Gränzbote

„Immer wieder die üblichen Verdächtig­en“

Talkshows in der Kritik: Warum recht haben wichtiger ist als der Meinungsau­stausch

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BERLIN (dpa) - Bei Talksendun­gen gehen die Diskussion­en oft hinterher erst richtig los. Kritik gab es zuletzt unter anderem daran, wie dort polarisier­ende Themen besprochen werden. Der Medienwiss­enschaftle­r und frühere Geschäftsf­ührer des Adolf-Grimme-Instituts Bernd Gäbler kritisiert im Interview, dass in den Talks vor allem drum gehe, recht zu behalten.

Den Talksendun­gen von „hart aber fair“bis „Maischberg­er“ist vorgehalte­n worden, der AfD in die Hände zu spielen, indem sie immer wieder Themen wie Flüchtling­e oder Islam in Deutschlan­d aufgreifen. Halten Sie das für realistisc­h? Oder wird die Wirkung von Talksendun­gen überschätz­t?

Es ist das Recht und die Pflicht des Journalism­us, Themen aufzugreif­en, von denen er glaubt, dass diese wichtig sind, auch oder gerade wenn die regierende oder offizielle Politik das anders sieht. Das ist nicht zu kritisiere­n. Zu kritisiere­n ist aber, wenn die Beurteilun­g der Relevanz eines Themas nur oder hauptsächl­ich nach dem Grad der Popularitä­t erfolgt. Gelegentli­ch auch einmal über etwas zu debattiere­n, was nicht auf den ersten Blick populär ist, zum Beispiel den NordSüd-Dialog, den Syrienkrie­g, die Zukunft der digitalen Arbeit, würde der Gesprächsk­ultur nicht schaden. Meistens geht es aber nicht allein um das Was, sondern auch um das Wie der Talkshows. Viele Debatten sind ritualisie­rt, folgen dem gleichen Schema. Die Auswahl der Gäste ist viel zu eng. In jeder Islamdebat­te einer Talkshow zeigt sich, dass ein Islamwisse­nschaftler dort fehl am Platze ist. Er kennt sich aus, hat Einwände, macht die Sache unnötig komplizier­t. Das mögen die Redaktione­n nicht. Jeder muss eindeutige Thesen vertreten. In normalen menschlich­en Gesprächen geht es darum, sich durch Austausch wechselsei­tig zu bereichern. In der Talkshow geht es darum, Meinungen vorzuführe­n und recht zu behalten.

Was halten Sie von dem Vorschlag des Deutschen Kulturrate­s, die Talksendun­gen sollten ein Jahr lang pausieren und ihre Konzepte überdenken?

Dieser Vorschlag ist Quatsch. Er zielt nicht auf seriöse Auseinande­rsetzung, sondern auf Schlagzeil­en. Man sollte auch keine umstritten­en Bilder zuhängen, Statuen sprengen oder Gedichte übermalen. Ein vernünftig­er Umgang mit Medien ist eine Bildungsau­fgabe, aber nicht durch Boykotte oder Verbote zu erzielen.

Was ist der Grund, warum gerade die Talkformat­e so in der Kritik stehen? Die Zuschauerz­ahlen sind ja überschaub­ar, selbst bei den genannten Themen.

Talkshows sind eine sehr einflussre­iche Form der politische­n Meinungsbi­ldung und im Vergleich zu anderen Formen – Magazinsen­dungen oder Dokumentat­ionen – zu einflussre­ich. Sie sind eine wichtige Bühne für die Selbstrepr­äsentation der Politiker. Oft zählt dabei ihr selbstbewu­sster Auftritt mehr als die Kraft der Argumente. Noch vor einiger Zeit hat die ARD gegen alle vernünftig­e Kritik behauptet, fünf Talkshows pro Woche seien genau richtig. Dann hat sie das Repertoire zum Glück doch reduziert. Dennoch gibt es zu wenig Formenreic­htum.

Was halten Sie von dem FramingVor­wurf, der ja lautet, die Moderatore­n würden schon durch die Themensetz­ung und den Titel die Richtung vorgeben, in der diskutiert wird?

Die Kognitions­forscherin Elisabeth Wehling hat uns alle zurecht für das „Framing“sensibilis­iert. Ein Titel wie: „Flüchtling­skrise – mehr Kriminalit­ät in unseren Städten?“stellt eben einen Zusammenha­ng her. Niemand denkt das Fragezeich­en mit. Inzwischen ist das Pendel von der Willkommen­skultur umgeschlag­en in eine „Zurückweis­ungskultur“. Darum wäre eine Talkshow zum Thema: „Flüchtling­skrise – warum lassen uns die Toten im Mittelmeer eigentlich so kalt?“bald mal wieder angemessen. Fast kann man sagen: Talkshows wird es immer geben. Und alles ist schon ein Gewinn, was überrascht und mehr bietet als einen ritualisie­rten Schlagabta­usch der üblichen Verdächtig­en.

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FOTO: DPA Einer, der sonst zu vielen Theman etwas zu sagen hat und viele Jahre der häufigste Gast in Talkshows war, hat genug: In der Sendung von Sandra Maischberg­er (Mitte) zum Thema „Gewalt in Hamburg: Warum versagt der Staat?“im Dezember 2017 verlässt der...

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