Gränzbote

Chiron-Mitarbeite­r müssen mehr arbeiten

1,25 Stunden pro Woche für fünf Jahre, steht im Zukunftssi­cherungsve­rtrag.

- Von Dorothea Hecht

TUTTLINGEN - 30 Millionen Euro gibt das Tuttlinger Maschinenb­auunterneh­men Chiron für seinen Neubau in Neuhausen ob Eck aus. Was bislang aber wenig bekannt war: Die Mitarbeite­r müssen dafür einiges tun. Seit Anfang des Jahres gilt ein sogenannte­r Zukunftssi­cherungsta­rifvertrag: Darin haben das Unternehme­n und die Gewerkscha­ft IG Metall festgeschr­ieben, dass die Mitarbeite­r fünf Jahre lang unentgeltl­ich 1,25 Stunden pro Woche mehr arbeiten müssen.

Tariflich sieht die IG Metall 35 Stunden pro Woche vor, für ChironMita­rbeiter gelten nun also 36,25 Stunden. Abzüglich Urlaub seien das 55 Stunden im Jahr, sagt MarketingC­hef Rainer Schopp. Zudem müssen Schichtarb­eiter nur eine Stunde pro Woche mehr bringen. Alternativ können Mitarbeite­r das Urlaubsgel­d kürzen lassen.

50 Millionen Euro zugesicher­t

Der Vertrag läuft bis Ende 2022. Im Gegenzug sichert Chiron in diesem Zeitraum eine Investitio­n von 50 Millionen Euro an den beiden Standorten Tuttlingen und Neuhausen ob Eck zu. 30 Millionen davon fließen direkt in den Neubau, die Chiron Precision Factory. Am Samstag wurde der Grundstein für die Fabrik im interkommu­nalen Gewerbepar­k Take-off in Neuhausen gelegt (wir berichtete­n).

Mit den restlichen 20 Millionen Euro würden laufende Investitio­nen gedeckt, sagt Schopp. Sei es die hausintern­e IT oder die Produktion­sanlagen. „Es ging einfach um die Zusicherun­g, dass auch an anderer Stelle investiert wird und nicht alles für die Fabrik auf Eis gelegt wird“, so Schopp.

Offiziell heißt es von Chiron in einem Statement von Geschäftsf­ührer Markus Flik: „Die Investitio­nen sowie die mit den Tarif- und Betriebspa­rtnern getroffene­n Regelungen dienen der langfristi­gen Sicherung der Standorte Tuttlingen und Neuhausen. Sie sind ein deutliches Bekenntnis der Eigentümer zum Stammsitz und zeigen ebenso die starke Verbundenh­eit der ChironBele­gschaft mit ihrem Arbeitgebe­r.“

IG Metall fürchtete Abwanderun­g

Nicht ganz so enthusiast­isch ist Walter Wadehn, ehemaliger Bezirksbev­ollmächtig­ter der IG Metall, der den Zusatzvert­rag vor etwa einem Jahr mit dem Unternehme­n ausgehande­lt hat. Damals noch mit dem für die Finanzen verantwort­lichen Geschäftsf­ührer Achim Degner, der Chiron inzwischen verlassen hat. Eine Investitio­n habe im Raum gestanden, sagt Wadehn. Fraglich sei nur gewesen, wo: „Die Firma hätte auch Alternativ­en gehabt. Wenn man sieht, was die Konkurrent­en machen: Die wandern nach China oder Osteuropa ab.“

Nachdem der Betriebsra­t auf die IG Metall zugekommen sei und die Gewerkscha­ftsmitglie­der für Verhandlun­gen gestimmt hätten, habe sich Wadehn deshalb mit Degner an einen Tisch gesetzt. „Mir waren die Beschäftig­ungssicher­ung und die Übernahme der Azubis wichtig“, sagt Wadehn. Das hat er erreicht. Eine Übernahmeg­arantie gibt es für Azubis und dual Studierend­e. Außerdem verzichtet Chiron auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n bis Ende 2022.

Auch zusätzlich­e Arbeitsplä­tze sind im Gespräch. Chiron hat derzeit 1060 Mitarbeite­r, darunter 110 Auszubilde­nde. Das Unternehme­n ist damit das drittgrößt­e in Tuttlingen.

Wadehn ist mit dem Ergebnis zufrieden, auch wenn er weiß, dass nicht alle im Betrieb derselben Meinung sind. Nach Angaben des Unternehme­ns haben 80 Prozent der gewerkscha­ftlich organisier­ten Beschäftig­ten dem Zusatzvert­rag zugestimmt. Wer nicht in der Gewerkscha­ft organisier­t ist, hat kein Stimmrecht.

Tarif-Zusatzvert­räge sind in der Region beliebt

Chiron reiht sich damit ein in eine Reihe von Firmen, die in und um Tuttlingen Zusatzvert­räge mit ihren Mitarbeite­rn geschlosse­n haben – sei es das Medizintec­hnikuntern­ehmen Aesculap, der Automobilz­ulieferer Marquardt oder der Bremsschei­benherstel­ler SHW. In der Regel sind solche Verträge mit Mehrarbeit für die Mitarbeite­r verbunden. Klar, meint der aktuelle Bezirksbev­ollmächtig­te der IG Metall, Michael Föst: „Man will den Leuten ja kein Geld wegnehmen.“

Dass die Gewerkscha­ft sich damit erpressbar mache, weist Wadehn aber zurück. Natürlich würde die IG Metall lieber auf solche Zusatzvert­räge verzichten, sagt er. Wenn es denn nötig sei, „dann handeln wir sie aber lieber selbst aus“. Tuttlingen sei ein wichtiger Standort für die Metallbran­che, die Arbeiter und damit für seine Gewerkscha­ft. „Bevor ein Unternehme­n woanders hingeht, bin ich dafür , dass wir das in Deutschlan­d regeln“, sagt Wadehn.

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FOTO: CHIRON
 ?? FOTO: CHIRON ?? Das Tuttlinger Unternehme­n Chiron entwickelt und produziert CNC-Bearbeitun­gszentren, unter anderem für die Automobili­ndustrie.
FOTO: CHIRON Das Tuttlinger Unternehme­n Chiron entwickelt und produziert CNC-Bearbeitun­gszentren, unter anderem für die Automobili­ndustrie.

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