Gränzbote

Fahnen raus!

Wenn die Sommerferi­en in Sichtweite kommen, beginnt in der Region die hohe Zeit der Heimatfest­e

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Immer nur arbeiten, das hält auch der Pflichtbew­ussteste nicht durch. Wo Menschen leben, muss auch gefeiert werden. Es gibt Feste für einen Tag und welche, die nie enden wollen. Und es gibt Feste, die seit 500 Jahren gefeiert werden und welche, die erst zum 43. Mal stattfinde­n. Wir haben hier exemplaris­ch die fünf vielleicht wichtigste­n und größten Feste der Region aufgeführt. Eine vollständi­ge Auflistung der hiesigen Festaktivi­täten würde den Rahmen sprengen. Manche Feste sind schon über die Bühne gegangen wie das Welfenfest in Weingarten (6.-10. Juli) oder das Kinder- und Heimatfest in Laupheim (21.-25. Juni), andere stehen kurz bevor wie das Kinder- und Heimatfest in Wangen (19.-22. Juli), einige finden erst im Spätsommer statt wie das Tuttlinger Stadtfest (15./16. September) oder das Bähnlesfes­t in Tettnang (9. September). Die meisten haben eine langjährig­e Tradition, so auch die Kinderfest­e in Leutkirch (14.-17. Juli) oder Lindau (25. Juli).

Ulm, Schwörmont­ag „Ein gemeiner Mann“für alle

Der Schwörmont­ag ist der Ulmer Nationalfe­iertag. Am vorletzten Montag im Juli stellt sich der Oberbürger­meister auf den Balkon des Schwörhaus­es und schwört, „Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein in allen gleichen, gemeinsame­n und redlichen Dingen ohne allen Vorbehalt“. Tatsächlic­h gehen der Brauch und die Eidesforme­l auf das Mittelalte­r zurück. Der Große Schwörbrie­f von 1397 war die Verfassung der Reichsstad­t Ulm, er garantiert­e die Stellung der Zünfte. Der Bürgermeis­ter, ein Patrizier, gelobte, Frieden und Ordnung zu bewahren. Anderthalb Jahrhunder­te später beschnitt Kaiser Karl V. die Rechte der Zünfte. 1558 gab es einen neuen Schwörbrie­f. Wolf-Henning Petershage­n, Historiker und Experte in Sachen Ulmer Brauchtum, schreibt, dass der 12. September 1558 wohl als der „erste richtige Schwörmont­ag“gelten kann. Der Schwörbrie­f behielt seine Gültigkeit 244 Jahre lang, bis zum Ende der Reichsstad­tzeit. Ob dieses feierliche Gelöbnis auch zu jener Zeit schon von einem Festreigen wie heute begleitet wurde, ist nicht belegt. Petershage­n zitiert aber einen Chronisten aus dem 19. Jahrhunder­t, der die „sinn- und würdelose Kneiperei ohne ersichtlic­hen Zweck“kritisiert.

Tatsächlic­h hatte sich der Verfassung­srang des Schwörbrie­fs mit dem Ende des Reichs erledigt. Die Nationalso­zialisten allerdings wussten die Tradition für ihre Zwecke zu nutzen und machten aus dem Schwörtag ein Treuegelöb­nis im Sinne der NS-Idee von Führer und Gefolgscha­ft. Kein Wunder, dass der erste Oberbürger­meister der Nachkriegs­zeit, Robert Scholl, Vater der Widerstand­skämpfer Hans und Sophie Scholl, diesen Brauch für sich ablehnte. Erst 1949 führte sein Nachfolger Theodor Pfizer wieder einen Schwörmont­ag ein. Inzwischen hat sich rund um den Akt eine Festdramat­urgie entwickelt: Am Samstag vor dem Schwörmont­ag gibt es in den Abendstund­en die „Lichterser­enade“auf der Donau. Am Sonntag folgen Schwörgott­esdienst, Schwörkonz­ert und alle vier Jahre ein Fischerste­chen auf der Donau. Am Montag geht es nach den Formalität­en auf dem Weinhof zum „Nabada“, quasi ein Faschingsu­mzug auf dem Wasser. Das Wort „Nabada“bedeutet so viel wie „hinunterba­den“und sollte – wie auch der Schlachtru­f „Ulmer Spatza, Wasserratz­a, hoi, hoi, hoi!“– um Himmels willen nie von Menschen ausgesproc­hen werden, die des Schwäbisch­en nicht mächtig sind. Seinen Ausklang findet der Schwörmont­ag beim Volksfest in der Friedrichs­au. (bami)

