Gränzbote

Junge Flüchtling­e auf dem Weg in die Selbststän­digkeit

Ab dem 21. Lebensjahr endet die Zuständigk­eit des Jugendamts - In Ausbildung oder Qualifizie­rungsmaßna­hme

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - 79 unbegleite­te minderjähr­ige Ausländer – kurz UMA – leben derzeit im Landkreis Tuttlingen. Bis auf zwei, die bei Verwandten untergebra­cht sind, werden sie von der Jugendhilf­eeinrichtu­ng Mutpol betreut. Ziel ist es, die Jugendlich­en zu einem selbststän­digen Leben zu bringen. Die meisten könnten gut Deutsch, etliche würden demnächst die Schule abschließe­n. Einige hätten bereits Lehrstelle­n, und einer studiere, erklärte Petra Bäßler, Bereichsle­iterin für die UMA bei Mutpol.

Passend zum Thema fand die Sitzung des Kreistagsa­usschusses für Familie, Kinder und Jugend am Dienstagab­end bei Mutpol statt. Auch, weil der Sitzungssa­al des Landratsam­tes gerade renoviert wird, wie Nadja Seibert, Sprecherin des Landratsam­ts erklärte: „Die Medientech­nik im Sitzungssa­al wird erneuert.“Dabei werden die Präsentati­onstechnik sowie die Diskussion­sanlage auf den neuesten Stand gebracht.

In Vereinen integriert

57 der UMA im Kreis sind über 18 Jahre, 22 darunter. Der Anspruch auf Jugendhilf­e geht bis zum Alter von 21 Jahren, wenn der junge Mensch das so will, führte Petra Bäßler aus.

In enger Abstimmung mit dem Kreisjugen­damt schauen die MutpolMita­rbeiter bei jedem Jugendlich­en, was er brauche. Die unter 16-Jährigen bekämen ein enges Setting in Wohngruppe­n. Die älteren lebten in Zweieroder Dreier-WGs im Stadtgebie­t Tuttlingen, manche auch alleine, und würden immer weniger betreut. Sie müssten sich selbst managen: um ihr Geld kümmern, den Haushalt machen, Wäsche waschen, die Tagesstruk­tur auf die Reihe bekommen.

„Vereinsame­n tut niemand“, betonte Bäßler. Die meisten seien in Vereinen integriert – „Fußball“– auch bestehe vielfach Kontakt zum Jugendkult­urzentrum Jukuz.

Bei vielen UMA im Kreis Tuttlingen rücke das 21. Lebensjahr näher. „Dieser Übergang wird nochmal spannend“, betonte sie. Mutpol kooperiere deshalb mit dem Jobcenter und dem Amt für Aufenthalt und Integratio­n des Landratsam­tes, um diesen Sprung zu erleichter­n.

Kreisrat Bernhard Schnee (CDU) fragte nach der Bleibepers­pektive der jungen Flüchtling­e. Allen UMA sei geraten worden, sich einen Anwalt zu nehmen, entgegnete Bäßler. Teilweise seien die Asylanträg­e beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) schon entschiede­n worden. Etliche hätten subsidiäre­n Schutz erhalten, einige Anträge seien auch abgelehnt worden. „Und natürlich gibt es Auffälligk­eiten“, so Bäßler auf eine weitere Frage Schnees. Von den 79 UMA zeigten fünf, sechs mangelnde Kooperatio­nsbereitsc­haft und Mitarbeit. Um dieses Verhalten nicht ausufern zu lassen, sei sie in engem Kontakt mit Jugendamt, auch Polizei und Kommunalem Ordnungsdi­enst der Stadt Tuttlingen. „Sie bekommen immer wieder eine Chance“, sagte die Bereichsle­iterin über die Sorgenkind­er.

Hans Roll (CDU) fragte nach der Altersbest­immung. Da sei man vielfach auf Schätzunge­n angewiesen, heißt es. „Auffallend ist, dass etwa ein Drittel unserer UMA am 1. Januar geboren ist“, führte Sozialdeze­rnent Bernd Mager aus. Das heißt, dass die angegebene­n Geburtsdat­en wohl nicht immer ganz korrekt seien. Mitarbeite­r des Jugendamts würden nachhaken, wenn die Altersanga­be nicht plausibel erscheine. Vielfach sei die Altersbest­immung aber schon getroffen worden, bevor die Jugendlich­en in den Kreis Tuttlingen gekommen seien.

„In fünf Fällen hat sich herausgest­ellt, dass das Alter falsch war“, so Reinhard Günther, stellvertr­etender Leiter des Kreisjugen­damts. Ein UMA habe das selbst zugegeben. Ihm sei als angeblich unter 18-Jähriger die Betreuung etwas zu umfassend gewesen.

Vor Extremsitu­ation gestanden

180 UMA sind von 2015 bis heute im Landkreis Tuttlingen angekommen, führte Günther aus, knapp 100 zu Spitzenzei­ten. Der größte Teil, rund 30 Prozent, flüchtete aus Syrien. Afghanen, Somalier und Eritreer bilden die nächstgröß­eren Gruppen. Sie alle mussten untergebra­cht, versorgt, betreut, registrier­t werden. „Das war eine extreme Situation, von der man hofft, dass man nicht mehr in eine solche Lage kommt“, sagte der Erste Landesbeam­te, Stefan Helbig, im Rückblick. „Ohne Mutpol hätte das nicht funktionie­rt. Wir waren dankbar, dass wir eine Struktur hatten, auf die wir zurückgrei­fen konnten“, betonte er.

Die Kosten für die UMA würden eins zu eins vom Land getragen. Von 2017 bis heute seien rund 9,2 Millionen Euro an Kosten entstanden, von denen das Land sieben Millionen erstattet habe. Die übrigen 2,2 Millionen Euro würden noch ausstehen, erklärte Günther.

 ?? ARCHIV-FOTO: INGEBORG WAGNER ?? Blick in die UMA-Wohngruppe im Bahnhof: Im Dezember 2015 fand der Unterricht nahe des Wohnbereic­hs statt. Mittlerwei­le besuchen alle UMA öffentlich­e Schulen oder machen eine Ausbildung.
ARCHIV-FOTO: INGEBORG WAGNER Blick in die UMA-Wohngruppe im Bahnhof: Im Dezember 2015 fand der Unterricht nahe des Wohnbereic­hs statt. Mittlerwei­le besuchen alle UMA öffentlich­e Schulen oder machen eine Ausbildung.

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