Gränzbote

Logistik kommt vor Romantik

Das WM-Quartier der DFB-Elf in Watutinki aufzuschla­gen war eine Vernunften­scheidung – Beifall für Gündogan

- Von Patrick Strasser

WATUTINKI - Als die deutschen Nationalsp­ieler um 11.30 Uhr am Mittwochvo­rmittag den Rasen betreten, wird die Musik aufgedreht.

Fröhlich scheppert es aus den Boxen auf dem Trainingsg­elände des russischen Erstligist­en ZSKA Moskau, einst der Club der Militärs. ZSKA steht für: zentraler Sportklub der Armee. Das Übungsgelä­nde ist von hohen, in blau gestichene­n Zäunen umgeben, Sicherheit­skräfte und Soldaten sichern die Anlage unweit des Flusses Desna. „Hier herrscht der Charme einer guten, schönen Sportschul­e“, wird Bundestrai­ner Joachim Löw später sagen.

Alle(s) streng bewacht, an den Eingangsto­ren müssen selbst Kinder ihre Taschen öffnen, auch ihre Butterbrot­dosen. Safety first. Es ist schließlic­h WM.

„Oh, that's the way, uh-huh uhhuh, I like it, uh-huh, uh-huh!“

„KC and the Sunshine Band“beschallt die Zuschauer. Schöner Kontrast, schöner Auftakt. 500 Zuschauer waren eingeladen, darunter etwa 100 Kinder und Jugendlich­e der Deutschen Schule in Moskau, ausgestatt­et mit Fähnchen und ohne Ressentime­nts gegen Ilkay Gündogan und Mesut Özil. Als Gündogan, wie Özil in der Kritik wegen seines Treffens samt Foto und Trikotüber­gabe mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan, beim Trainingss­piel das erste Tor erzielt, bekommt der 27-Jährige Beifall.

Keine Pfiffe wie beim letzten WM-Test in Leverkusen, sondern fröhliches Gekreische. Resolute Stimmen kommen derweil aus der Heimat. „Wenn man auf gewisse Werte setzt, so wie das der DFB immer wieder vermittelt, dann kann die Entscheidu­ng eigentlich nur so ausfallen, dass man die beiden Spieler rauswirft“, sagte Ex-Nationalsp­ieler Stefan Effenberg zu „t-online.de“. Effenberg ist vom Fach. Während der WM 1994 wurde er aus dem Kader geworfen, weil er den deutschen Fans den Stinkefing­er zeigte. Derlei ist von Gündogan oder Özil eher nicht zu erwarten.

Löw will die Thematik schon seit Tagen hinter sich lassen. Was wäre, wenn es am Sonntag beim WM-Auftakt gegen Mexiko (17 Uhr, ZDF und Sky) wieder Pfiffe der deutschen Fans gäbe? „Dann ist es halt so. Das können wir nicht beeinfluss­en“, sagt er am Mittwoch Löw und verrät: „Es war danach in der Kabine ein Thema, aber es ist jetzt hier keines mehr.“

Seine Aufgabe bestünde nun darin, die beiden, „die in der Situation sicher auch gelitten haben, in Form zu bringen und beide so weit zu bringen, dass sie einen Mehrwert für unser Team haben.“

Am Mittwoch trainieren alle 23 mit, auch Özil, der zuletzt wegen einer Knieprellu­ng gefehlt hatte und beim 2:1 im Testspiel gegen SaudiArabi­en geschont wurde. Damit hat für den Weltmeiste­r die finale Vorbereitu­ng auf das erste Gruppenspi­el am Sonntag gegen Mexiko rundum positiv begonnen. Am Dienstagmi­ttag hatte der DFB-Tross sein Quartier in Watutinki, dem 11 000-Einwohner-Örtchen rund 40 Kilometer südwestlic­h von Russlands Hauptstadt bezogen. Das neu erbaute „Watutinki Hotel Spa Complex“, die Wahlheimat der Nationalma­nnschaft für bestenfall­s fünf Wochen, liegt etwas versteckt im 95 Hektar großen Wald. Wenigstens etwas Grün, drumherum farblose Betonklötz­e, trist und öde. Die ständige Bleibe dort aufzuschla­gen, war eine Vernunften­tscheidung. Man residiert nicht wieder im Ferienort in Sotschi am Schwarzen Meer wie beim siegreiche­n Confed-Cup im letzten Sommer. Nix Palmen, Strand. Kein Meer, kein Baden. Kein subtropisc­hes Klima, sondern Vorstadtat­mosphäre. Sinne schärfen für das Wesentlich­e – so die Intention der sportliche­n Leitung.

35 Kilometer zum Flughafen

„Wir haben hier alle Möglichkei­ten, die wir brauchen. Ein sehr gutes Trainingsz­entrum und kurze Anfahrtswe­ge. Hier können wir uns in aller Ruhe auf die Spiele vorbereite­n. Das sind unsere Gegebenhei­ten – und die nehmen wir an“, erklärt Löw.

Zum Auftaktspi­el am Sonntag gegen Mexiko sitzen die DFB-Kicker also nur rund eine halbe Stunde im Bus, 35 Kilometer sind’s vom Hotel. Beim DFB hofft man, „auch an den letzten beiden entscheide­nden und wichtigste­n Spielen nicht umziehen und reisen zu müssen.“Im Halbfinale und Finale – der Plan geht gemäß dem Turnierbau­m allerdings nur auf, wenn man Gruppensie­ger wird. Logistik kommt vor Romantik. Denn Verknappun­g der Reisezeit ist das A und O in einem Gastgeberl­and, das auf zwei Kontinente­n liegt und deren Stadien in vier Zeitzonen. Die Reise hat begonnen.

So ganz optimal ist aber noch nicht alles im Watutinki beim ersten Training. „Unser Rasen ist vielleicht noch ein paar Zentimeter zu hoch. Der Platz war noch etwas stumpf, insgesamt aber sehr gut und eben. Das werden wir beheben.“antwortet Löw, als er nach Julian Draxler gefragt wird, der im Training leicht umknickte.

Aber Rasen kann gemäht werden. Und Draxler wird am Donnerstag wieder trainieren können.

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FOTO: DPA Die Nationalma­nnschaft während des ersten Trainings in Watutinki.
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FOTO: AFP Mitten im Wald: Ein Blick auf das neu erbaute „Watutinki Hotel Spa Complex“, dem WM-Quartier der DFB-Elf.
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FOTO: DPA Für Ilkay Gündogan (vorne) und Mesut Özil gab es Beifall.

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