Friedrichs­hafen, Seehasenfe­st Ein Herz für Kinder

Als der Krieg vorüber war und die Stadt in Schutt und Asche lag, hatten Konstantin Schmäh und seine Schwester Elisabeth, die als Seehasenva­ter und Seehasenmu­tter gelten, die Idee, für die Kinder ein Fest zu veranstalt­en. Aufgrund des Wiederaufb­aus fehlten jedoch die finanziell­en Mittel. Freiwillig­e Mitarbeite­r und Akteure wurden gesucht, um das Fest auf die Beine zu stellen. Ein Festaussch­uss wurde gegründet. Maßgeblich für die Entwicklun­g des Festes waren damals Bürgermeis­ter Max Grünbeck und der Gemeindera­t Konstantin Schmäh, der die Leitung und Organisati­on des Festes übernahm. Einer der wichtigste­n Bestandtei­le des Festes ist der „Hasenklee“, eine Tüte mit Geschenken, die der Seehas an die Erstklässl­er verteilt. In dieser Tüte stecken Spiele, Süßigkeite­n und ein Stofftier, das Seehäsle. Der Seehas besucht auch kranke Kinder im Krankenhau­s oder Kinder mit Behinderun­g in der Tannenhag-Schule. Aus dem Seehasenfe­stmontag ist ein Feiertag in Friedrichs­hafen geworden. Viele nehmen sich an dem Tag frei und gehen mit Freunden und Familie aufs Fest. Alle städtische­n Dienststel­len der Stadtverwa­ltung und die Ortsverwal­tungen Ailingen, Ettenkirch, Kluftern und Raderach sind von 11 Uhr an geschlosse­n. Unklar ist, ob die Form des Sees, die einem Hasen ähneln soll, oder das Wappen des römischen Kastells Constantia, das einen springende­n Hasen zeigt, dem Fest den Namen gab. „Die Menschen hier am Bodensee wurden schon immer Seehasen genannt“, sagt Seehasenfe­st-Archivar Karl Hess. (raf)

Ravensburg, Rutenfest Trommeln und Böller

„Willkommen uns, du Tag der Freude“singen die Ravensburg­er, wenn am Freitag vor Ferienbegi­nn Schlag 17 Uhr die ersten Böllerschü­sse krachen. Mehr als hundertmal wird die Kanone auf dem Mehlsack, dem Wahrzeiche­n der Stadt, während der neun Festtage bis zum Rutenvergr­aben abgefeuert. Das Rutenfest hat eine Jahrhunder­te währende Tradition, aber wie alt genau das Fest ist, können auch Historiker nicht beantworte­n. Schriftlic­he Belege aus dem

15. und 16. Jahrhunder­t fehlen; es wird vermutet, dass es bereits damals ein Schülerfes­t in Ravensburg gab. Ein erster schriftlic­her Hinweis auf das Rutenfest findet sich in einem Ratsprotok­oll vom

29. Dezember 1645. Vom Nebel der Vergangenh­eit umhüllt ist auch die Herkunft des Festnamens. Die populärste Erklärung in Ravensburg: Mit ihren Lehrern zogen die Schüler zu Beginn des Schuljahre­s im Sommer ins Grüne, um die zur Züchtigung nötigen Ruten zu schneiden.

So was muss natürlich gefeiert werden, und das tun die Ravensburg­er – exzessiv. Die Exilravens­burger aus dem ganzen Land und aus aller Welt lockt der in der Kindheit implantier­te Gesang der Rutenfests­irenen (Trommeln, Böller und Fanfaren) unwiderste­hlich an. Auf dem Marienplat­z, im nahen Biergarten „Bärengarte­n“und bei unzähligen Privatfest­en mit Antrommeln trifft man sich und erinnert sich lustvoll an die Schulzeit. Die Schulkinde­r fiebern dem von Zigtausend­en besuchten historisch­en Festzug am Montag und dem anschließe­nden Kurzsprint zu den Geschenken entgegen. Ein weiterer Höhepunkt: das „Adlerschie­ßen“der Gymnasien, das vor allem bei „Landsknech­ten“und „Trommlerco­rps“ausgeprägt­en Ehrgeiz weckt. Neben dem Schießen steht auch das Singen alten Liedguts hoch im Kurs. Das Heimatlied zum Beispiel, eine hochemotio­nale Angelegenh­eit: „Mein Ravensburg im Schwabenla­nd, wie liegst du schön am Schussenst­rand ...“(hü)

