Kerber darf hoffen
Favoritensterben lässt deutsche Chancen steigen
LONDON (dpa) - Die Chance für Angelique Kerber in Wimbledon ist groß wie selten zuvor. Die Ereignisse im Damen-Tableau überschlugen sich, eine Überraschung folgte der anderen beim Londoner Rasen-Spektakel: Neun der Top Zehn der Setzliste sind schon raus. Plötzlich ist Kerber nominell die Zweitbeste. Auch Julia Görges mischt am Montag, dem größten Tag im Tennis-Jahr mit allen WimbledonAchtelfinals bei Damen und Herren, kräftig mit. „Jeder hat die Chance das Turnier zu gewinnen“, sagt Görges.
Die neunmalige Wimbledon-Siegerin Martina Navratilova tippt bereits auf Kerber als Finalistin, doch die Kielerin hat auf dem Weg ins Viertelfinale in Belinda Bencic erst einmal eine äußerst unangenehme Rivalin vor sich. Gegen die Schweizerin geht die 30Jährige um 14 Uhr deutscher Zeit zwar als Favoritin auf den Platz, alle drei offiziellen Duelle hat sie aber ohne Satzgewinn verloren. Nicht in der Statistik erscheint ihr Sieg beim Hopman Cup im Januar. Den spielfreien Sonntag wollte Kerber nutzen, um mit Trainer Wim Fissette Taktiken auszuhecken.
Bencic überrascht in Wimbledon positiv. Die 21-Jährige erinnert an ihre Zeiten als unbeschwerter Teenager, in denen sie bis auf Weltranglistenplatz sieben stürmte, ehe sie Handgelenkoperation, Rückenprobleme und eine Fußverletzung ausbremsten.
Kerber hat nach zwei schwächeren Auftritten auf den Rasenplätzen an der Church Road rechtzeitig zur Form gefunden. Beim 6:2, 6:4 gegen die Japanerin Naomi Osaka zog sie ihren „Plan A“durch, aggressiv zu spielen. Dennoch seufzte die Finalistin von 2016 und sagte: „Die erste Woche war nicht ohne. Ich weiß, dass ich mich noch steigern muss. Es geht weiter.“
Gern bemüht die zweimalige Grand-Slam-Siegerin die für Tennisspieler typischen Sätze, sie wolle „nicht links, nicht rechts gucken, sondern Tag für Tag schauen“. Im möglichen Viertelfinale wäre sie gegen die Russin Darja Kassatkina oder die Belgierin Alison van Uytvanck ebenfalls favorisiert. Nach ihrer deprimierenden Saison 2017 zählt Kerber zweifelsohne wieder zu den Konstantesten ihrer Branche. Halbfinale bei den Australian Open, Viertelfinale in Paris: die Grand-Slam-Bilanz ist ordentlich.
Was so anders ist bei der 132. Wimbledon-Auflage mit dem großen Favoritinnensterben kann Kerber nicht recht erklären. Paris-Siegerin Simona Halep scheiterte in der dritten Runde, Titelverteidigerin Garbiñe Muguruza nach Runde zwei. „Hier sieht man, wie nah alles beieinander ist“, sagt Kerber. Vieles scheint angerichtet für einen achten Wimbledon-Titel von Serena Williams. Zehn Monate nach der Geburt ihrer Tochter Olympia hinkt die 36-Jährige aber ihrer gewohnten Fitness noch etwas hinterher.
„Ich glaube, dass wir in den letzten Grand Slams gesehen haben, wie offen jede Partie ist, egal ob man gesetzt ist, ob man Nr. 1 der Welt ist, Nr. 5, 20 oder 100“, sagt Görges, die auf Donna Vekic trifft. Die Kroatin, von Ex-Kerber-Coach Torben Beltz betreut, warf in Runde eins US-Open-Siegerin Sloane Stephens raus. Görges bleibt cool: „Mir ist es egal, gegen wen ich spiele. Es gibt nie eine Sieggarantie.“