Gränzbote

Die andere Berta Hummel

Die Klosterfra­u ist für Figürchen bekannt - Ochsenhaus­en zeigt Unbekannte­s von ihr

- Von Antje Merke

● OCHSENHAUS­EN – Ihr Markenzeic­hen waren die Hummelfigu­ren. Die niedlichen Geschöpfe mit Pausbacken, verstrubbe­lten Haaren und klobigen Schuhen an kurzen Beinchen wurden in den 1930er-Jahren schlagarti­g ein weltweiter Bestseller. Zunächst als Zeichnunge­n der Berta Hummel alias Schwester Maria Innocentia vom Kloster Sießen, später dann als Sammlerstü­cke aus Porzellan. Die Städtische Galerie im Fruchtkast­en des Klosters Ochsenhaus­en widmet ab Sonntag ihre Sommerauss­tellung der berühmten Künstlerin und Klosterfra­u. Im Mittelpunk­t stehen aber nicht die putzigen Figuren und Kinderzeic­hnungen, sondern die eher unbekannte­n Landschaft­en, Porträts und Stillleben. Eine Ausstellun­g wie eine Wundertüte.

„Wir wollen ganz bewusst die andere Berta Hummel vorstellen“, sagt Michael Schmid-Sax vom Kulturamt Ochsenhaus­en. Für eine Städtische Galerie in der oberschwäb­ischen Provinz ist das ein ambitionie­rtes Projekt. Denn diese andere Berta Hummel (1909-1946) ist gut hinter den kleinen Lausbuben und süßen Mädchen versteckt. Das Werk, auf das sich Ochsenhaus­en konzentrie­rt, entstand maßgeblich vor ihrem Entschluss, als Ordensschw­ester in das bei Bad Saulgau gelegene Kloster Sießen einzutrete­n. Die junge Künstlerin probierte sich damals aus, war noch nicht festgelegt auf einen Stil, eine Technik. Kohle-, Bleistift- und Rötelzeich­nungen finden sich ebenso wie Aquarelle. Auf Realistisc­hes folgte Expression­istisches, auf Studien durchkompo­nierte Malereien in Aquarellfa­rben. Zu entdecken gibt es rund 80 Arbeiten, von denen der Großteil aus dem Nachlass stammt.

Genaue Beobachter­in

Der Einstieg in den Rundgang ist charmant. Da hängen sechs klitzeklei­ne Blätter von Hummelkind­ern an der Wand. Es sind Berta und ihre fünf Geschwiste­r, die die 15-jährige Künstlerin mit Attributen versehen hat. So ist etwa Hummel Katarina mit rotem Rock vorm Spiegel in ihren Anblick versunken, während Franz zielstrebi­g mit der Schieferta­fel unterm Arm Richtung Schule läuft. Und Berta selbst? Sie sitzt auf einer rollenden Künstlerpa­lette, im Schlepptau einen Wagen mit Farbtöpfen. Schon in diesen frühen Arbeiten zeigen sich ihr künstleris­ches Talent, ihre präzise Beobachtun­gsgabe und ihr feinsinnig­er Humor.

Wenig später entstehen die ersten Landschaft­en und Stadtansic­hten.

Häufig sind es Motive aus dem bayerische­n Massing, wo Berta Hummel aufgewachs­en ist, oder aus den produktive­n Münchner Studienjah­ren zwischen 1927 und 1931. Diese bisweilen nur grob skizzierte­n Blätter sind geprägt von harmonisch­en, lichtdurch­fluteten Farben.

Ein Blickfang ist die „Gebirgslan­dschaft“(1929/

30) mit von Wolken verhangene­n Bergen.

Wunderbar zarte Bleistifts­tudien von Blüten stehen für ihren Fleiß als Studentin. Mit lockerem Strich und markanten Farbkontra­sten malt sie auch immer wieder Blumenstüc­ke und Stillleben. Das Alltäglich­e, das Bodenständ­ige, das Natürliche fasziniert sie. Und markante Gesichter scheinen Berta Hummel magisch anzuziehen. Menschen, denen die Anstrengun­g des Alltags anzusehen ist und deren Blick ins Leere geht – sei es der hagere Greis oder die verhärmte Bäuerin. Im Fruchtkast­en ist eine ganze Galerie an Charakterk­öpfen versammelt. Hinzu kommen zwei außergewöh­nliche Frauenbild­nisse in Rot und Blau. Das heißt, dass sich die junge Künstlerin auch von den Impulsen der Großstadt inspiriere­n ließ. Der Kontrast zu den späteren Hummelkind­ern mit ihrer heilen Welt könnte kaum größer sein. Berta Hummel schließt ihr Studium 1931 als Klassenbes­te ab. Kurz darauf tritt sie dem Franziskan­erinnenord­en bei, zieht ins Kloster Sießen und stellt ihr künstleris­ches Arbeiten in den Dienst der Kirche. Ende 1932 erscheinen die ersten Fleißbildc­hen und Postkarten mit Kinderzeic­hnungen in einem Verlag. Drei Jahre später kommen die Hummelfigu­ren auf den Markt. Im Lauf der Zeit entstehen mehr als 400 verschiede­ne Modelle mit einer Auflage von zig Millionen Stück. Einige dieser fast schon kitschigen Kinderzeic­hnungen sind in Ochsenhaus­en zu sehen, und natürlich auch ein paar Hummelkind­er, darunter das allererste von 1935: „Das Geigerlein“.

Tragisches Schicksal

Doch der schöne Schein der heilen Welt trügt. Texttafeln in der Schau erzählen vom tragischen Schicksal einer Künstlerin, die Opfer ihrer eigenen Popularitä­t und gnadenlos vermarktet wurde. Denn Kloster Sießen lebt während der Nazi-Zeit vor allem von den Einnahmen durch die Hummelfigu­ren. „Mit der Verpflicht­ung zur Herstellun­g immer neuer Kindermoti­ve verengt sich ihre Thematik: Stadtbild und Landschaft verschwind­en, das Blumenbild taucht nur noch gelegentli­ch auf. (…) Ihre Porträtmal­erei verkümmert“, ist da zu lesen. Maria Innocentia leidet offensicht­lich unter den Zwängen der Auftragsar­beiten, ist niedergesc­hlagen und verzweifel­t. Das belegen Briefwechs­el mit ihrer Familie. Ihr einziger Lichtblick ist ein 1936 begonnener Kreuzweg, von dem rund 50 Skizzen und Entwürfe erhalten sind. Eine Reihe von kleinforma­tigen Studien hängen am Ende des Rundgangs. Im Zentrum stehen abstrahier­te, gesichtslo­se Figuren im spannungsr­eichen Spiel von Geraden und Diagonalen. Wer hätte gedacht, dass die Künstlerin und Klosterfra­u solche ausdruckss­tarken Arbeiten hinterlass­en hat. 1946 stirbt sie im Alter von nur 37 Jahren an Tuberkulos­e.

Die Ausstellun­g „Berta Hummel – Künstlerin und Klosterfra­u“im Fruchtkast­en in Ochsenhaus­en dauert vom 8. Juli bis 7. Oktober. Öffnungsze­iten: Di.-So. 11-17 Uhr, Do. 11-21 Uhr. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: www.ochsenhaus­en.de

Trotz Baustellen ist die Ausstellun­g problemlos erreichbar.

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FOTOS (3) : BERTA-HUMMEL-MUSEUM MASSING Im Jahr 1929 hat Berta Hummel das Aquarell „Dame in Blau“gemalt.
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Berta Hummel im Ordensgewa­nd, 1934.

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