men und Blaubeerzw­eigen.
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Gemeinsame­s Musizieren und Tanzen gehören zum Mittsommer­fest.

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