Wie Drazen D. zur Geheimadresse kam
Neue Indizien sprechen wohl gegen das Landratsamt – Mutmaßlicher Täter hatte weitere Spur
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ROTTWEIL/TUTTLINGEN - Drazen D., der Angeklagte im Villingendorfer Dreifachmord, sollte unter keinen Umständen die neue Wohnadresse seiner Ex-Partnerin, des gemeinsamen Sohnes und ihres neuen Freundes erfahren. Zu groß war die Angst, er würde ihnen etwas antun. Er kam dann doch in Besitz der Anschrift, höchstwahrscheinlich durch eine Unaufmerksamkeit im Tuttlinger Landratsamt. Dafür sprechen Indizien, die durch neue Ermittlungen der Kriminalpolizei beim Prozess vor dem Landgericht Rottweil zutage traten.
Die Chronologie gibt Aufschluss:
Im Rahmen seines Geständnisses ● vor dem Landgericht Rottweil hat Drazen D. berichtet, er habe „Mitte März“2017 einer Mitarbeiterin „im Jugendamt“(er nannte auch den Namen) über die Schulter schauen können und unter anderem auf dem Bildschirm per Mietvertrag gesehen, dass seine frühere Lebensgefährtin jetzt in Villingendorf wohne, samt Straßenangabe. Die Nummer habe er allerdings nicht erkennen können, weil die wohl zu weit rechts stand. Eine Ortsbezeichnung des Jugendamts nannte der Angeklagte nicht. Es war dann sein Verteidiger Bernhard Mussgnug, der hinzufügte „Jugendamt Tuttlingen“, weil tags zuvor noch vom Jugendamt Rottweil die Rede gewesen war.
Schutzbehauptung angenommen
Nach der Berichterstattung unserer
● Zeitung erklärte das Landratsamt Tuttlingen auf Nachfrage, es sei schon von der Anordnung des Büros her nicht möglich, dass Drazen D. auf den Bildschirm habe schauen können. Demnach handle es sich um eine Schutzbehauptung.
Ausdrücklich bestätigte die
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Sprecherin des Landratsamts gegenüber unserer Zeitung, der letzte Kontakt von Drazen D. mit dem Sozialamt – er hatte das offenbar mit dem Jugendamt verwechselt – sei am 9. März 2017 gewesen. Das hätte zu diesem Zeitpunkt eine Entlastung für die Behörde bedeutet, weil sie nach ihren Angaben erst nach diesem 9. März von der neuen Adresse erfahren habe. Auch Stefan Helbig, der erste Landesbeamte, weist gegenüber unserer Zeitung erneut darauf hin, dass das Jugendamt die neue Adresse nicht vor dem 9. März gehabt habe.
Angesichts der unklaren Lage
● beauftragte das Landgericht Rottweil die Polizei mit neuen Ermittlungen in dieser Sache. Der Auftrag war, den Mietvertrag sicherzustellen, die Mitarbeiterinnen zu befragen und die Büroräume vor allem in Bezug auf die Standorte der Bildschirme in Augenschein zu nehmen.
Am Montag berichtete der beauftragte ● Kriminalhauptkommissar im Zeugenstand vor Gericht über die Ergebnisse: 1. Den Mitarbeiterinnen sei die Gefährlichkeit von Drazen D. bekannt gewesen, sie hätten versichert, dass es zu keiner Situation gekommen sei, in der er Einblick auf den Computer hatte. 2. Vom Besucherstuhl aus bekomme man allerdings „schräg versetzt“freie Sicht auf den Computer-Bildschirm. Auf die Frage, ob er sich selbst mal auf den Stuhl gesetzt habe, antwortete der Kriminalhauptkommissar: „Ne“. 3. Die Namen der Mitarbeiterinnen stimmten mit den Angaben von Drazen D. zumindest phonetisch, wenn auch nicht buchstabengetreu, überein. 4. Auswertungen des Computers hätten ergeben, dass der letzte Kontakt von Drazen D. auf den 9. März 2017 datiert sei. 5. Auf dem Mietvertrag sei keine Adresse der Ex-Partnerin vermerkt.
Auf den Einwand von Verteidiger ● Bernhard Mussgnug, da müsse es doch ein Deckblatt geben, unterbrach Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, die Sitzung und wies den Kripobeamten an, beim Landratsamt nachzuhaken. Wenig später kam der Ermittler mit dem Deckblatt zurück. Darauf bestätigten sich die Angaben von Drazen D.: Die Anschrift stand ganz oben, die Hausnummer ziemlich weit rechts.
Und: Es stellte sich heraus, dass ● das Sozialamt in Tuttlingen seit 1. März 2017 Zugriff auf die Daten des Jobcenters mit der neuen Adresse der Ex-Partnerin von Drazen D. hatte.
Angeklagter folgt dem neuen Partner mit dem Auto
Aus diesen Vorgängen allerdings zu folgern, das hänge direkt mit dem Dreifachmord zusammen, wäre ein völlig falscher Schluss. Denn zum einen geschah die Tat erst ein halbes Jahr später, am 14. September 2017. Und zum anderen hätte Drazen D., der mutmaßliche Täter, die Anschrift wohl auch so herausgefunden: Er hatte bereits früh erfahren, dass der neue Freund seiner ExPartnerin in Gosheim beschäftigt ist. Er passte ihn heimlich an der Arbeitsstelle ab und fuhr ihm nach. Weil sein Auto nicht schnell genug war, verlor er den Kontrahenten irgendwann aus den Augen.
Eines hatte er schnell festgestellt: Der Wohnort musste Villingendorf sein. Deshalb fuhr Drazen D. zu fast allen Tages- und Nachtzeiten immer wieder die Straßen der Gemeinde auf der Suche nach dem parkenden Fahrzeug des Nebenbuhlers planmäßig ab. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er fündig werden würde, hieß es vor Gericht.