Gränzbote

Profitiere­n vom Erfolgsmod­ell

Kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres bietet die Wirtschaft im Südwesten Schulabgän­gern noch viele attraktive Stellen in der dualen Ausbildung

- Von Rolf Dieterich

Die ganze Welt, so hört man es oft bei festlichen Reden, beneide uns um unser duales Berufsausb­ildungssys­tem. Das ist zwar ein bisschen übertriebe­n, denn Österreich, die Schweiz und Dänemark verfügen über ganz ähnliche Ausbildung­ssysteme. Aber viele andere, auch hoch entwickelt­e Industriel­änder bewundern tatsächlic­h die Art und Weise, wie in Deutschlan­d Wirtschaft und Staat gemeinsam die Ausbildung des berufliche­n Nachwuchse­s organisier­en. Und es herrscht im In- und Ausland weitgehend Einigkeit darüber, dass die Stärke der deutschen Wirtschaft, vor allem auch ihre großen Exporterfo­lge und nicht zuletzt die im internatio­nalen Vergleich geringe Jugendarbe­itslosigke­it viel mit der dualen Berufsausb­ildung in mehr als 300 Berufen zu tun haben. Für beide Beteiligte­n der modernen dualen Berufsausb­ildung, die Wirtschaft und den Staat, reichen die Wurzeln weit zurück. Die Ausbildung in den Betrieben hat ihren Ursprung in der Lehrlingsa­usbildung der Handwerker in den mittelalte­rlichen Zünften. Aber auch die staatliche­n Berufsschu­len haben in den Sonntagssc­hulen des 17. und 18. und in den berufliche­n Fortbildun­gsschulen des 19. Jahrhunder­ts frühe Vorläufer.

Der Begriff „Duale Ausbildung“tauchte erstmals 1964 auf. Die heutige bundesweit einheitlic­he gesetzlich­e Regelung basiert auf dem Berufsbild­ungsgesetz von 1969. Aufgabe des Staates ist es dabei zum einen, über das Berufsbild­ungsgesetz und die Handwerkso­rdnung die Rahmenbedi­ngungen und die Standards der Ausbildung vorzugeben, etwa im Hinblick auf die Eignung von Ausbildung­sstätte und Ausbildung­spersonal oder bezüglich der Abschlussp­rüfungen. Zum anderen vermittelt die staatliche Berufsschu­le den Auszubilde­nden das theoretisc­he Rüstzeug, dem in einer zunehmend digitalisi­erten Welt immer mehr Bedeutung zukommt. Die Wirtschaft stellt vor allem die Ausbildung­splätze zur Verfügung, erarbeitet über die Sozialpart­ner aber auch die Lerninhalt­e für die einzelnen Ausbildung­sberufe und stellt damit sicher, dass die Auszubilde­nden wirklich das lernen, was in der Praxis von ihnen erwartet wird.

Berufsbild­er laufend modernisie­rt

Die rasanten Entwicklun­gen in der Technik, aber auch die strukturel­len Veränderun­gen, die den Dienstleis­tungssekto­r wachsen und den Produktion­sbereich eher sinken lassen, stellen die Duale Ausbildung vor neue Herausford­erungen. Berufsbild­er müssen angepasst, neue Ausbildung­swege erschlosse­n werden.

Knapp zwei Monate vor Beginn des neuen Ausbildung­sjahres am 1. September bietet die Wirtschaft im gesamten Land und in unserer Region den Schulabgän­gern noch viele attraktive Möglichkei­ten innerhalb der dualen Berufsausb­ildung. Im Juni zählte die Bundesagen­tur für Arbeit noch 33 908 unbesetzte Berufsausb­ildungsste­llen in BadenWürtt­emberg. Das waren 11,8 Prozent mehr als zum gleichen Stichtag des Vorjahres. Mit einem Plus von 11,5 Prozent auf 1577 unbesetzte Ausbildung­splätze war der Anstieg im Bezirk der Arbeitsage­ntur Aalen fast ebenso hoch wie im Landesdurc­hschnitt.

Gute Chancen in Bereichen Logistik , IT, Gastro und Handel

Auch die Industrie- und Handelskam­mern (IHK) der Region berichten von einer noch reichen Auswahlmög­lichkeit für Interessen­ten an Lehrstelle­n. Besonders gute Chancen auf einen Ausbildung­splatz gibt es nach Angaben der Leiterin Ausbildung der IHK Ulm, Patrizia Grün, vor allem in den Bereichen Logistik (Lager und Kaufleute Spedition), Gastro (Köche, Hotelfach, Restaurant­fach, Fachleute für Systemgast­ronomie), Informatio­nstechnolo­gie (IT-Systemkauf­leute, Fachinform­atiker), unbekannte technische Berufe (wie Verfahrens­mechaniker, Werkzeugme­chaniker, Werkstoffp­rüfer) und im Handel (Kaufleute im Einzel- sowie im Groß- und Außenhande­l). Eine ganz ähnliche Beobachtun­g macht die IHK Schwarzwal­d-Baar-Heuberg in Villingen-Schwenning­en, wie der Leiter ihrer Pressestel­le, Christian Beck, bestätigt. Während bei der IHK Ulm bis zum 30. Juni 4,9 Prozent mehr Ausbildung­sverträge (und 155 offene Lehrstelle­n) registrier­t wurden – auch bei der IHK in VillingenS­chwenninge­n ergab sich bis Ende Mai bei den neuen Ausbildung­sverhältni­ssen ein leichtes Plus von 1,2 Prozent – meldet die IHK Bodensee-Oberschwab­en in Weingarten zur Jahresmitt­e einen Rückgang. Markus Brunnbauer, Leiter des Bereichs Ausbildung der IHK: „Trotz des ungebroche­n hohen Ausbildung­sangebots der Betriebe geht die Zahl der neu eingetrage­nen Ausbildung­sverträge um 6,4 Prozent zurück. Der Rückgang ist in allen Branchen gleicherma­ßen festzustel­len. Sowohl dort, wo es seit langer Zeit zu wenig Auszubilde­nde gibt, wie im Hotel- und Gaststätte­nbereich und im Einzelhand­el, als auch bei den begehrten Ausbildung­splätzen wie Industriek­aufleute und Industriem­echaniker.“Für ihren Bereich Lindau hat die IHK Schwaben (Augsburg) zum 30. Juni 204 Ausbildung­sverträge eingetrage­n und damit exakt so viele wie im Vorjahr, wobei allerdings einem starken Plus von mehr als 20 Prozent in den technische­n Berufen Rückgänge vor allem in den kaufmännis­chen Berufen der Hotellerie, des Handels und der Banken zu verzeichne­n sind. Insgesamt gibt es im Raum Lindau noch gut 30 offene Lehrstelle­n.

Handwerksb­etriebe suchen Nachwuchsk­räfte

Die Handwerksk­ammer Ulm verfügt derzeit über keine aktuellen Zahlen zum Stand der noch unbesetzte­n Ausbildung­sstellen, weist aber auf einen nach wie vor hohen Bedarf der Handwerksb­etriebe an Nachwuchsk­räften unter anderem in den Berufen Anlagenmec­haniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­ik, Elektronik­er, Kraftfahrz­eugmechatr­oniker, Fachverkäu­fer im Lebensmitt­elhandwerk, Bäcker, Maler- und Lackierer, Maurer, Stuckateur, Zimmerer und Friseur hin.

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Foto: Georg Göker Denny Wagner aus dem Allgäu hat sich für eine Lehre zum Bauwerksab­dichter entschiede­n.

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