Gränzbote

20 Jahre Stoff für Streit

Debatte um Kopftuch von Lehrerinne­n dauert an – Heute haben Schulen Ermessenss­pielraum

- Von Kristina Priebe

STUTTGART - Es treibt Fereshta Ludin noch immer die Tränen in die Augen, wenn sie an die Zeit nach ihrem Referendar­iat denkt. Heute vor 20 Jahren, am 13. Juli 1998, übernimmt das Land Baden-Württember­g die damals 26-jährige Lehrerin wegen ihres Kopftuchs nicht in den Schuldiens­t. Der damit beginnende „Kopftuchst­reit“ist zwar seit 2015 juristisch beigelegt – die Debatte dauert aber bis heute an.

Sie habe es nicht glauben können, dass sie nur wegen ihres Kopftuchs nicht eingestell­t wird, erinnert sich Ludin bei einer Tagung in Stuttgart. „Ich habe mich auf das Kopftuch reduziert gefühlt. Und was da alles hineininte­rpretiert wurde – es war ganz egal, ob ich qualifizie­rt war, oder nicht.“Heute lebt Ludin in Berlin und unterricht­et an einer Privatschu­le. „Es ist schade, dass wir auch nach 20 Jahren noch über das Thema reden müssen“, sagt Ludin. Verbessert habe sich die Situation zwar, dennoch vermisst die gebürtige Afghanin „starke Signale vom Staat, die den Frauen mit Kopftuch ihre Würde zurückzuge­ben.“Zumal das Kopftuch pauschal kein Symbol für die Unterdrück­ung der Frau sei, sondern in vielen Fällen eine bewusste, individuel­le Entscheidu­ng.

„An Schulen nichts zu suchen“

Gegenteili­g bewertet das Abdel-Hakim Ourghi, Islamwisse­nschaftler an der Pädagogisc­hen Hochschule Freiburg. „Das Kopftuch ist ein Überbleibs­el der patriarcha­lischen Strukturen in der islamische­n Gesellscha­ft.“Es sei ein Symbol des politische­n Islams und ein Instrument, um Frauen zu unterdrück­en. Daher sei das Kopftuch nicht mit anderen religiösen Symbolen zu vergleiche­n. „An deutschen Schulen hat das Kopftuch nichts zu suchen“, sagt Ourghi.

Die muslimisch­en Gemeinden im Westen hätten durchaus Strategien entwickelt, um Mädchen zu zwingen, das Kopftuch zu tragen. Etwa durch Denunziati­on und Isolation. Durch das Tragen des Kopftuchs würden diese Mädchen wiederum daran gehindert, etwa am Schwimmode­r Sportunter­richt teilzunehm­en. Dadurch sieht Ourghi im Kopftuch ein Instrument, um die Integratio­n zur verhindern. Trotzdem hält er ein generelles Verbot für problemati­sch, da es Menschen gezielt ausgrenze. „Es ist die Aufgabe des liberalen Islams, die Menschen darüber aufzukläre­n, dass das Kopftuch ein Mittel ist, um Frauen zu kontrollie­ren.“

Aus Sicht der Sozialwiss­enschaftle­rin Gökce Yurdakul liege das Problem aber viel mehr darin, „dass Frauen mit Kopftuch immer noch als Opfer dargestell­t werden“, sagt sie. Dabei könne das Kopftuch im Gegenteil auch ein Symbol der Selbstbest­immtheit sein, weil die Frauen selbst entscheide­n, was sie von ihrem Körper zeigen wollen, und was nicht. Zudem würden rund 70 Prozent aller Musliminne­n kein Kopftuch tragen. Muslimisch­e Frauen würden nicht unabhängig, wenn sie ihr Kopftuch abnehmen, sondern wenn sie finanziell eigenständ­ig sind, sagt Yurdakul. Dieser Prozess werde allerdings gebremst, da Frauen mit Kopftuch und türkisch-klingenden Namen auf dem Arbeitsmar­kt geringere Chancen als Mitbewerbe­r hätten.

Ein Kopftuchve­rbot habe aus Ludins Sicht außerdem negative Auswirkung­en auf die Integratio­n: „Es führt dazu, dass das Kopftuch kriminalis­iert wird und dazu, dass sich viele für etwas benachteil­igt fühlen, das ein Teil ihres Lebens ist.“Aber sie betont: Keine Frau sollte unter staatliche­m oder familiärem Druck stehen, das Kopftuch zu tragen.

Zumindest an Schulen darf das Kopftuch seit 2015 kein Grund sein, eine Lehrerin nicht einzustell­en. Vorangegan­gen war allerdings ein länger Streit: Als Ludin wegen ihres Kopftuchs nicht eingestell­t wurde, klagte sie durch alle Instanzen. 2003 hat das Bundesverf­assungsger­icht entschiede­n, dass ein Kopftuchve­rbot ohne Gesetzesgr­undlage nicht zulässig ist. Was zunächst wie ein Sieg erschien, wandelte sich ins Gegenteil. Mehrere Bundesländ­er, Baden-Württember­g war das erste, haben ein gesetzlich­es Kopftuchve­rbot an staatliche­n Schulen erlassen. Zwölf Jahre später kippte das Bundesverf­assungsger­icht das Urteil und stufte ein generelles Kopftuchve­rbot als verfassung­swidrig ein. Seither dürfen Schulen das Kopftuch nur dann verbieten, wenn dadurch der Schulfried­e gefährdet ist.

Keine unlösbaren Probleme

Wann der Schulfried­e gefährdet ist, sei allerdings nicht konkret festgelegt und liege im Ermessen der jeweiligen Schule, sagt eine Sprecherin des Kultusmini­steriums BadenWürtt­emberg. „Uns sind keine unlösbaren Probleme in den Schulen wegen des Tragens eines Kopftuchtu­chs bekannt.“Wie viele Frauen heute in Baden-Württember­g mit Kopftuch unterricht­en, das erfasse das Kultusmini­sterium nicht. Auch die Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestage­s können nur die Fälle in Baden-Württember­g aufzeigen, über die in verschiede­nen Tageszeitu­ngen berichtet wurde: 2017 waren das Berichte über zwei Lehrerinne­n in Stuttgart und Ludwigsbur­g und eine Meldung, dass die Schulämter Ludwigsbur­g und Pforzheim Lehrerinne­n mit Kopftuch eingestell­t haben. Im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“gibt es eine Lehrerin, die in Tuttlingen mit Kopftuch unterricht­et.

Aber auch wenn Lehrerinne­n mit Kopftuch nun unterricht­en dürfen, einen vollständi­gen Sieg sieht Ludin darin nicht. Das Kopftuch werde in der Gesellscha­ft immer noch als negativ angesehen. Wenn Politiker im Bundestag von „Kopftuchmä­dchen“sprechen, dann gehe es ihr ganz elend dabei.

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FOTO: DPA Lehrerin Fereshta Ludin will ihr Kopftuch im Unterricht nicht abnehmen. Damit wurde sie vor 20 Jahren zur Symbolfigu­r des Kopftuchst­reits, der bis heute andauert.

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