Erdogan steht vor einer schwierigen Wahl
Türkischer Präsident trifft auf geeinte Opposition – Özdemir sieht Chancen für Wandel
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ISTANBUL/BERLIN/MAINZ - Die Türkei steht vor Schicksalswahlen: Bei den erstmals gleichzeitig organisierten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen will der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan (64) einen Systemwechsel durchsetzen, der ihm selbst weitreichende Machtbefugnisse sichern würde. Umfragen zufolge geht Erdogan als Favorit in die Präsidentschaftswahl. Doch die Opposition tritt dieses Mal ungewöhnlich geeint auf und könnte ihn in eine Stichwahl zwingen. 15 Jahre nach Erdogans Machtantritt scheint ein Regierungswechsel in der Türkei nicht mehr ausgeschlossen.
„Wenn es eine faire Wahl in der Türkei geben würde, hätte Erdogan wohl keine Chance mehr“, sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der türkische Präsident habe massiv Angst vor einer Wahlniederlage und setze deshalb alles daran, die oppositionelle prokurdische Partei HDP unter die Zehnprozenthürde zu drücken.
Die Parlamentsund Präsidentschaftswahlen waren eigentlich für November 2019 angesetzt, doch zog Erdogan sie im April überraschend vor. Nachdem die Opposition zunächst überrumpelt schien, hat sich der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, zu einem ernst zu nehmenden Herausforderer für Erdogan entwickelt. Der 54-Jährige begeistert mit seinem volksnahen Auftreten viele Türken und zog erst am Donnerstag in Izmir Hunderttausende Menschen an.
Der Geist des Wandels sei „deutlich zu spüren“, sagte Cem Özdemir. „Auch Anhänger Erdogans beginnen zu zweifeln, ob der Kurs des Präsidenten wirklich richtig ist.“Ebenso sieht Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“im deutschen Exil, Chancen auf einen Wandel in der Türkei. „Zum ersten Mal seit Jahren weht ein sehr kräftiger Wind der Veränderung durch die Türkei, es könnte ein Sturm werden, der Erdogan fortbläst“, sagte er im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Derweil berichten der SWR und das Magazin „Der Spiegel“, dass die AKP möglicherweise von deutschen Behörden Informationen über türkische Asylbewerber erhält. So habe ein Flüchtling vor einigen Wochen einen an ihn persönlich adressierten Wahlwerbebrief Erdogans erhalten. Dieser Brief sei direkt an seine Wohnadresse in einer Flüchtlingsunterkunft verschickt worden – offensichtlich von Deutschland aus. Als Absender war die AKP in Ankara genannt.
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