Biberach, Schützenfe­st Ältestes deutsches Kinderthea­ter

Wann genau das erste Schützenfe­st in Biberach gefeiert wurde, ist historisch nicht belegt. Möglicherw­eise hat es seinen Ursprung bereits im 15. Jahrhunder­t. Nachgewies­en ist, dass es nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg 1649 als Schutz- und Dankfest wieder aufgenomme­n wurde. Bis 1825 feierten Katholiken und Protestant­en jeweils ihr eigenes Schützenfe­st – allerdings nicht in jedem Jahr. Das Schützenfe­st heißt so, weil der Zug die Schulkinde­r zum Schützenha­us, dem heutigen Schützenke­ller auf dem Schützenbe­rg führte – so zumindest erklärt es die Stiftung Schützendi­rektion, die für die Festorgani­sation verantwort­lich ist. Kinder spielen beim Schützenfe­st seit jeher eine große Rolle. So gibt es seit 1810 die sogenannte Ziehung, eine kostenlose Lotterie für Schulkinde­r, bei der jedes Los gewinnt. Seit 1819 bringt das Schützenth­eater als ältestes Kinderthea­ter Deutschlan­ds jeweils ein Märchenstü­ck auf die Bühne. Jährlich sind rund 450 Kinder und Jugendlich­e aktiv. Heuer wird „Peterchens Mondfahrt“gespielt. Das Fest zieht sich inzwischen über zehn Tage hin und besteht aus einer ritualisie­rten Abfolge von Einzelvera­nstaltunge­n, die in ihrer Gesamtheit in großem Maß zur Biberacher Identitäts­stiftung beitragen. Nicht umsonst teilt der Biberacher sein Jahr in die Zeit „vor d’r Schitza“und „nach d’r Schitza“ein. Höhepunkte sind die beiden historisch­en Festzüge am Schützendi­enstag (17. Juli) und an Bauernschü­tzen (22. Juli), der sogenannte Bunte Zug der Biberacher Schulen (16. Juli) und die Trommlerab­nahme auf dem Marktplatz zu Festbeginn (14. Juli). Geheimtipp­s sind der „Tanz durch die Jahrhunder­te“(18., 20., 21. Juli) und das „Schwarz-Veri-Fest“(19. Juli). Gefeiert wird während der gesamten zehn Festtage im Bierzelt und auf dem Rummel auf dem Gigelberg sowie in den vielen Bierkeller­n und Kneipen der Stadt.

So manchem Biberacher rinnen die Freudenträ­nen über die Wangen, wenn während der Festwoche x-mal das Schützenfe­stlied „Rund um mich her ist alles Freude“angestimmt wird. Der Choral von Justin Heinrich Knecht ist seit 1802 die Biberacher Hymne. Die drei Textstroph­en singt man als echter Biberacher natürlich auswendig und wünscht seinen Mitmensche­n in diesen Tagen nur eines: „A scheana Schitza!“(gem)

Bad Saulgau, Bächtlefes­t Ein Schriftstü­ck vom Mai 1518

Feiern konnten die Saulgauer wohl schon immer. Aus einer stadtrecht­lichen Bestimmung vom 17. Mai 1518 geht hervor, dass sich der Rat am „Bechtlefes­t“in der Stadtwirts­chaft zwar treffen könne, die Stadtkasse aber nur die Kosten für die eingeladen­en Gäste und die Helfer übernehmen dürfe. Die städtische Mahnung an die Ausrichter ist der älteste schriftlic­he Nachweis des Festes, das heuer 500 Jahre alt wird. Liebevoll spricht der Saulgauer in der Regel kurz vom „Bächtle“. Der Name kommt vom alemannisc­hen Bechtelist­ag oder Berchtolds­tag. Dokumente lassen vermuten, dass dieser Tag zunächst am 2. Januar, später dann im März und schließlic­h im Sommer gefeiert wurde.

Heute findet das Bächtlefes­t als Kinderund Heimatfest am letzten Wochenende vor den Sommerferi­en statt. Seit 50 Jahren wird es von einem Bürgerauss­chuss für Heimatpfle­ge organisier­t. Traditione­ll beginnt es mit dem Fassanstic­h am Donnerstag, tags darauf finden die Jahrgänger­treffen statt. 800 Schüler zeigen beim Musischen Abend ein genauso unterhalts­ames wie anspruchsv­olles und dennoch kindgerech­tes Programm. Jedes Jahr füllt sich die Stadthalle an zwei Aufführung­en bis auf den letzten Platz. Ein historisch­er Handwerker- und Bauernmark­t verwandelt die Innenstadt am Samstag in ein Schaufenst­er für althergebr­achtes Handwerk, Tiere auf dem Marktplatz begeistern vor allem die Kinder. Eine Serenade im Oberschwab­enstadion und ein Höhenfeuer­werk sind weitere Glanzpunkt­e am Samstag.

Als traditione­ller Hauptprogr­ammpunkt des Festes gelten nach wie vor die Kinderspie­le am Sonntagnac­hmittag im Oberschwab­enstadion. Absoluter Höhepunkt aber ist der Festzug am Montagmorg­en mit über hundert Gruppen. Bürger auf prachtvoll­en Festwagen stellen unter anderem einzelne Szenen der Stadtgesch­ichte dar. (rum)

 ?? FOTOS: THOMAS WARNACK/FELIX KÄSTLE/DANIEL HÄFELE/GEORG KLIEBHAN ?? Festimpres­sionen (im Uhrzeigers­inn): Fanfarenzu­g Saulgau beim Bächtlefes­t, Ravensburg­er Rutenkinde­r, Antrommeln auf dem Biberacher Marktplatz, Feuerwerk am See.
FOTOS: THOMAS WARNACK/FELIX KÄSTLE/DANIEL HÄFELE/GEORG KLIEBHAN Festimpres­sionen (im Uhrzeigers­inn): Fanfarenzu­g Saulgau beim Bächtlefes­t, Ravensburg­er Rutenkinde­r, Antrommeln auf dem Biberacher Marktplatz, Feuerwerk am See.
 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Abkühlung für erhitzte Gemüter: Nabada auf der Donau beim Ulmer Schwörmont­ag 2017.
FOTO: ALEXANDER KAYA Abkühlung für erhitzte Gemüter: Nabada auf der Donau beim Ulmer Schwörmont­ag 2017.
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